Unter einem Dach

Die vom US-Kongress beschlossene Geheimdienstreform stärkt die Macht des Präsidenten und schränkt die Bürgerrechte weiter ein. von william hiscott

Sie beschäftigen sich mit Kryptographie, Mohnfeldern und neuen russischen U-Boottechnologien. Einige unterstehen dem Präsidenten, andere dem Pentagon oder dem Finanzministerium. Insgesamt beschäftigen sie schätzungsweise 200 000 Mitarbeiter, verfügen über ein Budget von etwa 30 Milliarden Dollar und sollen gemeinsam die »Intelligence Community« bilden.

Doch die 15 Geheim- und Nachrichtendienste in den USA wachen eifersüchtig über ihren Einflussbereich, sind zurückhaltend beim Austausch von Informationen und konkurrieren um die Gunst der staatlichen Geldgeber. Ihre Unkenntnis der wirklichen Zustände im Irak und ihr Versagen vor den Anschlägen am 11. September 2001 werden nicht zuletzt auf dieses Kompetenzgerangel zurückgeführt.

Die umfassendste Reform der Geheimdienste in den USA seit 1947 soll dem abhelfen. Ihr Kernstück ist die Zentralisierung der Dienste durch ein Nationales Zentrum zur Terrorabwehr und ein direkt dem Präsidenten unterstelltes Nationales Geheimdienstdirektorium. Der Chef des letzteren soll als eine Art Super Spy fungieren und direkt vom Weißen Haus aus die Arbeit aller 15 Geheim- und Nachrichtendienste koordinieren und überwachen. Er wird dem Präsidenten Bericht erstatten über die Spionagetätigkeiten des Landes und geheime Operationen, die bislang dezentral von der CIA, dem Nationalen Sicherheitsrat und dem Verteidigungsministerium organisiert wurden.

Nach der Verabschiedung durch Senat und Repräsentantenhaus in der vergangenen Woche bedarf die Reform nur noch der Unterschrift des Präsidenten. Und George W. Bush wird sich die Chance nicht entgehen lassen, mit dem Gesetz seine Macht zu erweitern. Erwartet wird, dass er noch in dieser Woche feierlich und im Namen der Opfer des 11. September die Implementierung des Gesetzes einleitet.

Die meisten Politiker sehen in dieser Reform einen historischen Wendepunkt im so genannten Krieg gegen den Terror. So kommentierte die republikanische Senatorin Susan Collins: »Das Nationale Sicherheitsgesetz von 1947 wurde verabschiedet, um ein weiteres Pearl Harbor unmöglich zu machen. Genauso wird uns diese Reform helfen, einen weiteren 11. September zu verhindern.« Die Republikaner hatten sich jedoch im Kongress wochenlang über Einzelheiten der Reform gestritten. Zwei führende republikanische Abgeordnete, Duncan Hunter und James Sensenbrenner, hatten den Gesetzgebungsprozess zeitweise blockiert. Sie und weite Teile des konservativen Flügels der republikanischen Fraktionen im Kongress wollten verhindern, dass dem Militär die Entscheidungsbefugnisse über seine Nachrichtendienste entzogen werden.

Die Reform hätte dennoch jederzeit den Kongress passieren können, denn das Gros der Demokraten und der moderate Flügel der Republikaner waren von Anfang an dafür. Die Verabschiedung des Gesetzes durfte aber nach Ansicht der republikanischen Führung, die sich als oberste Instanz der »nationalen Sicherheit« versteht, nicht auf die Stimmen der Opposition angewiesen sein. Vielmehr müsste, sagte der Sprecher des Abgeordnetenhauses Dennis Hastert, eine »Mehrheit der Mehrheit« hinter der Reform stehen.

Mit Hilfe des Vizepräsidenten Dick Cheney fanden die Republikaner in letzter Minute eine Kompromissformel: Das Militär verliert die Hoheit über seine Nachrichtendienste, dafür sollen die von konservativen Republikanern lange geforderten sicherheitspolitischen Restriktionen im Einwanderungsregime so bald wie möglich beschlossen werden. Daraufhin passierte das Gesetz den Kongress mit nur wenigen Gegenstimmen.

Die Republikaner betrachten die Reform als Erfüllung der im Juli veröffentlichten Forderungen der 9/11-Kommission. Letztlich hat Bush die Arbeit der von ihm nicht gewollten Kommission doch noch für sich nutzen können. Denn die Reform stärkt vor allem die Macht des Präsidenten. Seine Kontrolle über die Geheimdienste wird auf Kosten der parlamentarischen Kontrollgremien gestärkt, zudem verfügt er künftig direkt über eine 50 000 Mann starke schnelle Eingreiftruppe für geheime Operationen. Der Verlierer ist neben dem Verteidigungsministerium eindeutig der Auslandsgeheimdienst CIA. Diese schon jetzt angeschlagene Institution büßt nicht nur den direkten Draht zum Präsidenten ein, auch die Verantwortung für die Koordination verschiedener Nachrichtendienste wird ihr entzogen.

Die Geheimdienstreform stärkt aber auch die staatlichen Institutionen gegenüber den US-Bürgern und mehr noch den Migranten. Das nach dem 11. September gegründete Department of Homeland Security bekommt neue sicherheitspolitische Aufgaben, dem Justizministerium werden neue Möglichkeiten der Überwachung zugesprochen. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Migranten, die viele Republikaner als Sicherheitsrisiko betrachten. In den nächsten fünf Jahren sollen 10 000 zusätzliche Grenzkontrollbeamte und 4 000 neue Beamte der Zoll- und Einwanderungsbehörden eingestellt werden.

Bürgerrechtsorganisationen kritisieren viele der beschlossenen Maßnahmen, insbesondere die Erleichterungen bei der Anordnung von Untersuchungshaft im Falle von Terrorismusverdacht. Charlie Mitchell, Sprecher der American Civil Liberties Union (ACLU), sieht darin »eine weitere Gefährdung der Bürgerrechte«. Die Reform sei »nur eine Fortsetzung dessen, was die Administration schon lange tut«. Der demokratische Senator Russ Feingold erklärte: »Ich habe Bedenken gegenüber einigen Passagen im Gesetz, die nichts mit der Reform unserer Geheimdienste zu tun haben. Dieses Justizministerium hat oft genug nach dem 11. September die Untersuchungshaftbestimmungen untergraben und einen Terrorismusvorwurf erhoben, der sich im Nachhinein als haltlos erwies.«

Auch der erleichterte Lauschangriff, vor allem auf die bereits weitgehend vom Patriot Act entrechteten Immigranten, wird von der ACLU als problematisch angesehen. Ohne die Unterstützung der Demokraten bleibt der Protest der Bürgerrechtsorganisationen jedoch wirkungslos, und die demokratische Führung hat sich einträchtig hinter die konservative Sicherheitspolitik gestellt.

Problematischer für die Republikaner sind derzeit interne Streitigkeiten. Der konservative Flügel will die legale Einwanderung begrenzen, eine sicherheitspolitische Regelanfrage vor der Einwanderung durchsetzen und papierlose Immigranten weitestgehend illegalisieren. Moderate Republikaner hingegen, die der Wirtschaft billige Arbeitskräfte verschaffen wollen, fordern mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten, eine Generalamnestie für papierlose Migranten, Gastarbeiterprogramme und die Ausstellung von mehr Green Cards.

Bush hat sich bereits Anfang 2004 für eine Immigrationsreform eingesetzt, die eher den Vorstellungen der moderaten Republikaner entspricht. Um die Geheimdienstreform durchsetzen zu können, musste er dem konservativen Flügel jedoch Zugeständnisse machen, die sein ursprüngliches Vorhaben erschweren dürften. Fest steht bislang nur, dass Migranten weiterhin im Namen der Sicherheit entrechtet werden, egal ob sie sich legal oder illegal in den USA aufhalten.