Wahlen ohne Wähler

Parlamentswahlen in Mexiko von wolf-dieter vogel

Die Zahlen sorgten für Aufregung: 40 von 65 Millionen wahlberechtigten Mexikanern und Mexikanerinnen waren zu Hause geblieben, als es am Sonntag vergangener Woche galt, ein neues Bundesparlament zu wählen. Damit hat der »abstencionismo« einen neuen Höchststand erreicht, obwohl der mexikanische Staat umgerechnet fast eine halbe Milliarde Dollar Wahlkampfunterstützung an die Parteien verschleuderte.

Von einer parlamentarischen Repräsentation der Bevölkerung kann kaum die Rede sein. Für den konservativ-liberalen Pan des Staatschefs Vicente Fox beispielsweise votierten in realen Werten gerade einmal zwölf Prozent aller Wahlberechtigten.

So will natürlich kein Politiker das Ergebnis gewertet sehen. Auch nicht die ehemalige Staatspartei Pri. Nachdem die 71jährige Herrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution im Jahr 2000 von Fox beendet worden war, ging die Pri nun wieder als stärkste Partei aus den Wahlen hervor. Der Pan dagegen verlor ein knappes Viertel seiner Stimmen und landete auf Platz zwei.

Die Niederlage für Fox hat einen einfachen Grund. Angetreten als »Mann des Wechsels«, hat Fox keines seiner Ziele erreicht: nicht die Privatisierung der Stromerzeugung, kein Migrationsabkommen mit den USA und schon gar nicht die Beendigung des Konflikts in Chiapas. Auch die Million versprochener Arbeitsplätze entstand nicht, stattdessen gingen mehrere hunderttausend flöten.

Diese Bilanz kann man jedoch nicht nur Fox anlasten. So wurde das Nordamerikanische Freihandelsabkommen, das jetzt massenhaft kleine Bauern ruiniert, schon vor zehn Jahren unter dem Pri-Staatschef Carlos Salinas de Gotari ausgehandelt. Zudem war jeder Reformversuch von Fox zum Scheitern verurteilt, weil er im Parlament einer Mehrheit der Pri und der gemäßigten linken PRD gegenüberstand. Und nach der neuen Sitzverteilung stellt der Pan nur noch 150 der 500 Abgeordneten, 70 weniger als bisher.

Indessen bereiten sich potenzielle Nachfolger auf die Präsidentschaftswahl im Jahr 2006 vor. So etwa der PRD-Vorzeigemann Andrés Manuel López Obrador. Als Bürgermeister von Mexiko-Stadt ist er derzeit der beliebteste Politiker des Landes. Ihm hat die Partei zu verdanken, dass sie wieder zur drittstärksten Kraft geworden ist. López Obrador lässt an jeden Rentner monatlich 600 Pesos (etwa 52 Euro) verteilen und gleichzeitig den New Yorker Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani im Rahmen seines »Null-Toleranz-Programms« die Vertreibung der Armutsbevölkerung aus dem historischen Zentrum organisieren. Schließlich will dort der Multimillionär Carlos Slim ordentlich investieren.

Auch Jorge Castañeda werden große Ambitionen auf das Amt nachgesagt. Kurz vor der Wahl war bekannt geworden, dass der letztes Jahr zurückgetretene Außenminister der Fox-Regierung enge Beziehungen zum Pri-Mann Salinas de Gotari unterhält. Salinas war 1988 durch Wahlbetrug an die Macht gekommen und sorgte u.a. dafür, dass Carlos Slim zum Hauptaktionär des privatisierten Telefonnetzes wurde. Gegen Salinas schließen sich indes die »Dinosaurier« der Pri zusammen, die von einem Wiedererstarken des autoritären korporativistischen Staates träumen.

Warum also wählen? In den zapatistischen Gemeinden wurden 30 Urnen verbrannt oder gestohlen. »Auf autonomem Territorium«, ließ ein Sprecher wissen, »akzeptieren wir die Wahlen nicht.« 70 Prozent der Bevölkerung von Chiapas blieben den Wahllokalen fern.