Poor Man’s Bomb

Nicht nur so genannte Schurkenstaaten, sondern auch Terrororganisationen versuchen, auf dem Schwarzmarkt an Nuklearmaterial heranzukommen. von martin schwarz, wien

Erst am Freitag voriger Woche veröffentlichten die US-amerikanischen Bundesbehörden ganz erstaunliche Details eines wahrlich internationalen Schmugglerrings. Der in Südafrika lebende israelische Staatsbürger Asher Karni soll aus den USA stammendes und für die Urananreicherung notwendiges Equipment an einen pakistanischen Geschäftsmann namens Humayun Khan verkauft haben, der übrigens mit dem »Vater der islamischen Bombe«, Abdul Quader Khan, nicht verwandt und auch sonst nicht geschäftlich verquickt ist. Auch an Indien soll Karni geliefert haben. Bereits seit vergangenem Jahr sitzt Karni in den Vereinigten Staaten hinter Gittern.

Es sind Nachrichten wie diese, die internationale Behörden immer wieder in Aufregung versetzen. Solche Fälle belegen recht eindrucksvoll, dass die Angst der Sicherheitsbehörden vor einem florierenden Schwarzmarkt mit nuklearem Material durchaus berechtigt ist. Der Iran, Nordkorea, Libyen und Terrororganisationen wie al-Qaida haben sich von Nuklearwissenschaftlern wie Abdul Quader Khan beraten lassen. Und er hat sein Geschäft der Weiterverbreitung militärisch nutzbaren nuklearen Know-hows mit den gleichen Marketing-Instrumenten betrieben, wie es die Hersteller von Dampfbügeleisen oder Autos auch tun: Sogar hoch professionelle vierfarbige Prospekte über die Vorzüge der zur Anreicherung von Uran notwendigen Gaszentrifugen haben Ermittler sicherstellen können. Umso schwerer wiegt die Marketingoffensive der »Khan Laboratories«, da sie sich im Besitz des pakistanischen Staates befinden. Obwohl Abdul Quader Khan seit dem Auffliegen seines nuklearen Supermarktes in Islamabad unter Hausarrest steht, hatten Ermittler der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien noch immer keine Gelegenheit, mit dem Mann zu sprechen. Die pakistanische Regierung verhindert es schlicht.

Dabei sollte insbesondere Pakistan erhebliches Interesse daran haben, das Netzwerk des Abdul Quader Kahn bis ins kleinste Detail aufzudecken – auch zur eigenen Sicherheit. Denn es sind die Männer aus dem Umkreis des großen Khan, die vor dem Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan mit den Fundamentalisten aus dem Nachbarland sympathisierten und al-Qaida auch direkt bei der Entwicklung eines nuklearen Sprengkopfes berieten. Und weil die Khan-Vertrauten eng mit dem pakistanischen Militär verquickt sind, liegt der Verdacht nahe, dass es in pakistanischen Militärkreisen eine politische Subkultur gibt, die mit al-Qaida und dem Szenario eines Sturzes des Militärdiktators Pervez Musharraf liebäugelt. Zwar betont Musharraf immer wieder gerne, wie sicher die nuklearen Anlagen des Landes vor Verrätern seien. Doch daran haben Experten immer noch erhebliche Zweifel: »Die Pakistaner haben ihre Wissenschaftler überhaupt nicht im Griff«, sagt beispielsweise der US-amerikanische Abrüstungsexperte Lawrence Scheinman. Auch Musharraf selbst dürfte zeitweise beunruhigt über die Sicherheit des eigenen nuklearen Arsenals sein: Im November 2001 ordnete er die Verlegung der nuklearen Sprengköpfe Pakistans in sechs neue und geheime Militäranlagen an.

Die nuklearen Ambitionen der al-Qaida sind allerdings trotz pakistanischer Unterstützung nicht allzu weit gediehen: US-Ermittler fanden in verlassenen Taliban-Unterkünften in Afghanistan zwar Baupläne für Atombomben. Die aber sollen derart dilettantisch gewesen sein, dass sich damit die Träume des Meisterterroristen Ussama bin Laden nicht hätten verwirklichen lassen. »Ich wäre überrascht gewesen, hätten sie nicht versucht, Nuklearwaffen zu bekommen«, sagt IAEA-Generaldirektor Mohamed El Baradei. Doch genaue Erkenntnisse darüber wird er wohl nicht so bald erhalten: Die USA haben es nach Angaben aus dem IAEA-Hauptquartier in Wien bisher nicht erlaubt, dass Ermittler der Organisation in Afghanistan nach Hinweisen auf den nuklearen Eifer der al-Qaida suchen. »Keiner von uns war je dort«, sagte vor einigen Monaten ein Mitarbeiter der IAEA dieser Zeitung.

Dafür erhalten die Mitarbeiter der IAEA manchmal sehr seltsame E-Mails in ihrem streng bewachten Hauptquartier innerhalb des Amtssitzes der Vereinten Nationen in Wien: »Ich bin Bangladeschi und habe 40 Kilogramm Plutonium zu verkaufen«, hieß es einmal in so einem Schreiben an die Mitarbeiter der Behörde. Zu panischen Aktivitäten führte das angebliche Bekenntnis des Mannes allerdings nicht, denn ein Eigentümer von 40 Kilogramm Plutonium würde niemals versuchen, die Ware ausgerechnet der IAEA zu verhökern. Mindestens zehn Millionen US-Dollar wäre diese Menge an Plutonium wert. Der bislang größte jemals aufgeklärte Versuch, nukleares Material wie Plutonium an den Höchstbietenden zu verkaufen, flog im Jahr 1994 auf: Damals verhafteten die tschechischen Behörden in Prag einen Russen, einen Weißrussen und einen Tschechen, weil diese 2,7 Kilogramm hoch angereichertes Uran bei sich hatten.

Damit alleine lässt sich aber noch kein Atomsprengkopf basteln, bei dem es zu einer Kettenreaktion kommen würde. Eine solche Entwicklung ist eine äußerst komplizierte Angelegenheit, an der in den achziger Jahren sogar Saddam Hussein trotz beeindruckenden Einsatzes von finanziellen und menschlichen Ressourcen scheiterte. Schon deshalb hält etwa der deutsche Rechtsanwalt Michael Rietz – er verteidigte einige der deutschen Helfer Saddam Husseins bei ihren Prozessen wegen der Proliferation nuklearer Technologie – die Existenz eines wirklich strukturierten nuklearen Schwarzmarktes für unwahrscheinlich. »Ich kann nur mutmaßen, aber ich glaube, dass es diesen Markt schlicht nicht gibt und er nur eine geschickte Mär ist, um der Bevölkerung alle möglichen Maßnahmen und Gelder zur Terrorbekämpfung abzutrotzen.«

Die internen, allerdings nicht sehr aktuellen Zahlen der IAEA über aufgeflogenen Schmuggel mit hoch radioaktiven Materialien wie Uran oder Plutonium scheinen die These von Rietz zu bestätigen: Zwischen 1993 und 2001 dokumentierte die IAEA 186 Fälle, in denen radioaktives Material geschmuggelt werden sollte, nur 18 Mal aber handelte es sich um waffenfähiges Plutonium oder eben hoch angereichertes Uran.

Doch ein Terroranschlag mit radioaktiven Substanzen ist deshalb nicht ausgeschlossen, denn viel größere Angst haben Sicherheitsbehörden vor einem Anschlag mit einer »schmutzigen Bombe«. Dabei wird nukleares Material mit einem konventionellen Sprengkörper zur Detonation gebracht, und alleine die unter Umständen erhebliche radioaktive Kontamination könnte in Großstädten zu Panik und großem wirtschaftlichen Schaden führen. Diese »Bombe des armen Mannes« (Poor Man’s Bomb), wie sie im Jargon der Nuklearexperten genannt wird, ist wesentlich leichter herzustellen: Benötigt würden lediglich leicht radioaktive Substanzen, wie sie heute überall in Industrie und Medizin eingesetzt werden.

Martin Schwarz ist Autor des im April 2004 bei Droemer-Knaur erschienenen Buches: »Atomterror. Schurken, Staaten, Terroristen – die neue nukleare Bedrohung«.