Ganz oben auf der Liste

Nach dem Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh sehen sich die Niederlande vom Jihad-Terrorismus betroffen. Diskutiert wird nun über den Umgang mit radikalen Islamisten. von udo van lengen

Die Idee zu dieser Szene hätte von einem niederländischen Regisseur kommen können. Ein dicker Mann auf einem Hollandrad trudelt gemächlich durch eine pulsierende Einkaufsstraße von Amsterdam. Ein zweiter Radfahrer, gehüllt in eine Dschellaba, folgt dem Dicken mit gezückter Pistole, streckt ihn kurz darauf mit sechs Schüssen nieder, springt vom Rad, nestelt ein Messer aus seinem Umhang, sticht auf den bereits leblosen Körper ein und heftet zuletzt mit einem wuchtigen Messerhieb einen Brief an den Brustkorb des Opfers. Stille. Der Mörder spaziert in aller Seelenruhe in den benachbarten Park, als habe er gerade die normalste Sache der Welt erledigt.

Die Idee ist Realität geworden, bevor sie gedacht wurde. In allen Einzelheiten geschah dieser spektakuläre Mord an dem niederländischen Filmemacher und Berufsprovokateur Theo van Gogh am Dienstag vergangener Woche in Amsterdam. Über das Motiv schweigt Mohammed B., der unter Mordverdacht festgenommene Mann, der sowohl einen niederländischen als auch einen marokkanischen Pass besitzt. Politiker sowie Freunde des Getöteten bezeichneten die Tat als »feigen Anschlag auf das freie Wort«.

Van Gogh war landesweit bekannt wegen seiner streitbaren Kolumnen, in denen er gnadenlos über andere herzog. Muslime im Allgemeinen und Muslimfundamentalisten im Besonderen kritisierte er scharf und provozierte er am liebsten: »Bei Muslimen stehst du ganz oben auf der Liste, durch ihr herbeigesehntes Exekutionskommando die Segnungen Allahs zu schmecken. Diese Gläubigen finden Schwule genauso unrein wie Frauen, die ihre Tage haben, oder andere Ungläubige, die nicht den Werten und Normen des Ziegenfickers aus Mekka genügen.« Mit den Emotionen, die solche Texte verursachten, spielte er genüsslich: »Die Kugel werden sie mir nicht geben. Ich glaube, dass sie denken, ich sei der Dorftrottel. Warum sollte man den erschießen?« sagte er über sich selbst in einem Radiointerview.

Da van Gogh von einem Muslim erschossen wurde, verlangen nun viele Niederländer ein kompromissloses Vorgehen gegen Muslime. Stellvertretend für viele fragt sich der Schriftsteller Joost Zwagerman: »Bist du rechts, bist du nicht politisch korrekt oder intolerant, wenn du nach dem barbarischen Mord an van Gogh ängstlich auf der Hut bist, wenn dir auf der Straße oder anderswo ein Muslim oder ein Marokkaner entgegenkommt?« Dass die marokkanische Minderheit den Mord genauso erschüttert hat wie den Rest des Landes, ist zweitrangig. Differenzieren oder aufeinander zugehen ist nicht länger angesagt. Zumal einige pikante Details über den Täter bekannt werden. So gab der niederländische Nachrichtendienst AIVD zu, dass Mohammed B. kein Unbekannter sei. Er gehöre zum Umfeld einer »extremistischen muslimischen Gruppierung«, gegen die man schon länger ermittele. Es habe aber keine Anzeichen für einen bevorstehenden Anschlag gegeben, betonte der AIVD. Der Brief, den Mohammed B. am Leichnam von van Gogh zurückgelassen hat, ist das wichtigste Indiz, dass der Filmemacher wegen seiner Äußerungen über den Islam hingerichtet wurde. Die Formulierungen darin würden nahtlos an den internationalen Jihad anschließen, sagen die Ermittler. In dem Brief wird den USA, Europa, den Niederlanden und den Ungläubigen im Allgemeinen der Krieg erklärt.

Wie polarisiert die Stimmung in den Niederlanden ist, musste der Bürgermeister von Amsterdam, Job Cohen, erfahren. Er sagte auf einer spontanen Gedenkveranstaltung für den Toten, man habe für diesen Mord keine Worte, aber auch keine Taten parat. Wegen seiner vorsichtigen Worte wurde Cohen von Umstehenden als mietje (»warmer Bruder«) bezeichnet. Schon vorher meinte er, seine Aufgabe als Bürgermeister sei, »den Laden zusammenzuhalten«. Aber was passiert, wenn »im Laden« Menschen sind, die ihn explodieren lassen wollen, fragen sich Cohens Kritiker. Sie verlangen Worte und vor allem Taten, die nicht nur gegen Mohammed B. gerichtet sind, sondern auch gegen alle, die ihn in irgendeiner Art unterstützten. Oder vielleicht gleich alle Muslime ausweisen?

Solcher Unmut war in den vergangenen Tagen auf den Straßen spürbar. Das Regierungsviertel in Den Haag wurde am Tag der Tat abgesperrt, nachdem sich dort eine große Menschenmenge versammelt und Parolen gegen Muslime gerufen hatte. Kondolenzbücher im Internet ersticken nahezu an den vielfältigen rassistischen Reaktionen. Allein bei condeleance.nl wurden von insgesamt 15 000 Eintragungen zum Tode van Goghs 5 000 wegen diskriminierender Inhalte gelöscht.

Die Atmosphäre in den Niederlanden nach dem Mord an Theo van Gogh erinnert an die aufgeregten Maitage 2002, als der Rechtspopulist Pim Fortuyn erschossen wurde. Es gibt einige Parallelen zwischen van Gogh und dem Politiker. Fortuyn behauptete von sich, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, und freute sich über jede gelungene Provokation des politischen Establishments, »die linke Kirche«, wie er es nannte. Zu den vielen Bewunderern gehörte auch Theo van Gogh. Fortuyns Credo, dass der Islam eine rückständige Kultur sei, entsprach dem Geschmack des Filmemachers.

Und doch gibt es einen wichtigen atmosphärischen Unterschied zu der Situation vor zweieinhalb Jahren, der weitreichende politische Konsequenzen haben könnte. Der Täter ist diesmal tatsächlich ein Muslim, so wie man es beim Mord an Fortuyn vermutet oder befürchtet hatte. Was nun? Den Tenor gab Jozias van Aartsen, der Fraktionsvorsitzende der Rechtsliberalen, vor: »Der Jihad-Terrorismus hat die Niederlande erreicht.« Und der Vizeministerpräsident Gerrit Zalm, ebenfalls von den Rechtsliberalen, sagte: »Wir erwidern die Kriegserklärung. Wir werden den Kampf so lange führen, bis radikal-islamitische Gruppen aus den Niederlanden verschwunden sind.«

Das Kabinett hat die ersten taktischen Besprechungen bereits hinter sich. Der AIVD erhält mehr Geld, es soll schneller Personenschutz für bedrohte Menschen geben, und Kriminellen mit doppelter Staatsangehörigkeit soll die niederländische Nationalität umgehend entzogen werden, um sie zügig abschieben zu können.

»Der Mord an Theo geschah genau 911 Tage nach dem Mord an Pim Fortuyn«, hat einer an der Stelle, wo van Gogh starb, auf ein Transparent geschrieben. Die brennenden Türme in New York, die Schüsse in Amsterdam und in Hilversum, wo Fortuyn ermordet wurde, gehören für den unbekannten Autor zusammen. Diese unheimliche Aufzählung will sagen: Es tobt ein Kampf auf Gedeih und Verderb zwischen dem Westen und dem Islam, obwohl es ein Tierschützer war, der den Rechtspopulisten niederstreckte. Aber an der Stimmung in den Niederlanden hätten Fortuyn und van Gogh ihren Gefallen gehabt. Pauschalisieren, provozieren, polarisieren waren ihre liebsten Tätigkeiten. Ihr Erbe belebt die Niederlande.