Margarine und anderer Terror

Horrorfilme bilden die Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft ab von thomas blum

Schon die unbeholfene und gänzlich ahnungslose Rede von den »Gewaltfilmen«, welche die Zensurbefürworter stets im Munde führen, zeigt, mit was für Leuten man es zu tun hat. Meist haben sie weder die geringste Kenntnis von dem Gegenstand, den sie verbieten und wegschließen wollen, noch von Geschichte, Theorie und Ästhetik des phantastischen Films überhaupt. Ein durchschnittlicher deutscher Beamter, dem man Hoopers »Texas Chainsaw Massacre« oder Romeros »Dawn of the Dead« in die Hand gibt, ist nicht im mindesten in der Lage, etwas von dem zu begreifen, was er sieht. Ganz so, als gäbe man einem Dreijährigen den »Ulysses« zu lesen. Und so, wie das Kind darin nur einen Haufen Papier sehen wird, den es zerknüllen darf, wird der Beamte, Richter oder Biedermann den Klassiker des Horrorgenres, nachdem ihm ein paar den Sinn und den Gehalt des Films verfälschende Ausschnitte präsentiert wurden, vermutlich schnurstracks als »gewaltverherrlichend« denunzieren, denn er weiß es nicht besser.

»Gewaltfilme«, was auch immer mit diesem absurden Begriff gemeint sein soll, werden auch nicht aus einem bösen Paralleluniversum zu uns herübergebeamt. Sie sind kulturelle Erzeugnisse einer Gesellschaft, in der strukturelle und offene Gewalt ganz gewöhnlicher Alltag sind. Sie reflektieren, beabsichtigt oder nicht, die verborgene und verleugnete Realität einer Gesellschaft, die sich fanatisch »der Ordnung, der Hierarchie und der Sicherheit verschreibt« und die »alles unterdrückt, was das Zeichen des Drohenden, Ungeordneten, Phantastischen, Archaischen trägt« (Roger Dadoun). Der moderne Horrorfilm thematisiert das Verdrängte, die Obsessionen der Menschen, ihre verheimlichten Spielarten der Sexualität und Gewalt. Und er opponiert so auf seine Art gegen die hegemoniale bürgerliche Kultur, indem er auf einem abgründig skeptischen Blick auf die Welt besteht.

Insbesondere der Splatterfilm lehrt in seinen besten Momenten keine Moral, er beschönigt nicht. Auch daraus erwächst die Abscheu, die im Biedermann ausgelöst wird. Der Bürger will nicht wahrhaben, dass er selbst ein Monster ist. Er will den Schein einer intakten Gesellschaft wahren und daher die Bilder von der Destruktion der Leiber nicht sehen. Wahnhaft hält er die artifiziellen Bilder für verantwortlich für das Böse und nicht den Menschen selbst.

Ein Werbespot für Margarine jedoch, der uns eine beängstigend leblose Mittelschichtszombiefamilie zeigt, die anscheinend ihr höchstes Glück im morgendlichen Stullenschmieren findet, kann in einem einigermaßen mit Verstand begabten Betrachter größeres Entsetzen auslösen, als es ein so genannter Gewaltfilm je könnte. Denn was die Margarinereklame uns vorführt, ist die schrecklich grausame Idylle, die man hierzulande schamlos »Normalität« nennt. Auf die Idee jedoch, derlei Werbesendungen oder auch Volksmusikdarbietungen, Talk- und Unterhaltungsshows im deutschen Fernsehen zu verbieten, ist noch keiner gekommen, obwohl es als sicher gelten darf, dass der Konsum solcher Sendungen täglich bei Millionen von Zuschauern nicht allein zu geistiger Abstumpfung und völliger Verrohung führt, sondern auch extreme Gewaltfantasien auslösen kann.