Zerstückelte Bilder

Während ein Splatterfilm-Remake nach dem anderen ungekürzt ins Kino kommt, werden die Originale noch immer von Gerichten verboten. von thomas groh

Auf der Leinwand darf wieder geblutet und zerstückelt werden. Seit im letzten Sommer Rob Schmidts Film »Wrong Turn« – trotz einiger optischer Härten bemerkenswert liberal und für Zuschauer ab 16 Jahren freigegeben – das Publikum erschreckte, scheinen sich die Blutmetze gegenseitig die Projektoren warm zu halten: Nachdem Freddy Kruegers Treffen mit dem aus »Freitag der 13.« bekannten Jason Voorhees in »Freddy vs. Jason« erwartungsgemäß unharmonisch ausgefallen war, schickte Marcus Nispel den legendären Freak mit den Menschenhautmasken, Leatherface, in eine neue, erstaunlich unironische Runde des texanischen Blutgerichts in seinem Remake von Tobe Hoopers Klassiker »The Texas Chainsaw Massacre«. Nur wenig später kam mit dem »Haus der 1000 Leichen« des ehemaligen Rob Zombie eine zwar nostalgische, stilistisch aber hochmoderne Geisterbahnfahrt durch die Bilderwelt der Terrormovies der Siebziger ins Kino. Und während nun auch das Remake von George A. Romeros Klassiker »Dawn of the Dead« in die deutschen Kinos kommt, werkelt man in den USA bereits an einer Neuauflage von Argentos farbenfrohem (Rot!) »Suspiria«.

Dass all diese Filme in Deutschland ungekürzt anlaufen konnten, ist nicht selbstverständlich, stehen sie doch allesamt mehr oder weniger direkt mit dem Kanon des US-Splatterkinos der siebziger Jahre in Verbindung. Von ihren eher comichaften und naiven Vorläufern der Sechziger grenzt sich diese zweite Generation vor allem durch eine bedrückend apokalyptische Grundstimmung und grimmige Kompromisslosigkeit ab. Ausgehend von Romeros Zombiefilm »Night of the Living Dead« deutet der äußerst gelungene Dokumentarfilm »The American Nightmare« diese Stoßrichtung als ästhetischen Kommentar zum Zeitgeschehen vor der Kulisse des Vietnamkriegs, gewaltsam niedergeschlagener Bürgerrechtsbewegungen und, vor allem, des Umgangs mit diesen Themen in den US-amerikanischen Medien. Eine populäre Lesart. Die Kulturwissenschaften arbeiteten hingegen bevorzugt Gender-Aspekte der Filme heraus, beispielsweise das Motiv des final girl, das sich am Ende erfolgreich gegen den Terror zur Wehr setzt. Obgleich einige dieser erwähnten Aspekte in den jüngsten Transskriptionen des Horrorfilm-Genres zugunsten eigener, eher genreimmanenter Implikationen kaum mehr auszumachen sind – für die cultural studies also weniger ernst zu nehmendes Material liefern –, lässt sich doch feststellen, dass selbst das viel geschmähte Splatterkino Artefakte von bleibendem Wert hervorgebracht hat, die eine Auseinandersetzung mit ihm auch über die guilty pleasure hinaus als lohnenswert erscheinen lassen.

Wer sich nun aber die der aktuellen Horrorfilm-Welle zugrunde liegenden Filme erschließen möchte, stößt unweigerlich an die Grenzen der Verfügbarkeit. Will man die ohnehin gekürzte Videokassette von »Dawn of the Dead« aus den Archiven der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek entleihen, muss schon ein handfestes wissenschaftliches Interesse vorliegen, um eine Aushändigung des Films zu erwirken. Die Nachfrage im Fachhandel erübrigt sich vollends: Mit Ausnahme einer grotesk verstümmelten FSK16-Version ist der Handel dieses Films auch unter Erwachsenen per Gerichtsbeschluss untersagt.

Eine Indizierung, wie sie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien für beanstandete Filme ausspricht, nimmt sich da vergleichsweise harmlos aus: Hier wird die Verbreitung zwar mit empfindlichen Auflagen erschwert, aber nicht grundsätzlich kriminalisiert.

Anderen Schlüsselfilmen des Horror-Genres geht es kaum besser: Während Tobe Hoopers »The Texas Chainsaw Massacre« ins New Yorker Museum of Modern Art aufgenommen wurde, steckte ein deutsches Amtsgericht den Film in den Giftschrank. Ähnlich verhält es sich mit Wes Cravens – natürlich äußerst blutigem (die Kettensäge!) – Ingmar-Bergman-Remake »Last House on the Left«, William Lustigs verstörender Psychopathen-Studie »Maniac« und vielen anderen längst klassischen Vertretern des US-Exploitationkinos.

Die hiesigen Rahmenbedingungen zur Rezeption der gegenwärtigen Splatterwelle fallen somit unvorteilhaft aus: Es mangelt schlicht an Wissen über die konstituierenden Filme – im Gegensatz zur Situation etwa in den USA, wo »Dawn of the Dead« spätestens mittels Referenz bei den »Simpsons« (legendär die Szene, in der hirnhungrige Zombies auf das Öffnen von Homer Simpsons Schädeldecke verzichten) endgültig im Pantheon der Popkultur angelangt ist. Hierzulande treffen die Filme indes auf ein eher ratloses Publikum, das um die ästhetischen Implikationen der Originale oftmals allenfalls aus zweiter Hand weiß und das die Bilder zerfaserter Körper nur bedingt als Fortschreibung einer Pulp-Tradition wahrnimmt. Das etablierte Zensurgefüge aus Schnittauflagen, Indizierungen und Beschlagnahmungen hat über die Jahre hinweg Bedingungen geschaffen, in denen der souveräne Umgang mit solchen Filmen nur schwer möglich ist.

Begründet werden drastische Maßnahmen wie der bundesweite Einzug eines Films mit dem Vorwurf der Verbreitung gewaltverherrlichender bzw. -verharmlosender Medien nach § 131 StGB. Selbst erwachsene Menschen, so die Logik dahinter, könnten infolge regelmäßigen Konsums solcher Filme unerwünschte Handlungsweisen entwickeln. Soziokulturelle oder biografische Fragen spielen in dieser verkürzenden Zuschreibung, entgegen Erkenntnissen von Medienwissenschaft und Wirkungsforschung, traditionell eine untergeordnete Rolle.

Auch form- und effektästhetische Aspekte spielen bei diesen pseudowissenschaftlichen Analysen kaum eine Rolle. Die Kameraarbeit findet in Beschlagnahmebeschlüssen allenfalls bei Nahaufnahmen äußerst expliziter Szenen Erwähnung. Je nach Häufung »beanstandenswerter Handlungen« werden im folgenden dann die Beschlagnahme oder aber empfindliche Kürzungsauflagen in Betracht gezogen. Infolge dieser mangelhaften ästhetischen Kompetenz wird beispielsweise der Anfang 2004 beschlagnahmte Splatterklassiker »Blood Feast« von Herrschel Gordon Lewis (von 1962!) im knapp ausgefallenen Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe als ein die Sinne regelrecht torpedierendes Gewitter an Bestialitäten beschrieben. Im Film selbst findet solche Entsetzensprosa wegen der finanziell bedingten hölzernen Machart – abgetrennte Gliedmaßen werden anhand rot beschmierter Schaufensterpuppen visualisiert – jedoch schlicht keine Entsprechung. Im Gegenteil: Bei einer Vorführung des Films im Berliner Kino Central vor einigen Jahren herrschte ausgelassenes Amüsement.

Nicht zuletzt die Beschlagnahme von »Blood Feast« – pikanterweise der erste Splatterfilm der Geschichte – verdeutlicht, wie asymmetrisch in Filme eingegriffen wird. Während ein erwachsenes Publikum im Kino derzeit erfreulicherweise ohne staatliche Einmischung sich mit den Filmen beschäftigen kann, die es sehen will, werden im Homevideo-Segment 40 Jahre alte Filme immer noch unter Verschluss gehalten. Während selbst 16jährige Mel Gibsons auf der Ebene von Struktur und ästhetischer Vorgehensweise waschechtes Exploitationmovie »Passion« im Kino sehen dürfen, wird 30jährigen der Bezug optisch weniger drastischer Filme verunmöglicht. Während eine Fülle von Remakes den Genre-Klassikern auf handwerklich wie inszenatorisch hohem Niveau die Reverenz erweisen und diese nebenbei in Sachen Special Effects und Zeigefreudigkeit locker überholen, sehen sich Programmanbieter im Falle einer Auswertung der Originale juristischen Sanktionen ausgesetzt.