Magnolien blühen im Tränengas

Der chilenische Autor Pedro Lemebel hat einen wunderbaren Roman über eine schwule Liebe in Zeiten der Diktatur geschrieben. von ingo flothen

Wir schreiben das Jahr 1986 in Santiago de Chile, 13 Jahre nach der Ermordung Allendes. Die Patriotische Front Manuel Rodriguez (FPMR) hat auf Pinochet ein Attentat verübt. Der Staatspräsident entkommt im gepanzerten Mercedes. Der Diktator trägt ein paar Schrammen davon, mehr nicht. Und inmitten all der revolutionären Wirren, der brennenden Autoreifen, der Tränengasschwaden und prügelnden Schergen steht ein Liebespaar, zerbrechlich, anmutig und verrückt. Das Schönste, das die Literatur derzeit zu bieten hat. Er, ein marxistischer Macho-Guerillero, heißt Carlos, und sie – sie ist ein Mann, sie ist die »Tunte von der Front«. Ein Paar, das es wirklich gab. Das behauptet zumindest der Autor Pedro Lemebel, das von Vargas Llosa geadelte Bastard-Genie der Literatur Chiles und der schillerndste Transvestit Santiagos.

Eines Tages bricht der Student Carlos ein in die Vorstadtwelt des schwulen Paradiesvogels, mit Lilienmund und dunkelvioletten Augen, so schön wie ein Meeressmaragd. Ein Domizil für ihn und seine Freunde von der Universität wird gesucht, doch ein Unterschlupf für Konspiratives ist gemeint. Für mehr noch: für Waffen und Munition. Kisten um Kisten werden herbeigeschleppt, und mit Tuntenphantasie und Hollywoodeifer wird drapiert und kaschiert, spitzengesäumte Überzüge aus Taft verbergen Schwerkalibriges, und Tüll und Schleifen und Geklöppeltes machen aus dem militanten Arsenal ein Bühnenbild par excellence. Und irgendwann, während das Kistenwohnzimmer zum orientalisch geschmückten Operettenpalast wird, ist es um sie geschehen, und peng: Die schönste Liebesgeschichte seit Romeo und Julio beginnt!

Was hier gegeben wird, ist große Literatur, großes Kino.(Almodóvar, schnell, reiß’ dir die Rechte unter den Nagel!)

Es wäre müßig, von Lemebels Technik zu sprechen, vom Crossover der Stile, vom Mix der Gattungen, vom cinematografischen Schnitt – das können andere auch. Doch keiner feiert so überbordend-exaltiert, so französisch-degoutant le kitsch als hehre Kunstform wie er. Und so gekonnt. Das literarische Geschehen nimmt zwar seinen revolutionären Gang, und in satirischen Einblendungen dürfen wir auch einen Blick werfen auf das Spießerheim der Pinochets – Augusto dröhnt sich die Birne mit Hardcore-Märschen zu, Lycia betet verzückt ihre Hausgötter an: Chanel, Dior und Nina Ricci –, doch Lemebel zelebriert viel lieber mit feierlichem Ernst und heiligem Tuntenpomp seine ganz eigene Lesart der condition humaine.

Und die geht so. Zuerst: der Blutsturz der Liebe, dann – als Juwelen des Schmerzes verkauft – das Salz der Tränen, schließlich, immer das gleiche: der Abschied. Stigma einer abgewrackten Tunte nur?

Mitnichten, denn wenn zuletzt die Trauer als Heilmittel nachgereicht wird, dann wissen wir endgültig: Das Tuntenfatum ist Menschenschicksal. »Lass mich doch traurig sein, ich weiß keinen anderen Weg, um das Glück so auszupressen, dass ich hinterher nicht leiden muss.«

Doch Lemebel weiß nicht nur, mit stiller Würde und humoriger Welterfahrung, die Litanei des Schmerzes zu singen, sondern auch – welch Wunder: das Hohelied der Zärtlichkeit, besonders feierlich intoniert, wenn die Tunten-Mater-Seele dem schlaftrunkenen Revolutionär amouröse Dienste erweist : »Es ist wie Singen, schloss sie, es ist, wie Carlos eine Liebeshymne direkt ins Herz zu singen.«

»Träume aus Plüsch«, diese mit Komödiantenschwulst erzählte und von Matthias Strobel kongenial übertragene Groschenromanliebe in Zeiten der Diktatur, erweist sich nicht zuletzt jedoch auch als kleiner Entwicklungsroman. Gänzlich unpolitisch lebt die Tunte in ihrem kreppseidenen Schloss dahin, in dunklen Straßen jagt sie flüchtigen Erektionen nach, zuhause singt sie gefühlsduselige Lieder wie aus einem altmodischen Bordell, und für die Generalsgattinen in den Villenvierteln Santiagos bestickt sie – es ist ihr Lebensunterhalt – Tischtücher und Bettlaken. Doch mit dem umstürzlerischen, nach dem Leben des Diktators trachtenden Prinz Carlos kommt so etwas wie Bewusstsein bei ihr auf, er weckt ihr politisches Gewissen, und von nun an weiß sie sich einen Weg zu bahnen durch Polizeicordons und Tyrannei. Und auch privat: Das so genüsslich ausgebreitete Schmachten und Sehnen wird schließlich doch als haltlose Emma-Bovary-Schwärmerei, als Träumen auf Pump in der Luft zerfetzt, das Melodram mithin als dummes Märchen entlarvt. »Wenn man Liebe spielt, läuft man Gefahr, dass man sich irrt.«

Trotzdem: Den gefühligen »Casablanca«-Abgang lässt sich Lemebel nicht nehmen. Schließlich weiß er nur allzu gut: Abschied heißt immer auch ein wenig sterben, bestens geeignet also für ein Showdown im Cinemascope-Format. Kein Flugzeughangar zwar, kein nächtliches Rollfeld, nur ein kleines Taxi am Meeresstrand. Doch immerhin: Die Frage aller Fragen erklingt im Raum. Indes: »Dein Schweigen sagt mir schon Lebwohl.« Trost allein bleibt uns mit betörenden Sätzen wie diesen: »Es war das Ende, die Liebesgeschichte verlor ihre Blätter wie eine Magnolie, die von einem Auto plattgefahren wird.«

Pedro Lemebel: Träume aus Plüsch. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004, 201 S., 8,50 Euro