Provinz marschiert

Das hessische Kirtorf ist ein Zentrum organisierter Neonazis. Antifaschistische Gruppen aus Hessen planen nun eine Kampagne gegen die rechten Strukturen vor Ort. von ernst kovahl

Antifas und der hessische Verfassungsschutz sind sich an einem Punkt einig: Kirtorf hat sich zu einem Zentrum der Naziszene entwickelt. Seit Jahren konnten Neonazis ungestört ihre Strukturen in dem 1 500 Einwohner zählenden Ort in Osthessen aufbauen. Erst seit Antifagruppen aus dem ganzen Bundesland für den 17. April zu einer Demonstration in Kirtorf aufrufen, reagiert die Lokalpolitik. Und zwar hektisch.

Einstimmig verabschiedeten der Magistrat und der Ältestenrat der Stadtverordnetenversammlung nur wenige Tage nach Eingang der Anmeldung eine Erklärung. Zu lange habe man sich nicht mit dem Problem auseinandergesetzt, nun aber wolle man endlich alle »rechtlichen und politischen Mittel« ausschöpfen, um gegen den Nazitreffpunkt mitten im Ort vorzugehen. Seinen Namen will jedoch keiner der Politiker in einer Zeitung sehen, sagte ein CDU-Mitglied der Jungle World. Es habe schon Drohungen von den Rechten gegeben.

In Kirtorf wie im gesamten Vogelsbergkreis östlich von Marburg treten seit Anfang der neunziger Jahre immer wieder organisierte Neonazis auf. Wehrsportübungen, Schlägereien, Sonnenwendfeiern, Konzerte und Fackelzüge finden sich auf einer langen Liste, die von antifaschistischen Gruppen zusammengestellt wurde, um das Geschehen der letzten zwölf Jahre zu dokumentieren. Sie belegt, dass sich in der Gegend eine überregional bedeutende Szene etabliert hat, die regelmäßig Konzerte und Partys organisiert.

Die Kirtorfer Rechtsextremisten haben sich weit über die Grenzen Hessens hinaus einen Namen gemacht. So kamen im März 2002 etwa 600 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen, um an einer Feier der berüchtigten Dortmunder Nazihooligan-Truppe »Borussenfront« teilzunehmen. Als Hauptattraktion trat die Rechtsrock-Band »Kategorie C« auf. Erst vor wenigen Wochen kamen wieder einmal 200 Konzertbesucher in den Ort, um Nazimusik zu hören.

Die bisherige Strategie der Stadt und der Polizei, eine »Außenwirkung« solcher Veranstaltungen zu verhindern, ist gescheitert, wie selbst die Stadt in ihrer Resolution einräumt. Denn Kirtorf gilt heute als einer der sichersten Orte für Rechtsrockkonzerte. Hier müssen nicht erst konspirativ Hallen oder Kneipen angemietet werden, die Neonazis verfügen selbst über geeignete Gebäude und Grundstücke.

So hat sich eine umgebaute Scheune mitten im Ort zum Nazizentrum entwickelt. Hier, in der Marburger Straße, wohnt auch Bertram Köhler, ein seit Jahren bekannter Neonazi. Bei ihm trifft sich die Kameradschaft »Berserker Kirtorf«. Hier wird zum Beispiel der Geburtstag Adolf Hitlers alljährlich ungestört gefeiert. Während anderswo solche Feste oftmals verboten werden, ist das in Kirtorf nicht so leicht möglich. Denn am 20. April hat einer der Neonazis selbst, Glenn Engelbrecht aus dem benachbarten Gleimenhain, Geburtstag und lädt zur großen Party ein. Mit der Band »Gegenschlag« kommt darüber hinaus eine überregional bekannte Rechtsrockband aus dem direkten Umfeld der »Berserker«.

Auch für den hessischen Verfassungsschutz sind Kirtorf und der Vogelsbergkreis ein Zentrum der Rechtsextremen, wie es im Jahresbericht 2002 heißt. Die Kirtorfer Szene sei sogar »mit Abstand die aktivste in ganz Hessen«, behaupten die Geheimdienstler. »Von neun erwähnenswerten Skinhead-Veranstaltungen fanden allein fünf im mittelhessischen Raum statt, wobei das Anwesen eines Rechtsextremisten in Kirtorf der Kristallisationspunkt war.«

Gute überregionale Kontakte und der »hohe Bekanntheitsgrad einiger Kirtorfer Skinheads« seien darüber hinaus der Grund für ihre Stellung in der Szene. Neben Köhler und Engelbrecht nennen Antifas noch einen weiteren Aktivisten, der an den Kirtorfer Strukturen maßgeblich beteiligt sein soll.

Die Kirtorfer Nazis beschränken sich jedoch nicht nur auf Subkultur und Kommerz. Sie sind auch Teil des »Aktionsbündnisses Mittelhessen«, das seit dem Jahr 2003 in und um Marburg mehrfach versucht hat aufzumarschieren. Alle Versuche endeten bisher jedoch in einem Debakel. Beim ersten Mal kamen nur elf Kameraden nach Marburg, beim zweiten Versuch, im nahen Gladenbach, waren es immerhin fast 100. Doch wurde ihre Demonstration nach kurzer Zeit von der Polizei beendet, da Antifas die Straße blockierten.

Der bisher letzte Versuch am 21. Februar ging als »Hölle von Gladenbach« in die Internetforen der freien Kameradschaften ein. Da half selbst die Unterstützung durch den prominenten Rechtsextremisten Christian Worch dem Bündnis um den Organisator Manuel Mann nichts. Denn »im gesamten Stadtgebiet, quer durch die Vorgärten, Felder und Grundstücke, wurden Rechtsextreme zum Teil regelrecht gejagt«, wie die Frankfurter Rundschau schrieb.

Für den 17. April haben jetzt Kameradschaften und die hessische NPD ihren nächsten Versuch angekündigt, in Gladenbach aufzumarschieren. Trotzdem wollen die hessischen Antifagruppen an ihrer eigenen Mobilisierung nach Kirtorf festhalten. »Wir wollen nicht immer nur auf die Nazis reagieren, sondern selber unsere Schwerpunkte setzen«, sagt die Sprecherin einer Marburger Antifagruppe. »Auch in Kirtorf muss sich Widerstand gegen die Nazipräsenz regen, und die rechten Akteure müssen an die Öffentlichkeit gezogen werden.« Deshalb werde nun eine Kampagne gestartet. Mit der Demonstration am 17. April soll der Startschuss gegeben und der Protest direkt vor die Haustür der Neonazis getragen werden.

Die Demonstration wurde mittlerweile jedoch verboten und dem Anmelder 200 Euro Verwaltungsgebühr in Rechnung gestellt. Kirtorfs Politiker halten davon ohnehin nichts. Sie fürchten ein Zusammentreffen von Antifas und Nazis. Man sei nicht mehr bereit, »die Stadt derart in den Dreck ziehen zu lassen«, heißt es in der Resolution des Magistrats und des Ältestenrats der Stadtverordnetenversammlung.

Mehr Infos: www.antifa-action-tour.tk

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