Häschen in der Heiligen Stadt

Die Gay Pride Parade in Jerusalem ist den Rechtsextremen und Ultra-Orthodoxen ein Dorn im Auge. von itai gal
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Im Vergleich zur fast dreißigjährigen Geschichte der israelischen Schwulenbewegung, die ihren Ursprung im säkularen Tel Aviv hat, ist die noch junge Geschichte der Schwulenbewegung in Jerusalem eher stürmisch und extrem politisch. Am 3. Juni fand die Gay Pride Parade zum dritten Mal in der israelischen Hauptstadt statt. Ungefähr 1 500 Menschen zogen vom Zionsplatz im Stadtzentrum Westjerusalems bis in den Paamon-Park, wo beim anschließenden Happening 3 000 Menschen gezählt wurden. Das Motto der Parade lautete wie in jedem Jahr »Liebe ohne Grenzen«.

Tatsächlich symbolisiert die Parade in Jerusalem die gesellschaftliche Öffnung gegenüber Homosexualität, ein reifer gewordenes Israel, das mit der Aufhebung von homophoben Gesetzen aus der britischen Mandatszeit nun die Konfrontation mit den konservativen, rechtsgerichteten und rassistischen Kräften nicht scheut.

Und doch würde ein Pessimist sagen, dass die jüngsten Spannungen und die Polemiken der extremen Rechten gegen die Parade mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck und steigender Intoleranz gegenüber jedweden Minderheiten einhergehen. In Krisenzeiten, in denen man kaum von Stabilität sprechen kann, ruft das Fremdartige, Unbekannte bei vielen Menschen intensive und existenzielle feindliche Assoziationen hervor. So gehört die Parole »Ohne Perverse keine Terroranschläge« bei den rechtsextremen Gegendemonstranten der Kach-Bewegung, die sich jedes Jahr einfinden, zum Standardrepertoire. Und jedes Jahr werden ihre Übergriffe intensiver und sind von größerem Ausmaß. Auch in diesem Jahr kam es vor der Parade zu einer Reihe von homophoben Übergriffen, die zum Ziel hatten, die Demonstration zu sabotieren.

Im Unterschied zu den vergangenen Jahren erhielten die Gegner der Parade diesmal Unterstützung von der im letzten Jahr neu gewählten Stadtverwaltung unter der Führung des ersten ultraorthodoxen Bürgermeisters, Uri Lupolianski von der Agudat-Yisrael-Partei. Dieser macht keinen Hehl aus seiner feindlichen Gesinnung gegenüber Homosexuellen. Nach heftiger Kritik der Organisatoren der Parade vom Jerusalem Open House, dem Zentrum für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle in der Stadt, bezeichnete er Homosexuelle in der Tageszeitung Ha’aretz als »hässliches Phänomen, das nicht sein darf«. Ferner gab er zum Besten: »Wenn ich die gesetzlichen Mittel dazu gehabt hätte, eine Parade zu verhindern, welche der Stadt und ihren Bürgern einen derartigen Schaden zufügt, hätte ich sie verhindert. Ich habe es versucht, aber mir wurde klar gemacht, dass ich keine Befugnis dazu habe.«

Gleichzeitig kommt es vermehrt zu Übergriffen von Rechtsextremen. In der Woche vor der Parade hingen in ganz Jerusalem Wandzeitungen mit folgendem Wortlaut aus: »Mutter, ich habe gehört, dass die bösen Leute, welche den kleinen Kindern in öffentlichen Parkanlagen auflauern, um ihnen Böses, Sodomistisches anzutun, beschlossen haben, eine Parade in den finsteren Parks abzuhalten. Vater! Mutter! Lasst sie nicht auf die Straße gehen! Hilfe, ich fürchte mich!« In weiteren Wandzeitungen wurde der offen schwule Stadtratsabgeordnete Sa’ar Nethanel von der linksliberalen Yahad (früher Meretz)-Fraktion diffamiert und seine Telefonnummern wurden veröffentlicht. Als Reaktion auf diese Diffamierungskampagne erwiderte Nethanel, sie sei ein Beweis dafür, wie sehr Jerusalem einen toleranten Stadtratsabgeordneten benötige, der der schwul-lesbischen Gemeinschaft angehöre, und wie wichtig die Parade für die Stadt geworden sei: »Jerusalem benötigt das, was unsere Regenbogenfahne symbolisiert. Nach all dem Blutvergießen, dem Sterben, dem Rassismus verlangt die Stadt nach ein wenig Erbarmen. Aber die Stadtverwaltung will das nicht, sie bevorzugt Schwarz und nicht unsere Farben.«

Als ein von Nethanel organisierter Empfang im Rathaus aufgrund »logistischer« Probleme abgesagt wurde, die Stadtverwaltung ihre vorjährige Abmachung, Regenbogenfahnen entlang der Marschroute aufzuhängen, nicht einhielt und dem Jerusalem Open House auf höchster gerichtlicher Ebene eingeklagte Gelder weiterhin vorenthielt, rief der Abgeordnete all jene auf, zu der Parade zu kommen, denen etwas an den Menschenrechten liegt. »Dieser Konflikt ist längst nicht mehr nur ein Konflikt in Jerusalem, sondern betrifft jeden, der die Toleranz den finsteren und fanatischen Kräften vorzieht. Am Ende haben wir Recht, und wir werden siegen«, schloss er seinen Aufruf.

In der Tat erhielt die Jerusalemer Pride Parade schon längst politischen und gesellschaftlichen Symbolcharakter, denn bei keinem anderen Ereignis in Israel marschieren orthodoxe Männer gemeinsam mit Soldaten, Mitgliedern vieler verschiedener ethnischer Gruppen und sozioökonomischer Schichten und – nicht zu vergessen – palästinensischen Bürgern Ostjerusalems.

Am Rande der diesjährigen Gayparade war ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift: »Jerusalem is the Holiest City in the World – Jerusalem is not San Francisco, Paris, Berlin.« Auch wenn das Plakat auf der Gegendemonstration getragen wurde, so widerspricht seine Botschaft keineswegs den Werten, für die die Parade steht: Jerusalem hat tatsächlich eine einmalige Bedeutung, und das gleich für drei monotheistische Weltreligionen. Die Parade stellt einen Versuch dar, die Stadt allen Menschen verfügbar zu machen, eine Atmosphäre und ein Ereignis zu schaffen, das Menschen in der vom Terror gequälten Stadt wieder auf die Straßen lockt. So sagte eine Repräsentantin der Gruppe palästinensischer Lesben, sie hätten sich entschieden mitzumarschieren, »um uns sichtbar zu machen und auf die Diskriminierung von Frauen aufmerksam zu machen.«

Auf die Denunziationen und homophoben Ausfälle gegen die Gay Pride Parade reagieren die Betroffenen inzwischen immer souveräner. Zum Beispiel, als der Rabbiner David Kazri im Nachrichtenportal ynet.co.il seine Ansichten zur Homosexualität zum Besten gab. Sie sei, meinte Kazri, keine Krankheit oder Perversion, sondern das pure Grauen: »Sogar Tiere verhalten sich nicht so. Zur Strafe werden die Homosexuellen in ihrem nächsten Leben als Hasen und Kaninchen zurückkehren.« Die Mitglieder der Studentenvereinigung »The Other 10 Percent« an der Hebräischen Universität nahmen es von der humoristischen Seite und trugen Häschenohren mit der Aufschrift »Häschen bereits in diesem Leben«. Hagai El-Ad, Geschäftsführer des Jerusalem Open House, richtete folgende Botschaft an das im Paamon-Park versammelte Publikum: »Guten Abend auch an die Stadtverwaltung, die unsere Fahnen nicht toleriert. Das ist unsere fröhliche Antwort an sie.« Und nicht die letzte. Im nächsten Jahr soll in der Heiligen Stadt die »World Pride 2005« stattfinden.

Der Autor ist Mitarbeiter des deutsch-israelischen Online-Magazins hagalil. Weitere Infos zu Homosexualität in Israel: http://www.glbt-news.israel-live.de