Millionen Hände für die Nation

Nach einer Welle von Attentaten wächst der Druck auf die Regierung Bangladeschs. Doch Premierministerin Zia geht nur zögerlich gegen die Islamisten vor, deren Parteien ihrer Koalition angehören.

Obwohl die Polizei über die Gefährdung Shah Abul Mansur Shamsul Kibrias informiert gewesen sei, habe sie nichts zu seinem Schutz unternommen. Als Kibria nach seiner Rede durch die Explosion einer Granate verletzt wurde, weigerte sich die Regierung, einen Hubschrauber einzusetzen. »Seiner Ambulanz ging auf dem Weg zum Krankenhaus das Benzin aus, er verblutete.« Nazli Kibria, der Sohn des am 27. Januar ermordeten Politikers, warf in der vergangenen Woche in der Tageszeitung Gulf News der Regierung Bangladeschs »Apathie« vor: »Unsere Familie fordert eine internationale Untersuchung.«

Die gegenwärtige Eskalation politisch motivierter Gewalt in Bangladesch verstärkt den Druck aus dem Ausland auf die in Dhaka regierende Vierparteienallianz. Premierministerin Begum Khaleda Zia stimmte widerwillig einer internationalen Untersuchungen des Attentats auf Kibria zu. Am 15. März 2005 verwahrte sie sich jedoch in einer Rede vor dem Parlament gegen »Druck und Diktat« aus dem Ausland und erklärte in nationalistisch-populistischer Rhetorik, dass »die Nation mit ihren 280 Millionen Händen« sehr wohl allein das Land aufbauen könne.

Die Regierung scheint auch bereit zu sein, auf Hilfsgelder zu verzichten. Der Finanzminister, Muhammad Saifur Rahman, erklärte, dass sich die Geberländer den politischen Gegebenheiten anzupassen hätten und nicht umgekehrt, andernfalls müssten sie das Land verlassen. Wenige Tage zuvor hatte der deutsche Botschafter, auch im Namen anderer Regierungen, verstärkte Hilfe angeboten.

Zia bezichtigte die größte Oppositionspartei, die Bangladesh Awami League (AL), einer Verschwörung mit »ausländischen Agenten«. Diese ziele darauf ab, die Regierungskoalition unter Führung von Zias Bangladesh National Party (BNP) zu verleumden und Bangladesch als gescheiterten Staat (failed state) darzustellen.

Es fällt der Regierung jedoch immer schwerer, die wachsende Besorgnis über die Eskalation politischer Gewalt als Folge der Intrigen böswilliger Oppositioneller darzustellen. Immer wieder kommt es zu Anschlägen gerade auf Oppositionelle und kritische Journalisten. Bei Razzien beschlagnahmt die Polizei gelegentlich Waffen, der bislang größte Fund im April 2004 im Hafen von Chittagong füllte die Ladeflächen von zehn Lastwagen. Die Ermittlungserfolge bleiben jedoch dürftig.

Im Mai entkam der britische Botschafter Anwar Chowdhury, als er den Schrein des Sufi-Heiligen Hazrat Shah Jalal im nordöstlichen Sylhet besuchte, nur knapp einem Bombenattentat. Bisher gelang es den Behörden angeblich nicht, die Auftraggeber zu ermitteln, die im islamistischen Lager vermutet werden.

Die Vorsitzende der AL und ehemalige Premierministerin Sheikh Hasina Wajed entkam im vergangenen Jahr nur knapp einem Attentat, bei dem 21 Menschen starben und über 200 verletzt wurden. Kibria, ein ehemaliger Finanzminister, der als Sekretär der United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific und Parlamentsabgeordneter zu den einflussreichsten Oppositionellen gehörte, war das bislang prominenteste Todesopfer. Seine Ermordung hat die politische Szene der gesamten Region erschüttert und trug neben dem Putsch in Nepal (Jungle World 6/05) dazu bei, dass der indische Premierminister in Abstimmung mit der hindu-nationalistischen Opposition seine Teilnahme am Anfang Februar in Dhaka geplanten Gipfeltreffen der Staaten der South Asian Association for Regional Cooperation absagte.

Für den Mangel an Ermittlungserfolgen könnte es politische Gründe geben. Das islamistische Milieu, dem viele Anschläge zugeschrieben werden, ist durch die Jama’at-e-Islami und die Islamic Oikkya Jote im Parlament vertreten. Beide Parteien sind Juniorpartner im Regierungsbündnis mit der konservativen BNP. Mitte März wurden sogar acht BNP-Politiker der Beteiligung an dem Anschlag auf Kibria beschuldigt.

Während der BNP vor allem an der Einschüchterung der Opposition gelegen ist, wollen die Islamisten der Bevölkerung ihre Moralvorstellungen aufzwingen. Seit Jahren wird die säkulare Bildungsbürgerschicht systematisch von militanten Islamisten terrorisiert. Aber auch Angehörige von zivilgesellschaftlichen Institutionen und NGO, Journalisten, Intellektuelle, Frauen, religiöse und ethnische Minderheiten werden immer öfter Opfer von Gewalt.

Die Spaltung der Bevölkerung wird auch zu einer ökonomischen Belastung. Im Konflikt zwischen Regierung und Opposition wird das Land immer wieder durch Streiks, so genannte hartal, lahm gelegt. Sie kosten UN-Ökonomen zufolge das bitterarme Land jährlich drei bis vier Prozent seines Bruttosozialproduktes.

Auf einer Konferenz in Washington beschlossen die so genannten Geberstaaten Ende Februar, gemeinsam mit der Regierung Zias auf eine politische Stabilisierung hinzuarbeiten. Man wolle keine politische Seite speziell verurteilen, sagte der deutsche Botschafter Dietrich Andreas, notwendig sei jedoch »good governance«, die Regierung müsse die demokratischen Werte erhalten und stärker gegen politisch motivierte Gewalt vorgehen. Er begrüßte erste Regierungsinitiativen gegen einige militante Organisationen und Aktivisten, denen aber weitere Untersuchungen folgen müssten.

Deutschland ist für Bangladesch einer der Haupthandelspartner und ein bedeutender Geldgeber für Entwicklungsprojekte. Gegenüber dem Wochenmagazin Star bezeichnete ein anonym zitierter Regierungsvertreter wenige Tage vor Zias Parlamentsrede die politische Situation der BNP als Zwickmühle zwischen ihren Koalitionspartnern und den ausländischen Geldgebern.

Kürzlich hat die Regierung, sehr zum Unwillen ihrer islamistischen Koalitionspartner, die militante Organisation Jagrata Muslim Janata Bangladesh des Islamisten Bangla Bhais verboten. Zudem wurden im ganzen Land Religionsschulen durchsucht, in mehreren Fällen wurden dort Waffen gefunden.

Andererseits melden die Medien beinahe täglich neue Morde, die oft einer seit dem Vorjahr operierenden Spezialeinheit der nationalen Sicherheitskräfte angelastet werden. Die angeblich gegen Terroristen vorgehenden Rapid Action Batallions (RAB) patrouillieren in ihren schwarzen Uniformen und zivilen Fahrzeugen auf den Straßen Dhakas ebenso wie im weniger übersichtlichen Hinterland. In weniger als einem Jahr sind fast 250 Menschen von den RAB getötet worden. Während die Entführungskriminalität angeblich rückläufig ist, können islamistische Militante bisher weitgehend unbehelligt walten und schalten.