Fathers in Arms

Seit Ausbruch der zweiten Intifada stagniert die israelische Wirtschaft. Aber immerhin boomt der Sicherheitssektor. von deniz yücel

Viele Jobanzeigen stehen da nicht drin«, sagt Asaf Ben Yair und wirft die Zeitung achtlos auf den Tisch. »Aber einen Job bei einer Sicherheitsfirma, den findet jeder, der in der Armee war.« Eine Waffe bedienen zu können und nicht vorbestraft zu sein, sind die einzigen Qualifikationen, die jeder Bewerber für einen Job in der Sicherheitsbranche mitbringen muss.

Auch Asaf hat gedient, zwei Jahre als Busfahrer, unter anderem im Libanon. »Doch auf einen Menschen schießen musste ich noch nie«, sagt er und küsst drei Finger. »Ich danke Gott dafür und hoffe, dass es so bleibt.« Mit seiner rundlichen Statur und seinem breiten Cowboyhut wirkt der Mittdreißiger wirklich nicht wie eine Kampfmaschine. Auch das Backgammonbrett auf seinem Tisch deutet darauf hin, dass Asaf einen ruhigen Job hat. Doch er ist nicht nur Kassierer eines mäßig frequentierten Schwimmbads im israelischen Kernland, er ist zugleich der örtliche Wachmann, weshalb vom Gürtel seiner knielangen, abgewetzten Jeans eine Pistole baumelt. Asaf wurde in Israel geboren, er spricht ein wenig Arabisch, sein Vater stammt aus Marokko. Er erzählt von einem marokkanischen Juden, der ihn mal durch die Geburtsstadt seines Vaters geführt hat. »Eines Tages hörte ich von einem Anschlag auf eine Synagoge in Casablanca. Mein Freund war unter den Toten.« Was er dabei empfindet? »Trauer, aber keinen Hass. Ich hasse niemanden. Ohne Liebe kannst du nicht leben.«

Männer wie Asaf gehören zum Erscheinungsbild israelischer Städte. Frauen sind in dieser Branche viel seltener. Mal in die jeweilige Uniform der vielen privaten Sicherheitsfirmen gekleidet, mal die Waffen dezent unter ziviler Kleidung versteckt, stehen die Männer überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen: Einkaufszentren, Märkte, Busbahnhöfe, Banken, Kinos, Clubs, Fabriken, sogar einzelne Bushaltestellen. Offiziell gibt es 25 000 Wachleute, aber auch Alisa Preleg vom staatlichen Statistikamt ist überzeugt, dass die tatsächliche Zahl sehr viel höher liegt. Cafés und Restaurants sind zwar nicht gesetzlich zu bewaffneten Einlasskontrollen verpflichtet, aber die meisten führen sie dennoch durch, »weil die Gäste sich sonst unsicher fühlen«, meint Gil Klayman von der israelischen Polizei.

An manchen Orten, etwa vor »Haoman 17«, dem größten Club Jerusalems, stehen zusätzlich Polizisten und schwer bewaffnete Soldaten. Und stünden vor der Absperrung nicht lauter junge Leute im modischen Ausgehdress, man würde vermuten, hinter der Absperrung verberge sich etwas viel Brisanteres als das Tanzvergnügen proletarischer Jugendlicher. Dabei sind die Sicherheitschecks selbst die heikelsten Momente. Wegen der Kontrollen gelangen die Selbstmordattentäter in der Regel nicht in die Gebäude hinein, aber auch jede größere Warteschlange kann zum Anschlagsziel werden. Wie vor einer Stranddisco in Tel Aviv, wo im Juni 2001 ein Selbstmordattentäter 21 wartende Teenager tötete.

Die Israelis haben sich an die Kontrollen gewöhnt und öffnen gleichmütig ihre Rucksäcke und Handtaschen. »Jeden Tag zeige ich meinen Aktenkoffer«, lächelt der Anwalt Oron Schwarz, dessen Kanzlei sich im großen Einkaufszentrum in der Dizengoffstraße in Tel Aviv befindet. »Ich kenne die Wachleute und die kennen mich, aber durchgewunken werde ich trotzdem nicht.«

Kontrolliert wird jeder. »Es gab schon Attentäter, die sich als Orthodoxe getarnt hatten. Und es wäre doch diskriminierend, nur die zu durchsuchen, die arabisch aussehen«, meint Serge Aleso. Er sitzt im Schatten auf einem Stuhl vor einer Filiale der Leumi-Bank in der belebten Allenbystraße in Tel Aviv, gleich neben »My Coffeeshop«, wo sich im März 2002 ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Zuvor hatte das Café keine bewaffneten Türsteher, jetzt stehen dort zwei gleichzeitig.

»Wir sind keine Rambos«, sagt Serge, ein hübscher Mann mit sanften Gesichtszügen. Seine Familiengeschichte ist selbst für hiesige Verhältnisse außergewöhnlich. Seine Mutter stammt aus Polen, sein Vater aus dem Kongo. Sein beruflicher Werdegang hingegen ist typisch: Der Informatiker kam aus dem Süden Israels nach Tel Aviv, fand aber keinen qualifizierten Job. »Ich treffe hier viele Leute und vielleicht springt mal ein Nebenjob heraus.«

Nebru Offer hat seinen Nebenjob bereits gefunden. Tagsüber arbeitet der gelernte Schlosser in einem noblen Lokal in Tel Aviv, abends für einen Club im Industriegebiet am Stadtrand. Wie viele seiner Securitykollegen gehört Nebru zu den rund eine Million zählenden Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach 1990 nach Israel eingewandert sind. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten mit der Sprache, oft zählen ihre beruflichen Qualifikationen nicht viel. Wer nicht in den Nischen der Subökonomie unterkommt, arbeitet eben als Security.

»Das ist ein Problem«, sagt Dov Chen grimmig. »Die Russen und die Äthiopier sind erst seit gestern im Land und können einen orientalischen Juden nicht von einem Palästinenser unterscheiden. Aber ich kenne die Araber, ich bin mit ihnen in Jerusalem aufgewachsen.« Während er spricht, richtet sich sein Blick in die Ferne, ganz so, als rechne er jeden Moment mit ein Angriff auf das Hotel, das er bewacht. Wie John Wayne steht Dov vor der Eingangstür, die Hand stets in unmittelbarer Nähe seiner Pistole der Marke Jericho, einem israelischen Fabrikat, wie er stolz erklärt. »Die meisten Securitys machen einmal im Jahr das obligatorische Schießtraining, aber ich gehe einmal in der Woche schießen und mache Krafttraining.«

Dem muskulösen, untersetzten Mann Ende Dreißig scheint seine Arbeit zu gefallen, aber auch er hat mal was anderes gemacht. Über zehn Jahre lang hat er Touristen nach Bethlehem und Jericho gefahren. »Ich war selbstständiger Reiseunternehmer und hatte gerade in einen neuen Reisebus investiert, als die zweite Intifada losbrach. Die Touristen blieben weg, ich konnte die Raten nicht mehr bezahlen. Die Bank hat dann den Bus verkauft – zur Hälfte des Kaufpreises.« Um die 10 000 Shekel im Monat hat er als Reiseunternehmer verdient und lag damit über dem israelischen Durchschnittseinkommen von derzeit rund 7 200 Shekel. Sein neuer Job bringt ihm gerade mal 4 000 Shekel ein. »Ich verstehe die Araber nicht«, sagt er kopfschüttelnd. »Der Terror kostet nicht nur unsere, sondern auch ihre Jobs.«

Seit der zweiten Intifada ist die offizielle Arbeitslosenrate von 8,8 auf 11,2 Prozent gestiegen. Die reale Arbeitslosigkeit dürfte höher sein, jedenfalls erinnern viele israelische Restaurants und Geschäfte an die Lage in den verblichenen realsozialistischen Staaten, wo sich die Zahl der Mitarbeiter und Kunden in etwa die Waage hielt.

Vor dem »Nocturno« gibt es keine Sicherheitskontrollen, nach Angaben des Betreibers Amit Schechter ist das sehr selten in ganz Jerusalem. »Diese Bar ist eine Insel, unser Publikum will hier keinen Stress«. In der kleinen alternativen Bar sitzen schwule Männer in Trainingsanzügen neben Orthodoxen mit Schläfenlocken. An der Theke hockt der 23jährige Dan Domnin, lange Haare, Jeans, schmächtige Figur. Seinen Militärdienst hat er hinter, sein Biologiestudium noch vor sich. Dazwischen arbeitet er als Wachmann in einer Computerfabrik. »Der Job ist schlecht bezahlt und total hirnlos, aber man muss nehmen, was man kriegt.« Sein persönliches Risiko hält er für gering. »Natürlich sorge ich mich, aber etwas Besonderes ist das hier nicht. Letztlich ist jeder in Israel irgendwie gefährdet, man gewöhnt sich daran und denkt nicht ständig darüber nach.«

Ob sich die immense Bewaffnung der Gesellschaft nicht auf den sozialen Umgang auswirkt? Schließlich besitzen auch viele Privatleute Waffen. »Vielleicht ist man als Israeli so sehr mit Gewalt und Tod konfrontiert, dass die Leute verantwortungsvoller mit ihren Knarren umgehen. Die Siedler mögen etwas anderes sein, aber für die anderen Israelis ist das Leben zu kostbar, als dass sie für einen Parkplatz jemanden töten würden.«