Vereitelte Anschläge?

Leben mit dem Terror

Mehr Verhaftungen, weniger Anschläge. Auf diesen einfachen Nenner brachte Aharon Ze’evi, der Chef des militärischen Geheimdienstes, vergangene Woche die Ergebnisse der Arbeit der israelischen Armee. 42 potenzielle Selbstmordattentäter der Hamas und anderer Terrororganisationen seien im ersten Halbjahr 2004 verhaftet worden. 72 Anschläge wurden demnach vereitelt, »nur« zehn Suizidbomber schafften es, die Grenzen zwischen palästinensisch und israelisch bewohntem Gebiet zu passieren. Ze’evis Resümee: Im Vergleich zu den Vorjahren konnten die Angriffe auf die israelische Bevölkerung beachtlich reduziert werden. Die Zahl der Toten ist gesunken.

Ist es das, was Leo meint, wenn er sagt, der Terror sei »auf ein Maß zurückgegangen, mit dem man leben kann«? Leo ist Latino und vor zwölf Jahren nach Israel gekommen. Knappe 500 Meter von seiner Wohnung entfernt, am Rande der Jerusalemer Innenstadt, laufen wir an einer Bar vorbei, in der sich Leute aus der linken Szene treffen. »Die Kneipe entstand neu, nachdem sie vor zwei Jahren ein Bombenanschlag zerstörte«, erklärt er. Heute sitzen wieder junge Frauen und Männer auf der Terrasse der Bar, trinken Bier, knutschen, lachen. Die ständige Angst versteckt sich hinter einer Kulisse, die »Normalität« antizipieren soll. »Normalität«, die es nicht gibt.

Keine drei Querstraßen weiter bleiben wir an einer Kreuzung stehen. »Hier ist zu Jahresbeginn der letzte Bus in die Luft gegangen«, erzählt Leo. Viele Studenten und Studentinnen benutzen die Linie, denn sie führt zu einer der Universitäten. »Ein Bekannter hat im voranfahrenden Bus gesessen, ein anderer im nächsten«, erinnert er sich. Sie hatten Glück. Er selbst hat wie jeder hier seine private Überlebensstrategie, die sich zwischen Fatalismus, Zynismus und Realismus bewegt: »Ich steige nur in einigermaßen leere Busse ein. Die lohnen sich nicht für die Selbstmordattentäter.« Seine Arbeit hat er an eine andere Uni verlegt, um sich nicht unnötig in der Stadt bewegen zu müssen.

In den letzten Monaten hat es keine Anschläge im Zentrum gegeben. Langsam öffnen die Cafés und Diskos wieder ihre Pforten, Nachtleben ist angesagt, und Leo schaltet nicht immer gleich die Nachrichten ein, sobald seine Freundin in dieser Gegend was zu erledigen hat. Wie lange das so bleibt, weiß niemand. Auf welche Perspektive sollte man hoffen? Auf Entspannung, wo der schlagkräftigste Teil der anderen Seite weiterhin die Eskalation will? Auf einen militärischen Sieg über antisemitische Organisationen, die ihre Stärke aus der Verankerung in der Bevölkerung ziehen?

Über 900 Israelis wurden seit dem Beginn der zweiten Intifada ermordet, und auch die Erfolgsmeldungen der Armee können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den palästinensischen Gebieten täglich neue Suizidbomber ausgebildet werden. Nach Angaben israelischer Behörden wurde in Nablus jüngst ein 15jähriger Junge verhaftet, der ausgesagt habe, erfolgreich Gleichaltrige als Selbstmordattentäter angeworben zu haben. Und der Geheimdienstler Ze’evi meldete, dass in diesen Tagen an der Grenze zum Gazastreifen sechs Suizid-bomber festgenommen wurden, die ihre tödliche Ladung simultan zur Explosion hatten bringen wollen. Die Anschläge wurden vereitelt, die Angst bleibt.

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