Die Mauer bewirkt Gewalt

Der Bau des Sicherheitszaunes wird die Anschläge auf Israelis nicht beenden. von dorothy naor

Die israelische Regierung rechtfertigt den Bau des Zauns und seinen Verlauf auf besetztem palästinensischem Gebiet mit »Sicherheitsbedürfnissen«. Aber der Zaun, der in der Westbank errichtet wird, verschafft Israel keine Sicherheit.

In seinem Gedicht »Mending the Wall« sagt Robert Frost, es gebe etwas, das sich gegen eine Mauer sträubt. Der Sprecher in Frosts Gedicht erzählt von seinem Nachbarn, der glaube, Zäune förderten die gute Nachbarschaft. Aber der Sprecher ist nicht dieser Meinung. Bevor er eine Mauer baute, würde er danach fragen, was sie aus- und was sie einschlösse und wer an ihr Anstoß nehmen könnte.

Die für den Bau der Mauer zuständigen israelischen Beamten haben diese Fragen zweifellos berücksichtigt. Israels Staatschef Ariel Sharon und die Seinen wussten sehr gut, dass sie im Begriff waren, viele Palästinenser einzumauern und sie von ihren Schulen, Äckern, Oliven- und Zitronenhainen, Brunnen usw. abzuschneiden. Womöglich meinte die Regierung Sharon, die Menschen zum Verlassen des Landes bewegen zu können, indem sie ihr Leben unerträglich machte. In manchen Gegenden kam es tatsächlich dazu, und in anderen wird es vielleicht noch dazu kommen.

Was die ländlichen Gegenden betrifft, so trennt der Zaun viele Palästinenser von ihren Ackerflächen, von ihren Olivenhainen und ihren Brunnen. So wurde das Dorf Mas’ha im Bezirk Salfit fast ganz eingezäunt; es hat 92 Prozent seiner Fläche verloren. Nur durch ein Tor können die Bauern, sofern sie über eine von der israelischen Zivilverwaltung ausgestellte Erlaubnis verfügen, zweimal am Tag zu ihren Ländereien gelangen, um sieben Uhr am Morgen und um 13 Uhr nachmittags. Dann öffnen israelische Soldaten das Tor für ungefähr fünfzehn Minuten. Allerdings steht nicht jedem Bauern die nötige Erlaubnis zu; in Mas’ha besitzen sie nur 18 Prozent. Wer sie nicht besitzt, wird sein Land nach aller Voraussicht verlieren. Denn nach altem ottomanischem Recht, das Israel in diesen Fällen anwendet, verliert ein Bauer sein Land, wenn er es drei Jahre lang nicht bestellt hat. Vor der Intifada war Mas’ha ein blühender Ort, den viele Israelis besuchten, um Möbel und andere Waren zu kaufen. Die Intifada verwandelte ihn in eine Geisterstadt. Wegen der Mauer haben viele Einwohner nun auch ihre Erwerbsquelle Olivenöl verloren, da sie ihre Olivenbäume nicht mehr pflegen können. Viele Kinder werden zudem am Schulbesuch gehindert, Familien werden voneinander getrennt, Lohnabhängige um ihre Arbeit gebracht.

Außerdem verhindert der Sicherheitszaun einen lebensfähigen palästinensischen Staat. Er teilt die Westbank in Ghettos und Enklaven, deren Mehrheit von jüdischen Siedlungen und Außenposten umgeben ist. Die Absicht der israelischen Regierung besteht darin, so viel Boden wie möglich von der Westbank zu stehlen und möglichst wenige Palästinenser dort zu lassen. Und ihr letztes Ziel heißt Großisrael.

Unter solchen Bedingungen trägt der Zaun nicht zur guten Nachbarschaft bei. Indem er das Leben der Palästinenser unerträglich macht, schafft er weitere Feinde. Der Zaun selbst ist eine Art von Gewalt, er ist ein gewaltsames Mittel im Dienst politischer Absichten. Und Gewalt erzeugt immer noch mehr Gewalt.

Was kann man anderes erwarten, wenn Israel sich die Palästinenser zu Feinden macht und sich gleichzeitig weigert, mit ihnen zu verhandeln? So wird der Fundamentalismus gefördert, ebenso wie der Wille, mit Gewalt für die Freiheit zu kämpfen.

Auch wenn der Zaun für eine Weile Sicherheit schaffen mag, wird diese auf keinen Fall andauern. Mauern sind nicht unüberwindlich. Raketen können über sie hinwegfliegen. Menschen können sich unter ihnen hindurchgraben. Außerdem wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Israelis und Juden auf der ganzen Welt angegriffen werden. Israel hat nur eine Möglichkeit, Sicherheit zu finden. Die Ausbeutung palästinensischen Landes muss beendet, die Idee von Großisrael muss aufgegeben werden. Es muss eine Lösung gefunden werden, die den Palästinensern ihre Freiheit gibt.

Dorothy Naor ist Initiatorin des Mas’ha Camp gegen den Bau des Zauns