Eingelullt von Rot-Grün

Atompolitik im Bundestagswahlkampf von jochen stay

Als Edmund Stoiber vor gut drei Jahren zum Kanzlerkandidaten der Union gekürt wurde, erklärte er in seinem ersten Interview die Kündigung des Atomkonsenses zu einem seiner vordringlichsten Ziele. Darauf bekam er Anrufe von den Chefs der großen Stromkonzerne, die ihm erklärten, wie wertvoll der durch ihre Absprachen mit der rot-grünen Bundesregierung erzielte atompolitische Friede für sie ist. Danach war von Stoiber zu diesem Thema kaum noch etwas zu hören, und wahrscheinlich hätte er auch nach einem Regierungswechsel keinen Handlungsbedarf gesehen.

Inzwischen hat sich die Situation gewandelt. Die Atomlobby aus Energieversorgern, Anlagenbauern und ihren parteipolitischen Helfern in der Union und der FDP greift, angetrieben von der Klimadiskussion und der internationalen Renaissance-Debatte, vehement den Konsens an.

Zwar soll im Mai endlich das AKW Obrigheim am Neckar stillgelegt werden, aber dann reicht es den Stromkonzernen auch. Mit den Reaktoren in Obrigheim und Stade an der Elbe werden nach acht Jahren rot-grüner Regierung nur die zwei kleinsten Atommeiler abgeschaltet sein. Die 17 großen AKWs mit insgesamt mehr als 95 Prozent des Leistungsvermögens sind weiter am Netz.

Zwar hat derzeit niemand vor, in der Bundesrepublik einen neuen Reaktor zu bauen, aber dass dem Atomkonsens zufolge in der nächsten Legislaturperiode drei bis vier weitere Reaktoren vom Netz sollen, stößt den Atomikern sauer auf. Sie wollen die Laufzeiten von Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel gerne verlängern und trauen sich inzwischen auch wieder, solche Forderungen zu stellen, ohne befürchten zu müssen, großen Protest aus weiten Teilen der Gesellschaft zu ernten.

Genau das ist der derzeitige Schwachpunkt der Anti-Atom-Bewegung. Zu viele Menschen haben sich vom rot-grünen Konsens- und Ausstiegsgesäusel einlullen lassen. Die Initiativen können derzeit nur einmal im Jahr gegen den Castor-Transport nach Gorleben größer mobilisieren, aber eine Debatte über die angesichts der Gefahren gebotene schnellere Stilllegung der Reaktoren konnte bisher nicht initiiert werden.

So droht für den atompolitischen Teil des Bundestagswahlkampfs im kommenden Jahr ein Ringen zwischen rot-grünem Status quo und schwarz-gelber Renaissance. Die Forderungen der Anti-Atom-Initiativen werden kaum eine Rolle spielen, wenn es der Bewegung nicht gelingt, bis dahin wieder handlungsfähiger zu werden und sich zu einem wahrnehmbaren politischen Faktor zu entwickeln.

Es gilt also, in den nächsten Monaten diejenigen wieder zu gewinnen, die sich angesichts der Atompolitik von Schröder und Trittin entweder hoffnungsfroh zurückgelehnt oder resigniert abgewandt haben. Die Grünen werden mit der Ankündigung in den Wahlkampf ziehen, dass bis 2010 die drei bis vier genannten Reaktoren vom Netz gehen. Alle, denen diese Perspektive nicht reicht, werden einiges dafür tun müssen, politischen Druck aufzubauen.

Hoffnungsvoll stimmt in dieser Situation, dass sich die Aktiven in der Bewegung dieser Herausforderung bewusst sind und derzeit in unterschiedlichen Zirkeln an offensiven Konzepten für die nächsten 18 Monate arbeiten. Was dabei herauskommt, wird sich auf der Bundeskonferenz der Anti-Atom-Initiativen Mitte Juni in Salzgitter zeigen.

Der Autor ist Aktivist der Gruppe »X-tausendmal quer«.