Madrids kritische Bürger

Die spanische Linke freut sich über die Niederlage Aznars. Eine Verurteilung des islamistischen Terrors bleibt hingegen die Ausnahme. von gaston kirsche

Nach acht Jahren der bleiernen Müdigkeit kann sich die Demokratie jetzt erholen«, erklärte der Regisseur Pedro Almodóvar auf einer Pressekonferenz anlässlich der Premiere seines neuen Films »La mala educación« letzte Woche in Barcelona. Angesichts der Attentate von Madrid fiel die Premierenfeier zwar aus, doch trübte dies Almodóvars Laune nur wenig. »Diese schreckliche Woche endete mit einer befreienden Nachricht«, sprach er und meinte die Abwahl der Regierung der rechten Volkspartei (PP) am 14. März. Almodóvar verurteilte die Desinformationspolitik der Regierung nach den islamistischen Attentaten: »Das Zurückhalten von Informationen und die Manipulationen, an die wir uns bei der PP gewöhnen mussten, waren nicht demokratisch.« Die anwesenden Mitwirkenden des Films applaudierten. »Die Attentate des 11. März sind der Preis, den das spanische Volk für den Krieg des Herren Aznar im Irak zahlen musste«, erläuterte Almodóvar.

Ins staatliche Fernsehen Spaniens schaffte es das Statement des Regisseurs allerdings nicht. Diese politischen Äußerungen seien nichts für die Nachrichten, entschied deren Leiter Jesús Muñoz, wie um die allerorts erhobenen Manipulationsvorwürfe zu bestätigen. Denn seinen Posten verdankt er der PP. Der scheidende Regierungschef José María Aznar rief nach den Massakern in den Redaktionen von El País und El Periódico an, und behauptete, die Bomben von Madrid seien das Werk der Eta. »Die Regierung machte Druck, um politisches Kapital aus der Nachricht zu schlagen, dass die Eta die Attentate verübt habe. Sie hatte ihre ganze Wahlkampagne auf die Unteilbarkeit Spaniens und den Kampf gegen die Eta zugespitzt«, analysierte Anabel Cubero von Socialismo Libertario in einem Artikel mit dem Titel: »Vier Tage, die die Gesellschaft veränderten«.

Angesichts der Lügen und der Drohungen des PP-Spitzenkandidaten Mariano Rajoy gegenüber den Demonstranten, die am Vorabend der Wahl vor den Parteizentralen der PP in den großen Städten die Wahrheit verlangten, sei die Stimmung gekippt. Rajoy bezeichnete die spontane Demonstration vor dem PP-Büro in den 21-Uhr-Nachrichten als »illegal und illegitim«, was das Fass wohl zum Überlaufen brachte. In vielen Madrider Stadtteilen und in anderen Städten strömten daraufhin Menschen auf die Straße, klopften auf Kochtöpfe oder Mülltonnen, der Protest verbreitete sich schnell und richtete sich zunehmend gegen die PP und ihren Versuch, den Terrorangriff zu instrumentalisieren. Die Bemühungen der PP, das Attentat der Eta in die Schuhe zu schieben, waren zu leicht zu durchschauen. Erst in der Nacht vor der Parlamentswahl am 14. März veröffentlichte Innenminister Ángel Acebes einige der Informationen, die auf eine islamistische Tätergruppe schließen ließen. »Das Verhalten der Regierung und das Schweigen der restlichen Kandidaten erreichten einen gegenteiligen Effekt. In diesem Land funktioniert die Bedrohung der Gesellschaft nicht«, resümiert Anabel Cubero sehr euphorisch und sieht in den jüngsten Ereignissen einen Sieg der Zivilgesellschaft über den Staat.

Kritik übt Cubero allerdings auch an der außerparlamentarischen linken Szene. Diese habe sich an den Trauermanifestationen kaum beteiligt: »Getrennt von einem humanitären Gefühl, dass sie nicht verstanden und teilweise abgelehnt haben, sind sie voll des Lobes für terroristischen ›Widerstand‹, der reaktionär und faschistisch ist, hier wie im Irak.«

Dass radikale Linke sich bei den Trauerkundgebungen zurückhielten, mag daran gelegen haben, dass sie bereits so etwas wie ein staatliches Ritual nach Anschlägen der Eta darstellen. Es sind öffentliche Bekundungen der Betroffenheit, die mit der Versicherung einhergehen, die Eta künftig noch entschiedener zu bekämpfen. Und so reflexhaft wie die PP auch nach den Anschlägen in Madrid reagierte, so verständlich war sicherlich die Zurückhaltung der linken Szene.

Dass die Regierung Aznar abgewählt wurde, war eine positive Überraschung. Jaime Pastor von der linksradikalen Organisation espacio alternativo erklärte: »Die Tage zwischen dem von der Bevölkerung Madrids erlittenen Massaker und den Wahlen waren sehr aufregend und angespannt, haben aber gezeigt, dass es kritische Bürger gibt, die in der Lage sind, der regierungsoffiziellen Propaganda der Desinformation und der Angst etwas entgegenzusetzen.« Und wie so viele Linke auch betonte er den Zusammenhang der Attentate mit dem Irakkrieg: »Letztendlich, und unglücklicherweise mit vielen Toten, hat es eine Niederlage der PP gegeben, die international bekannt ist als Sieg des »Nein zum Krieg« über die Lügen von Aznar.«

Welche politischen Leerstellen dieser Sieg hat, zeigte sich bei den Antikriegsprotesten am Jahrestag des Angriffes auf den Irak am vergangenen Samstag. Die zentrale Losung in Madrid lautete: »Ende der Besetzung – Rückzug der Truppen – Nein zum Krieg, ja zum Frieden«. Mit zahlreichen palästinensischen Fahnen demonstrierten in Madrid und Barcelona jeweils 150 000 Menschen »für ein Ende der Besatzung des Irak und Palästinas«. Mittendrin liefen prominente Funktionäre nicht nur der Gewerkschaften und der Vereinigten Linken, sondern auch der Psoe. Dass es die Psoe war, die 1986 den Beitritt Spaniens zur Nato durchgesetzt hat, interessierte dabei niemanden so recht. Auch nicht, dass die Psoe mit Javier Solana schon einmal den Nato-Generalsekretär gestellt hat, und dass eben dieser Solana jetzt die Militärpolitik der EU koordiniert und den Krieg gegen Jugoslawien 1999 mit zu verantworten hat.

Sowieso bleibt abzuwarten, was die Psoe von ihren vollmundigen Wahlversprechen wirklich halten wird. Im Wahlprogramm versprach sie, die spanischen Truppen aus dem Irak zurückzuziehen. Nach der Wahl klingt das bereits etwas anders. El País veröffentlichte letzte Woche ein Interview mit der »Nummer zwei« der Psoe, Jesús Caldera. Auf die Frage, unter welchen Bedingungen die Truppen dort bleiben würden, erklärte er: »Wenn die Uno vor dem 30. Juni die Leitung des Wiederaufbaus des Irak übernimmt, einschließlich des Oberbefehls über die Sicherheitskräfte.«

In Oviedo hielt am Samstag eine Demonstrantin ein Schild hoch, auf dem Aznar mit einer Pinocchionase als Lügner dargestellt ist. Vielleicht gibt es bald auch José Luis Rodríguez Zapatero von der Psoe mit einer solchen Nase zu sehen, wenn er im April die Regierung übernimmt. Unter der Karikatur von Aznar steht: »Sota del Terror«, was Terrorbube oder -flittchen bedeutet. Darüber ist eine Friedenstaube zu sehen, die von einem Dollarzeichen und einem Davidstern durchstochen ist.

Während sich die Psoe von derartigen Friedensbekundungen noch nie distanziert hat, kam die Zurückweisung einer andren, direkt an sie gerichteten Offerte prompt. Am Sonntag veröffentlichte die baskische Zeitung Gara ein Verhandlungsangebot der Eta an die neue Regierungspartei. Die Eta sei bereit zu Verhandlungen mit der Psoe über eine Lösung des Konflikts im Baskenland, aber auch in der Lage, weiter zu kämpfen. »Die bewaffneten Kräfte Spaniens aus dem Irak abzuziehen, ist eine starke und tapfere Handlung«, aber auch im Baskenland bedürfe es solcher starken und tapferen Handlungen. Die Eta stehe »bereit zur Lösung mithilfe des Dialoges«. Die Psoe erklärte am selben Tag: »Die Erklärung der terroristischen Gruppe Eta hat keinerlei Wert.« Und deshalb werde es keine Antwort geben.