Die Härte und die Panik

Arbeiten im Discounter von felix klopotek

Warum eigentlich tut sich Lidl so schwer mit Betriebsräten und Arbeitnehmerrechten? Der Discounter boomt und ist stolz darauf, allein in den vergangenen drei Jahren 20 000 neue Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Warum riskiert man, dass diese Erfolgsgeschichte durch Skandalgeschichten, wie sie das »Schwarzbuch Lidl« dokumentiert, befleckt, vielleicht sogar dauerhaft beschädigt wird? Warum funktioniert hier die Sozialpartnerschaft nicht, wie man sie (noch) aus der großen Industrie kennt?

Die Sozialpartnerschaft war ja kein Geschenk der Kapitalseite an die Arbeiter, sondern das Ergebnis eines Klassenkampfes. Ein kapitalkonformes Ergebnis; aber auch ein die Kapitalverwertung regulierender, einschränkender Faktor. Gibt es die Möglichkeit, sich dieses Faktors zu entledigen, wird es die Kapitalseite tun. Daimler-Chrysler, Siemens, Opel und VW haben es in diesem Jahr vorgemacht, Standortlogik und Globalisierungsrhetorik machen’s möglich. Die Sozialpartnerschaft der vergangenen 30 Jahre ist ein Auslaufmodell, und warum soll sich Lidl die gewerkschaftlich regulierten Verhältnisse ins Haus holen, die die große Industrie gerade abschafft?

Aber es gibt noch einen tiefer liegenden Grund. Das Kapital hat den Industriearbeitern durchaus zugestanden, dass sie Wert schaffen. Welchen Wert aber schafft eine Verkäuferin bei Lidl? Ein Lagerarbeiter bei Peek & Cloppenburg? Der Fahrer, der das Gemüse zu Aldi bringt, oder die Putzkolonne, die die Firmenzentrale von Siemens reinigt? Sie zehren vom Mehrwert, der in der Industrie produziert wird.

Dementsprechend legitimiert sich der demütigende, zügellose Umgang mit den Arbeitern in der so genannten Dienstleistungsindustrie. Sie sind nur notwendiges Übel, ein Rädchen im Getriebe, das reibungslos funktionieren muss. Es gibt für sie keine Aufstiegschancen, noch nicht einmal den Stolz des Facharbeiters.

Gleichwohl wird die kleinste Verfehlung geahndet. Eine nicht eingehaltene Telefonierregel im Call Center, eine außerplanmäßige Zigarettenpause beim Discounter, und schon ist man den Job los. Eine paradoxe Situation, bei der sich angebliche Nutzlosigkeit und tatsächliche Rechtlosigkeit verschränken.

Der Pointe daran ist, dass sich nun mal kein Mehrwert von alleine realisiert. Die Waren müssen auf den Markt, und sie müssen dort adäquat verkauft werden können. Der Durchgang des Wertes durch den Markt, damit der Wert sich in Geld umsetzt, ist eine für das Kapital äußerst prekäre Angelegenheit, zumal in Zeiten der strukturellen Absatzkrise. Sehr wohl kommt es also auf die »Dienstleister« an. Je flexibler der Markt organisiert wird, um immer neue Konsumanreize zu schaffen, desto anfälliger wird er für Störungen. Für einen Streik der Verkäuferinnen zum Beispiel.

Die Zeit berichtete Ende November von einer Begebenheit beim US-amerikanischen Discounter Wal-Mart: »Im Jahr 2000 gelang es für kurze Zeit einer Gruppe von 15 Wal-Mart-Fleischern in Palestine, Texas, sich gewerkschaftlich zu organisieren – zwei Wochen später schloss Wal-Mart sämtliche Fleischtheken in Amerika.« So zynisch das klingt, aber man kann das als gute Nachricht begreifen. In der Härte, mit der das Kapital auf die kleinsten Anzeichen von Selbstbewusstsein und Organisation der Arbeiter reagiert, spiegelt sich Panik.