Die Uno wird ausgebootet

EU-Protektorat in Pristina? von markus bickel, sarajevo

Der Anspruch besteht schon länger: Wenn der endgültige Status des Kosovo geklärt sei, so der frühere Chef der Uno-Protektoratsverwaltung (Unmik), Michael Steiner, »könnte die EU übernehmen«. EU statt Uno – und das ausgerechnet am Südzipfel jenes Kontinents, der sich noch vor einem Jahr so heftig gegen das Ausbooten der Uno durch die USA im Irak wehrte! Was Steiner bereits im September 2002 im Konditional ausdrückte, sprechen deutsche Politiker seit dem transatlantischen Bruch vor dem Irakkrieg immer öfter im Imperativ aus.

Nach einer Schießerei zwischen UN-Polizisten in einem von der Unmik bewachten Gefängnis in Mitrovica, bei der zwei US-amerikanische ebenso wie ein jordanischer Polizist ums Leben kamen, und nach den antiserbischen Ausschreitungen Mitte März sieht die EU die Chance, ihren Einfluss zu vergrößern. »Die EU sollte zeigen, dass sie in der Lage ist, die Gesamtverantwortung in Südosteuropa zu übernehmen und damit den USA die Chance zum Rückzug zu bieten«, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Staatssekretär unter Joschka Fischer, Christoph Zöpel, Ende voriger Woche.

Geographisch gar nicht so weit vom Irak entfernt, vollzieht sich im Kosovo ein weltpolitisch interessanter Rollentausch. Wie in Bagdad mutieren nach den tödlichen Schüssen auf US-Personal nun auch in Pristina US-Diplomaten plötzlich zu den engsten Verbündeten der Uno-Führung, die sich darum bemüht, den multinationalen Charakter der Mission zu wahren – während ihre falschen Freunde aus Deutschland am stärksten gegen die Vormachtstellung der Vereinten Nationen wettern. Schon vor Zöpels Forderung nach einem Zurückdrängen des Einflusses Washingtons auf die militärischen und politischen Entscheidungsprozesse in Südosteuropa hatte der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Stinner mehr Macht für Brüssel verlangt. Die Uno-Verwaltung solle »beendet und das Kosovo zu einem europäischen Treuhandgebiet gemacht werden«, schrieb er Mitte April in der FAZ.

Was vor über einem Jahr im Irak begann, setzt sich nun auf dem fast schon vergessenen Krisenschauplatz Balkan fort: der kaum mehr zu kittende Riss zwischen Protagonisten eines geopolitisch selbstbewusst auftretenden »alten Europa« und der zumindest in Teilbereichen an einer transatlantischen Zusammenarbeit orientierten Regierung in Washington. Dass sich Politiker wie Zöpel und Stinner von der weiterhin an dem Leitmotiv »Standards vor Status« orientierten Linie des Auswärtigen Amtes (AA) absetzen, zeigt nur, wie wenig überzeugend selbst auf ihre eigenen Gefolgsleute die Policy-Maker in den Südosteuropa-Abteilungen von Kanzleramt und AA wirken. Das Kosovo habe »keine Chancen, als unabhängiger Staat zu überleben«, heißt es hier.

Mangels alternativer Vorschläge könnte es nach dem Abschied Harri Holkeris als Unmik-Chef im Juli zur Modifizierung von Steiners »Standards vor Status«-Strategie kommen. Denn das Kosovo als schwarzes Loch inmitten potenzieller EU-Beitrittskandidaten über Jahrzehnte mitschleppen wollen die EU-Balkan-Strategen auch nicht. Dann doch eher ein EU-Protektorat, das ohne die von der kosovo-albanischen Bevölkerung ebenso wenig wie von europäischen Diplomaten geliebten jordanischen, pakistanischen oder ghanaischen Kollegen auskommt. Denn ganz ohne Imagewechsel bei der Protektoratsverwaltung, so die Message der EU beim Treffen ihres Allgemeinen Rats am Montag in Brüssel, könne man nach den pogromartigen Ausschreitungen im März und dem Schusswechsel in Mitrovica auch nicht weitermachen.