Genosse Punk

Eine Berliner Ausstellung zeigt, wie es war, in der DDR einen Irokesenschnitt zu tragen. von markus ströhlein

Im Foyer des Ausstellungsraums sagt John Peel die »neuesten« Punk-Hits an: »Teenage Kicks« von den Undertones kommt aus den Boxen, dann ein Song von den Slits. Unbekanntere Bands folgen, bis die CD von vorn beginnt. Der Mann am Einlass muss schon einige Durchgänge hinter sich haben, so viel verrät seine Miene. Die Peel-Session läuft als Endlosschleife. Die Sendung stammt aus dem Jahr 1979.

Die Macher der Ausstellung mit dem Titel »OstPunk – Too much future. Punk in der DDR 1979–89« haben die Musik im Foyer wahrscheinlich mit Bedacht ausgewählt. Denn 1979 hat es angefangen mit dem Punk in der DDR. John Peel dürfte einen gewissen Anteil daran gehabt haben. Seine Sendung war auch im realsozialistischen Teil Deutschlands zu hören. Die Geschenke der Westverwandschaft in Form von Schallplatten und Fanzines taten ein weiteres. Nicht zuletzt war sogar in den offiziellen Verlautbarungen der staatlichen Organe von dem neuen Phänomen die Rede, das in der Jugendkultur des Klassenfeinds aufgetreten war.

Zwei Jahre, nachdem die erste Punk-Welle durch New York und London geschwappt war, färbte man sich auch in Ostberlin, Leipzig oder Erfurt die Haare bunt, zog sich Lederjacken an und stach sich Sicherheitsnadeln durch die Ohrläppchen. Es wurden Bands gegründet und Konzerte gegeben.

Es geschah also, modisch und musikalisch gesehen, dasselbe wie überall. Doch die gesellschaftlichen Bedingungen waren gänzlich andere. Trug man im Westen einen Irokesenschnitt (»Mohawk«), erntete man anfangs böse Blicke und feindselige Sprüche, bevor infolge des inflationären Auftretens junger Menschen mit bunten Haaren und zerschlissener Garderobe der Gewöhnungseffekt bei den »normalen« Bürgern einsetzte.

Die ostdeutschen Anhänger des »Primitivrock«, wie der Punk im offiziellen Jargon der DDR-Behörden genannt wurde, zeigten schon mit ihrer Erscheinung den Unwillen, sich ins Kollektiv des Arbeiter- und Bauernstaats einzufügen. Das sozialistische Zukunftsversprechen diskreditierten sie als verwaltetes Leben, als »too much future«. Der Staatsapparat reagierte zunächst mit Härte. 1983 gab der Staatssicherheitsdienst folgende Anweisung: »Bei festgestellter Renitenz Samthandschuhe ausziehen – wir haben keinen Anlass, mit diesen Figuren zart umzugehen.« Etliche Punks kamen in den Knast, etliche wurden frühzeitig in die NVA einberufen. Andere gingen im Zug der großen Ausreisewelle 1984 in den Westen. Nachdem die Punks der ersten Generation im Gefängnis, bei der Armee und »drüben« verschwunden oder als Stasi-Spitzel untergekommen waren, änderte der Staat seine Taktik. Es wurde zwar immer noch mit den Zellenschlüsseln gerasselt. Doch weitgehend wurde der Punk geduldet. Es gab eine Sendung im staatseigenen Rundfunk. Konzerte wurden genehmigt. Die Band Feeling B durfte sogar eine Platte aufnehmen. Dann war die DDR tot, noch ehe es der Punk war.

Michael Boehlke und Henryk Gericke, die Hauptkuratoren der Ausstellung, können die Geschichte des Punk in der DDR und die Geschichte seiner Bekämpfung und seiner Vereinnahmung aus erster Hand erzählen. Boehlke war Sänger der Berliner Band Planlos, Gericke war Sänger bei The Leistungsleichen. Dass zwei Veteranen der Szene die Gestaltung übernommen haben, hat die erfreuliche Wirkung, dass die Ausstellung weder sonderlich kanonistisch noch irgendwie didaktisch daherkommt, sondern einen schludrigen Charme besitzt, der dem Thema angemessen ist. Dennoch scheinen Boehlke und Gericke zu nah dran zu sein am Sujet. Schließlich müssen die beiden nicht nur die Geschichte des Punk in der DDR präsentieren, sondern auch ihre eigene und die ihrer Freunde. So erweckt das Erdgeschoss der Ausstellung stellenweise den Eindruck, man befinde sich in einem überdimensionierten Familienalbum.

Überlebensgroße Fotos von Ostpunks hängen an den Wänden, in einem Seitengang befindet sich eine ganze Galerie kleinerer Porträts von Personen, die »Ratte« oder »Chaos« heißen. Immer hängt ein Bild aus den Achtzigern neben einem aktuellen. Wer es noch nicht wusste, dem dämmert es: Auch Punks werden alt. Manche bleiben Punks, manche werden Mütter, Musiker, Tai-Chi-Anhänger oder Computer-Nerds.

Banal bleibt es auch im hinteren Teil des Erdgeschosses, wo in einer großen Vitrine aus Plexiglas allerlei Folkloristisches gezeigt wird. Buttons und Aufnäher liegen und hängen da neben bunt bemalten Jacken und Hosen. Das Besondere ist, dass der Punk in der DDR sich seine standesgemäße Tracht selbst basteln musste. Leider hatte Vivienne Westwood keine Boutique in Ostberlin. Das DIY-Ethos in allen Ehren, aber manchmal, so wird hier deutlich, ist es besser, die Klamotten einfach im Laden zu kaufen.

Doch auch Bemerkenswertes findet man im Erdgeschoss. Eine unscheinbar angebrachte Collage aus Fotos, Presse- und Zeitzeugenberichten und einem Gerichtsprotokoll lässt einen kleinen Blick darauf zu, wie im Zug der Punk-Bewegung auch die ersten Skinheads in der DDR auftauchten. Die Skinhead-Bewegung entwickelte sich ähnlich wie im Westen. Zunächst unpolitisch und in loser Verbindung zum Punk, wurden die meisten Ost-Glatzen noch zu Zeiten der DDR zu den unangenehmen Kretins, die nach der Wiedervereinigung Ausländerheime attackierten. Ein einschneidendes Ereignis war der Angriff von Nazi-Skins und Fußball-Hooligans auf ein Punkkonzert in der Berliner Zionskirche 1987. Unter den Augen untätiger Polizisten drangen die Angreifer in die Kirche ein und verprügelten wahllos die Besucher. Es wird immer noch spekuliert, ob der Staatssicherheitsdienst die Attacke inszeniert hat. Der Anführer der Nazi-Skins war der Sohn eines hohen Stasi-Offiziers, die Hooligans kamen vom BFC Dynamo, Erich Mielkes Lieblingsverein.

Im ersten Stock entfernt sich die Ausstellung von den naiven Anfängen des Punk in der DDR. Wie überall, war er auch dort nicht nur auf die Musik und die Kleidung beschränkt. Die junge und subversive Kunstszene der DDR war fasziniert vom aufrührerischen Potenzial der neuen Jugendbewegung. Die Punks, denen der Dauersuff und die rumpelige Musik auf Dauer zu langweilig waren, zog es in die Ateliers. Heraus kamen nicht nur Art-Punk-Bands wie Zwitschermaschine und L’Attentat. Es entstanden Filme, Bilder, Installationen und Texte. Stilistisch reichen diese vom ätzenden Realismus einer Kamerafahrt durch die realsozialistische Betontristesse über Plakate in bewährter Cut-and-Paste-Methode und Gemälde, deren Expressionismus den Betrachter geradezu anschreit, bis hin zu eher surrealen Filmen. Das alles erscheint auf den ersten Blick nett zusammengewürfelt, ist aber nach Städten geordnet. »Erfurt war Anfang der 80er Jahre neben Weimar das Zentrum der Punkszene Thüringens«, heißt es dann. Sätze wie diese verströmen einen unnötigen Regionalmief und stehen im Gegensatz zu den alles andere als provinziellen Ausstellungsstücken.

Ein Foto im zweiten Stock zeigt die vergrößerte Seitenansicht eines Aktenordners des Staatssicherheitsdienstes. »Unkultur« steht da als Überschrift. Darunter werden »Rocker«, »Popper«, »Punk« und »Rock« aufgelistet. Einen Ratgeber, wie die Anhänger der »Unkultur« Punk zu identifizieren seien, gab es ebenfalls. Ein Aufnäher der Band Crass wird für ungeschulte Polizisten eingehend analysiert. Platten von den Angry Samoans und Slime werden als eindeutige Beweise für das Punksein angeführt. Weitere Fotos deuten den Umgang der Polizei mit den »negativ dekadenten« Subjekten an, wie die Punks im Jargon des Staatssicherheitsdienstes ebenfalls genannt wurden. Junge Männer und Frauen mit Irokesenschnitt und Lederjacke werden erkennungsdienstlich behandelt und müssen Zahlentafeln in die Kameras halten. Über die fotografierten Personen erfährt man nichts. So sagen die Dokumente des staatlichen Überwachungsapparats weniger über den Punk in der DDR aus als über den Sozialcharakter, der den Machthabern für den »neuen, sozialistischen Menschen« vorschwebte.

Die Aussicht, ein Leben als arbeitender Gartenzwerg in einer überdimensionierten, ummauerten Laubenkolonie namens DDR führen zu müssen, dürfte zur Attraktivität des Punk ebenso beigetragen haben wie die paranoide Reaktion der staatlichen Organe. Der Punk hat die DDR überlebt. Im Erdgeschoss der Ausstellung steht ein Grabstein. »Punk DDR 1979-89« ist eingraviert. Der Punk in der DDR ist Geschichte. Er ist, wie Punk im Allgemeinen, tot und reif für das Museum.

»OstPunk – Too much future. Punk in der DDR 1979–89«. Im Salon Ost, Berlin. Bis zum 25. September.