Ne touche pas à mon copain

Frankreich verabschiedet ein Gesetz gegen Homophobie. von bernhard schmid

Schützt mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden schütze ich mich selbst.« Das mag sich manches Regierungsmitglied während der jüngsten Debatte in der französischen Nationalversammlung gedacht haben.

Dort wurde in der vergangenen Woche ein Gesetz gegen homophobe und sexistische Beleidigungen beschlossen, das ähnlich wie die bereits bestehenden Regelungen zum Schutz vor rassistischen, antisemitischen sowie die Shoah leugnenden Äußerungen funktioniert.

Doch eine Reihe von Abgeordneten der konservativen Parlamentsmehrheit zierte sich, dem Vorhaben zuzustimmen.

Der UMP-Parlamentarier von Lille, Christian Vanneste, sah gar gleich »das Überleben der Menschheit in Gefahr«, weil Schwule und Lesben sich nicht fortpflanzen. Der Fraktionsvorsitzende der UMP, Bernard Accoyer, hob schließlich die Fraktionsdisziplin auf und gab »seinen« Abgeordneten Stimmfreiheit.

Am Ende kam die Gesetzesvorlage aber doch noch durch das Parlament, freilich ergänzt um einen Zusatz, der gegen den Willen der Regierung in den Text aufgenommen wurde: Neben Homosexuellen und Frauen als Opfer sexistischer Schmähungen werden jetzt auch Behinderte durch dasselbe Gesetz eigens geschützt. So wollte es die ultrakatholische, dem Vatikan nahe stehende UMP-Abgeordnete Christine Boutin, die bei der Vorstellung ihres Änderungsantrags darauf bedacht war, die verschiedenen zu schützenden Gruppen gegeneinander auszuspielen: »Behinderte haben natürlich keine Lobby«, rief sie aus. Und sie meinte damit offenkundig, dass Schwule und Lesben über eine mächtige Lobby verfügen.

Die Idee, den Schutz vor »Hassdiskursen«, wie er hinsichtlich antisemitischer und rassistischer Hetze bereits besteht, auf homophobe und sexistische Äußerungen auszuweiten, kam im vergangenen Frühjahr auf. Dazu trugen zwei Ereignisse erheblich bei. Das erste war die brutale Aggression gegen den 35jährigen Sébastien Nouchet, der am 16. Januar 2003 in seinem Garten von Unbekannten mit Benzin übergossen und in Brand gesteckt wurde. Dabei erlitt er Verbrennungen dritten Grades, so dass er wegen unerträglicher Schmerzen wochenlang in ein künstliches Koma versetzt werden musste. Sébastien Nouchet und sein Lebensgefährte, Patrice Jondreville, waren drei Jahre zuvor in das ehemalige Kohlerevier Nord-Pas de Calais nahe der belgischen Grenze gekommen, wo Patrice einen neuen Job antrat. Doch in Lens war dem schwulen Paar das Leben zur Hölle gemacht worden, so dass sie in die Kleinstadt Noeux-les-Mines umzogen. Auch dort aber wurden sie wiederholt angegriffen.

Der versuchte Mord von Noeux-les-Mines rief in der Gesellschaft Emotionen hervor. Präsident Jacques Chirac schickte Sébastien Nouchet persönlich einen Brief ins Krankenhaus. Und Mitte März fand eine Demonstration in Paris statt, zu der SOS Homophobie und viele Schwulen- und Lesben-Vereinigungen sowie ein Teil der Linken aufriefen.

Die Aggression gegen Sébastien und Patrice ist typisch für die gegenwärtige Form homophober Gewalt und Diskriminierung. Diese machen sich vor allem in solchen Gebieten bemerkbar, etwa im Krisenrevier Nord-Pas de Calais sowie in bestimmten Zonen Südfrankreichs, wo traditionelle geschlossene Arbeitermilieus implodieren und sich soziale Isolation, aufgrund von Armut und geringer Mobilität, breit macht. Darauf reagieren viele männliche ehemalige Industriearbeiter oder Arbeitersöhne, die sich bisher eine Identität über die Arbeit und eventuell über die kollektive Arbeitersolidarität konstruiert hatten, mit einer aggressiven Verteidigung ihrer in Frage gestellten oder zerbrochenen »männlichen Rolle«.

Weil diese nicht mehr durch die Funktion als Malocher oder »Ernährer« abgesichert werden kann, wird sie bei manchen durch Aggressionen gegen Schwule oder aber gegen die Einwanderer »mit ihren kinderreichen Familien« abgelöst. Denn beide werden jeweils als Bedrohung und Infragestellung des eigenen Rollenverständnisses wahrgenommen. Heute geht die Entfesselung solcher, etwa homophober, Aggressionen mit dem Anstieg der rechtsextremen Wähleranteile in diesen Unterschichtmilieus einher, da die Angebote der Linksparteien – etwa »Klassensolidarität« – dort oft nicht mehr als reale Alternative wahrgenommen werden.

Das zweite Ereignis in diesem Frühjahr war die symbolische Eheschließung zwischen zwei schwulen Männern am 5. Juni in Bègles, einer Trabantenstadt von Bordeaux. Die Heirat wurde gerichtlich annulliert, und die Regierung stellte sich auf den Standpunkt, es handele sich um einen Verstoß gegen geltendes Recht – obwohl der seit Napoléon geltende Code Civil im Wortlaut nur von »zwei Personen« als Voraussetzung für eine gültige Ehe spricht. Aber im Juni war Wahlkampf, kurz vor den Europaparlamentswahlen. Auch der grüne Bürgermeister von Bordeaux, Noël Mamère, wollte mit der von ihm vorgenommenen Eheschließung offenkundig vor allem Publizität gewinnen. Ein Teil der Konservativen ihrerseits stilisierte die Agitation gegen Mamères »Gesetzesverstoß im Amt« zum symbolträchtigen Kulturkampf hoch.

Doch zum Ausgleich musste die regierende Rechte auch Schwulen und Lesben etwas bieten. Zumal einige »moderne Konservative« die jungen und selbstbewussten Homosexuellen als »konsumorientierte Leistungsträger unserer Gesellschaft« und neue Klientel für ihren Wirtschaftsliberalismus entdeckt haben. Diese Schwulen und Lesben, die etwa in Paris im teuer gewordenen Altstadtviertel Le Marais wohnen, leben freilich unter völlig anderen Bedingungen als Sébastien Nouchet. Doch auch in diesem Milieu ist man natürlich an einer Bekämpfung der Homophobie interessiert.

Und so wandte sich Premierminister Jean-Pierre Raffarin im Juni an die Schwulen- und Lesbenvereinigungen mit dem Angebot, man werde ein großes Gesetzeswerk gegen Homophobie auf den Weg bringen. Doch innerhalb der rechten Parlamentsmehrheit gab es Widerstände. Die widerstrebenden Abgeordneten konnten sich gut hinter einem Gutachten der Konsultativkommission für Menschenrechte, CNCDH, verbergen. Dieses offizielle Gremium kam im November zu dem Schluss, im Namen des republikanischen Universalismus sei es nicht gut, neue Spezialvorschriften gegen Homophobie und Sexismus einzuführen: Durch die Vervielfachung von Normen gegen besondere Formen von Diskriminierung drohe die »Universalität der Menschenrechte« aus dem Blick zu geraten, und es drohe die »Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr Communities«.

Eine starke Minderheit unter den rechten Abgeordneten fürchtete jedoch, ihre Ansichten könnten verurteilt werden, wenn Homophobie strafbar würde. Ob denn dann künftig auch das öffentliche Vertreten der Ansicht, die Ehe sei der Vereinigung von Mann und Frau vorbehalten, strafrechtlich verfolgt werden könne, sorgten sich einige. Andere fürchteten, wie der Abgeordnete Jean-Marc Nesme, dass nunmehr eine »Gedankenpolizei« eingeführt und die Idee eines Adoptivrechts für homosexuelle Paare Schritt für Schritt durchgesetzt werden solle – dabei seien »in dieser Gesellschaft nicht Homosexuelle, sondern Kinder besonders bedroht«.