100 Tage für den dirty Job

Regierungsumbildung in Frankreich von bernhard schmid

Ein ebenso angeschlagener wie übellauniger Premierminister war Anfang der vorigen Woche im französischen Fernsehen zu bewundern. Selbst die Abgeordneten der konservativen Regierungsfraktionen konnten sich bei der lustlos heruntergeleierten Regierungserklärung von Jean-Pierre Raffarin nur mühsam zum Applaudieren bequemen.

Präsident Jacques Chirac hat Raffarin am 31. März, drei Tage nach der jüngsten Wahlschlappe der Konservativen in fast allen französischen Regionen, im Amt bestätigt. Der Karikaturist von Le Monde zeichnete den Premierminister daraufhin als Napoléon Bonaparte. Napoléon I. war von seinem Exil auf der Insel Elba nochmals für 100 Tage zurückgekehrt, bis es in Waterloo mächtig schepperte. Auch Raffarin hat nun erst einmal 100 Tage Zeit bekommen. Er soll jetzt in wenigen Monaten den schmutzigen Job zu Ende bringen, nämlich den Abriss bedeutender Teile der sozialen Sicherungssysteme. Genau deswegen hat Chirac seinen zutiefst unpopulären Premier im Amt bestätigt. Denn wozu sollte er noch einen anderen »verheizen«? In wenigen Wochen wäre er genauso unbeliebt.

Die wesentlichen Erwartungen hat Raffarin jetzt in seiner Antrittsrede bestätigt. Wenn die Franzosen unzufrieden sind, dann »wegen der Langsamkeit« bei der Durchsetzung so genannter Reformen. Im Grunde ihres Herzens wollen die Franzosen nämlich noch mehr neoliberale »Reformen«; sie wissen es nur noch nicht. Jene des Gesundheitswesens, bekräftigte Raffarin, wird noch in diesem Sommer durchgezogen. Ferner werden die Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF in den Privatsektor überführt. Das riecht förmlich nach sozialen Konflikten.

Chirac denkt bereits an die Zeit nach Raffarin. Denn das Staatsoberhaupt versucht sich als angeblich jenseits der Niederungen der Tagespolitik stehend zu präsentieren. In seiner Fernsehansprache an die Nation am Tag nach der Regierungsumbildung versprach Chirac gar, einige der umstrittensten sozialen Kürzungen der letzten zwölf Monate zu revidieren. Das betrifft die Arbeitslosen, aber auch die intermittents du spectacle, die prekären Kulturschaffenden, die seit neun Monaten gegen die drakonische Beschränkung ihrer spezifischen Sozialversicherung kämpfen. Auch die Wissenschaftler, die vor kurzem durch spektakulären Protest Aufmerksamkeit erregten (Jungle World, 13/04), sollen beruhigt werden. Die im Staatshaushalt 2004 vorgenommene Umwandlung mehrerer Hundert fester Forscherstellen in Zeitverträge soll zurückgenommen werden.

Chirac hat den Blick schon auf 2007 gerichtet; dann will er erneut für das Präsidentenamt kandidieren. In den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit soll ein gemäßigterer Gang beim Sozialabbau eingelegt und eine populärere Regierung eingesetzt werden, wahrscheinlich unter seinem Spezi, dem ehemaligen Außenminister Dominique de Villepin, der jetzt Innenminister ist.

Seinen gefährlichsten Rivalen hofft Chirac bis dahin neutralisiert zu haben. Nicolas Sarkozy konnte drei Jahre lang im Innenministerium punkten, mit viel Aktionismus, ständiger Präsenz in den Medien und einem Haufen Geld, das ihm zur Einstellung zusätzlicher Polizisten zur Verfügung gestellt wurde. Jetzt darf er sich als »Superminister« für Wirtschaft, Finanzen und Industrie bewähren und wird wohl bald einsehen müssen, dass man mit starken Sprüchen zwar Law and Order markieren, aber leider keine Wirtschaft ankurbeln kann. Nicht nur einer wird vielleicht bald sein Waterloo erleben.