Oranier schlagen zurück

Bei Ausschreitungen von militanten Protestanten sind in Nordirland fast 100 Menschen verletzt worden. von fabian frenzel, sheffield

Wenn ausländische Besucher nach Großbritannien kommen, fällt ihnen meist auf, dass es auf öffentlichen Plätzen, auf Bahnhöfen und an Busstationen an Mülleimern mangelt. Wenn sie Einheimische dazu befragen, kann es heute passieren, dass sie nur ein Achselzucken als Antwort erhalten. Zu lange ist es her, dass die IRA mit zahlreichen Bombenattentaten in englischen Stadtzentren ihrem politischen Ziel, dem Anschluss Nordirlands an die Republik Irland, Geltung verschaffen wollte. Im Juli hat die IRA den bewaffneten Kampf für beendet erklärt. »Unsere Ziele sind auf friedlichem Wege erreichbar«, ließ sie in der Erklärung verlauten und versprach eine Entwaffnung ihrer Einheiten. Premierminister Tony Blair äußerte, er hoffe, dass durch die Erklärung »neue Bewegung« in den ins Stocken geratenen Friedensprozess kommen werde, und ordnete an, Teile des in Nordirland stationierten britischen Militärs abzuziehen.

Neue Bewegung ist nun da, nur nicht so, wie die Regierung es sich gewünscht hätte. Nachdem lokale Behörden verboten hatten, dass die jährliche Whiterock-Parade des protestantischen Oranier-Ordens ein katholisches Stadtviertel durchquerte, kam es ab Samstag vergangener Woche in Belfast und Umgebung zu den schwersten Unruhen, die die Provinz seit Jahren erlebt hat. Der Orden sieht seine Aufgabe in der »Verteidigung der Rechte und der Kultur der nordirischen Protestanten«. Die Straßenschlachten zwischen teils bewaffneten Protestanten und der Polizei dauerten mehr als vier Tage an. Fast 100 Menschen wurden verletzt. Die Unruhen rufen in Erinnerung, dass den protestantischen Extremisten eine ganz eigene Rolle in dem Konflikt zukommt.

Als die britische Regierung 2002 die Selbstverwaltung Nordirlands aussetzte, da es Streit über eine Entwaffnung der IRA gegeben hatte, begann sich die protestantische Mehrheit in Nordirland zunehmend zu radikalisieren. In dem so genannten Karfreitagsabkommen von 1998 war vereinbart worden, dass sich protestantische Unionisten und katholische Republikaner die Macht in der Provinz teilen sollten. Sowohl bei Regionalwahlen als auch jüngst bei den britischen Parlamentswahlen löste die Democratic Ulster Party (DUP) die moderate Ulster Unionist Party als führende protestantische Kraft in der Region ab.

Der Vorsitzende der DUP, der Geistliche Ian Paisley, der unter britischen Linken als Rassist verschrieen ist, verweigert jedes Gespräch mit der Partei Sinn Fein, die der IRA nahe steht, solange diese nicht vollständig entwaffnet ist. Diese Weigerung missfällt der britischen Regierung und vor allem dem Nordirland-Minister Peter Hain, zumal die IRA im Sommer eine Entwaffnung zumindest zugesagt hat. Paisley und auch viele konservative Briten kritisieren hingegen, dass die IRA nach fast zwei Monaten immer noch nicht begonnen hat, die Waffen auch tatsächlich abzugeben. Doch die automatischen Gewehre, die nach Berichten von BBC während der Ausschreitungen von protestantischen Paramilitärs gegen die Polizei eingesetzt wurden, bieten der IRA das beste Argument, ihre eigene Entwaffnung weiter zu verzögern.

Daher werden in einigen britischen Zeitungen die Unruhen auch als Versuch der extremen protestantischen Gruppen gewertet, die Situation eskalieren zu lassen, bevor die IRA den Forderungen nach Entwaffnung nachkommt. Ohne das Feindbild IRA gibt es zwischen der britischen Regierung und den Protestanten in Nordirland nicht viele Gemeinsamkeiten. Nach der harschen Kritik von Nordirland-Minister Hain an den protestantischen Paramilitärs und dem Oranier-Orden sind sich nun sämtliche protestantischen Gruppen in Nordirland einig: Schuld an der Eskalation der Gewalt hat die Polizei.