Der Kumpel Iliescus

In den neunziger Jahren organisierte Miron Cozma Bergarbeiterproteste, mal für die Regierung Iliescu, mal für die Interessen der Kumpels. Deswegen saß er jahrelang im Gefängnis. Nun wurde er freigesprochen. von roland ibold

Miron Cozma, der legendäre Anführer der Bergarbeitermärsche in den neunziger Jahren, sorgt immer noch für Aufsehen in der rumänischen Öffentlichkeit. Er gilt wahlweise als Held der (arbeitslosen) Arbeiterklasse oder als nationalistischer Demagoge. Die guten Beziehungen zu Vadim Tudor, dem Führer der nationalistischen und antisemitischen Partei Großrumänien, kratzten aber an seinem Ruf als Gewerkschaftsvertreter.

Als Organisator der Mineriaden, der gewaltsamen Proteste der Bergarbeiter, wurde Cozma seit 1997 in verschiedenen Gerichtsverfahren wegen »Untergrabung der nationalen Sicherheit« zu 18 Jahren Haft verurteilt. Den Amtsantritt des sozialdemokratischen Präsidenten Ion Iliescu im Jahr 2000 erlebte er im Gefängnis. An seinem letzten Amtstag im Dezember 2004 begnadigte ihn Iliescu zusammen mit weiteren 45 Personen. Unter dem konservativeren Nachfolger und jetzigen Präsidenten Traian Basescu wurden die Begnadigungen allerdings vom Obersten Gericht in Bukarest umgehend aufgehoben, nicht zuletzt auf internationalen Druck. Cozmas Anwalt ging in Berufung. Am Dienstag vergangener Woche gab ein Gericht in der Stadt Craiova der Berufung statt.

Ob Cozma aber auf freiem Fuß bleibt, ist unklar, da noch weitere Verfahren gegen ihn und andere Bergarbeiter zu erwarten sind. Die Anklagepunkte beziehen sich immer auf Ereignisse, die bereits lange zurückliegen. Die Märsche der Bergarbeiter nach Bukarest waren Reaktionen auf Massenentlassungen, Grubenschließungen und den Umbau der staatlichen Industriebetriebe in private Unternehmen.

Der Bergbau war das Standbein des rumänischen Realsozialismus, die Bergarbeiter galten als die Elite der Werktätigen. Deshalb waren ihre Löhne höher als die vieler anderer Werktätigen. Cozma war schon damals Gewerkschaftsvertreter, er blieb es auch – demokratisch gewählt – nach dem Sturz des Ceaucescu-Regimes. Ähnlich erging es Ion Iliescu, der bereits unter den Kommunisten als Regierungskader tätig war und im Jahr 1990 als Vorsitzender der Front zur nationalen Rettung zum Präsidenten gewählt wurde. Die Opposition sah darin das Fortleben alter Strukturen. Studenten besetzten daher zentrale Plätze und griffen Regierungsgebäude an. Iliescu rief »alle verantwortungsbewussten Kräfte« dazu auf, die »neu errungene Demokratie« gegen die »extremistischen Gruppen zu verteidigen«. Verantwortlich dafür fühlten sich die Bergarbeiter. Sie fuhren in die Hauptstadt, die viele vorher noch nie besucht hatten. Dort verwüsteten sie, angeführt von Mitarbeitern des Innenministeriums, die Oppositionsbüros und verprügelten vermeintliche Studenten, Intellektuelle und Roma. Sieben Menschen starben. Iliescu bedankte sich öffentlich für das Engagement der Kumpels. Cozma war während dieser ersten Mineriade seine Kontaktperson zu den Bergarbeitern. Ende April bestätigte Cozma nach Angaben der rumänischen Tageszeitung Evenimentul Zilei, dass Iliescu die Bergarbeiter im Juni 1990 nach Bukarest kommen ließ, um den Universitätsplatz zu »säubern«.

Die versprochenen Gehaltserhöhungen für die neuen Ordnungshüter blieben freilich aus. Die drohende Schließung von 170 Gruben veranlasste die Bergarbeiter ein Jahr später unter der Führung von Cozma erneut zu einem Marsch nach Bukarest. Ohne nennenswerte Gegenwehr wurden Regierungsgebäude und das Haus des Ministerpräsidenten Petre Roman angegriffen, der im Gegensatz zu Iliescu die Privatisierung der staatlichen Industrien vorantrieb. Roman trat daraufhin zurück, und Cozma wurde 1994 zur Entschärfung der anhaltenden Proteste das Amt des Innenministers angeboten, das er jedoch ablehnte.

In den folgenden Jahren wurde in den Bergbau kaum investiert, Arbeitsplätze wurden abgebaut. Der Regierungswechsel im Jahr 1996 und die darauf folgende marktwirtschaftliche Orientierung brachten keine Verbesserungen. Als drei Jahre später zwei Zechen mit 1 700 Beschäftigten geschlossen wurden, eskalierte die Situation zur dritten Mineriade. 50 000 Bergarbeiter machten sich mit Unterstützung der Bevölkerung auf in Richtung Hauptstadt. Sie ließen sich aber mit einem Verhandlungsangebot des Ministerpräsidenten Radu Vasile stoppen. Cozma handelte die Rücknahme der Grubenschließungen und 35 Prozent Lohnerhöhung aus. Präsident Emil Constantinescu erkannte die Vereinbarungen aber nicht an und ließ die anhaltenden Proteste von Spezialeinheiten der Polizei niederschlagen.

Die fortschreitende wirtschaftliche Liberalisierung verschärfte die soziale Situation in den Bergbauregionen. Die zunehmende Konkurrenz unter den Bergarbeitern um die übrig gebliebenen wenigen, aber besser bezahlten Arbeitsplätze, die mit Hilfe ausländischer Investoren privatisiert wurden, führte zur Schwächung der Gewerkschaften. In der Grube Lupeni im Jui-Tal, wo 1977 der Aufstand begann, sind von damals 15 000 heute noch 2 600 Kumpel in Arbeit. In diesem Jahr werden aufgrund von Vereinbarungen mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds weitere 5 000 Bergarbeiter ihren Job verlieren.

Die wirtschaftlichen Hintergründe, die die Proteste auslösten, spielten bei den aktuellen Gerichtsverfahren gegen Cozma kaum eine Rolle. Sein Anwalt verweist auf den angestrebten EU-Beitritt Rumäniens. Während einige europäische Regierungen die Anklage gegen Cozma als Rädelsführer der Eskalationen unterstützten, verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Widerruf der Begnadigung.

Ausländische Gewerkschafter, die sich während des Prozesses für seine Freilassung engagierten, betrachten Cozma als politischen Gefangenen. Gotthard Krupp von Verdi-Berlin erklärte, Cozma werde für die Ausübung seiner gewerkschaftlichen Pflichten bestraft. Er befürchtet, dass in den Prozessen grundlegende gewerkschaftliche Rechte missachtet werden könnten. Die teilweise nationalistische Ausrichtung der Bergarbeiterproteste und die zweifelhafte Rolle Cozmas werden in den internationalen Kampagnen nicht hinterfragt.

Dass die Bergarbeiter für machtpolitische Zwecke ausgenutzt wurden, ist in der rumänischen Bevölkerung unumstritten, die Verantwortung für die Ausschreitungen in Bukarest 1990 werden aber nicht Cozma, sondern der damaligen Regierung Iliescu angelastet. Der Verein der Opfer der Mineriaden forderte in der vergangenen Woche nachdrücklich, dass Iliescu, als politisch Verantwortlicher für die brutalen Übergriffe auf die Opposition, endlich vor Gericht gestellt wird.

Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen. Am Donnerstag vergangener Woche hat die Militärstaatsanwaltschaft in Bukarest Anklage gegen Iliescu erhoben. Nach Angaben seines Anwalts, Radu Silinescu, wird ihm unter anderem angelastet, die Bergarbeiter im Jahr 1990 nach Bukarest eingeladen zu haben, damit sie gewaltsam gegen die Opposition vorgingen.

Die Eliten von heute streiten sich wegen ihrer Altlasten, die Bergarbeiter-Elite von gestern fühlt sich überrollt von den neuen Belastungen der Marktwirtschaft. Aber zumindest gibt es noch den Fußballverein im Jui-Tal. Sein Besitzer ist Miron Cozma.