Teure Armut

Tante Emma und die Linke
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Es war so etwas wie eine Grundsatzdiskussion, dabei ging es nur um Kaffee. In unserer WG im besetzten Haus hatten sich zwei Fraktionen gebildet. Die einen verlangten, dass wir nur fair gehandelten Kaffee aus Nicaragua kaufen und trinken sollten, die anderen brachten regelmäßig die »Krönung« vom Supermarkt mit – natürlich geklaut. Beiden Seiten ging es um dieselbe Sache: dem Kapitalismus ein Schnippchen schlagen. Und dabei merkten wir gar nicht, wie – ganz im Gegenteil – der Kapitalismus uns an der Nase herumführte.

Schließlich setzte sich der Billigkaffee durch, einfach weil es sich als praktischer erwies und wir ständig abgebrannt waren. Tolle Revoluzzer waren wir! Heute treffe ich frühere Mitbewohner gelegentlich bei Lidl. Der Kaffe ist so billig, dass man sich nicht mal mehr die Mühe machen mag, ihn zu klauen. Und Nicaragua? Darüber muss man sich ja zum Glück keine Gedanken mehr machen.

Jetzt soll ich mir aber Gedanken um die Lidl-Verkäuferinnen und –Verkäufer machen. Zu Recht wird Solidarität gefordert, nur: Kann ich mir die leisten? Lidl-Boykott? Das bedeutet, zu Kaiser’s gehen. Da wird der Einkaufswagen für 50 Euro aber nur halb voll, bei Lidl ganz.

Dabei sind das Luxus-Probleme, die ich da habe. Denn mitten in einer Großstadt kann ich, wenn ich will, spontan zwischen Aldi und dem Bioladen hin und her switchen. Wer jedoch in einer Kleinstadt lebt, der hat ganz andere Sorgen. Kein Geld bedeutet kein Auto, und kein Auto bedeutet, dass du nie zum Supermarkt am Stadtrand gelangen wirst und deine Einkäufe teuer beim kleinen Coop-Geschäft erledigen musst. »It’s expensive being poor«, heißt es dazu passend in einem Song des britischen Punk-Musikers TV Smith.

Es geht beim Billigbilligdiscount eben nicht darum, auch die Ärmsten am Wohlstand zu beteiligen, sondern denen, die ein halbwegs potentes Konsumentenprofil haben, möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen. Deswegen werden auch die Einkaufswagen immer größer. Wer sich nicht einmal ein Auto leisten kann, der gehört nur noch peripher zur Zielgruppe. Zumindest bislang. In Berlin eröffnete in diesem Jahr die erste innerstädtische deutsche Ikea-Filiale, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist.

Von Udo Jürgens gibt es eine hübsche Hymne auf den Tante-Emma-Laden, bei dem »an der Tür die Glocke klingelt«. Solche romantischen Reminiszenzen an die Mittelschicht hätte man, wenn sie nicht gerade von Udo Jürgens gesungen worden wären, auch in unserer WG seinerzeit hören können. Ja klar, aus heutiger Sicht ist das peinlich. Mittelschicht ist pfui, Discounter sind pfui, Bioladen-Esoteriker sind auch pfui, Geiz ist pfui, Luxus ist pfui. Ja Leute, da bleibt zum Weihnachtsfest wohl nur Selbstgebasteltes. Darüber freuen sich die Lieben ja auch am meisten.

ivo bozic