Rekordverdächtige Verluste

Ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Athen vergammeln die Sportanlagen. Erhalten geblieben sind vor allem Schulden und Überwachungskameras. von ralf dreis, athen

Die Demonstration gegen die Privatisierungspläne der konservativen Regierung näherte sich dem Parlamentsgebäude am Syntagma-Platz in Athen. Die kurz vor der Olympiade, »zur Gewährleistung der Sicherheit«, überall im Zentrum installierten Überwachungskameras zeichneten die Demonstration auf. Obwohl sie im Anschluss an die Spiele unverzüglich abmontiert werden sollten, liefern die Kameras auch ein Jahr nach den Spielen noch rund um die Uhr Bildmaterial.

Wegen des »hohen Preises« sei es »Verschwendung«, sie abzubauen, wurde in Mitteilungen des Innenministeriums bekannt gegeben. Zur Beruhigung hieß es, die Kameras würden »einzig und allein zur Verbesserung des Verkehrsflusses« in der Hauptstadt benutzt werden. Doch Mitte August verlängerte das Innenministerium trotz vielfältiger Proteste das dritte Mal die vorläufige Betriebsgenehmigung bis Mai 2006.

So werden, anders als viele der unvorstellbar teuren und zumeist erst im letzten Moment fertig gestellten Olympischen Sportanlagen, zumindest die überall im Zentrum installierten Kameras auch nach den Spielen noch genutzt. Das Olympische Zentrum, in dem Mitte August 2004 die Eröffnungsfeier der Spiele stattfand, ist dagegen in der Regel menschenleer. Über die Promenade des spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava, über die sich eine elegante Stahlkonstruktion wölbt, wirbeln Staubwolken, überall liegt Müll. Von den vielen Quadratkilometern englischen Rasens, der in letzter Sekunde ausgerollt worden war, ist nichts mehr zu sehen. Viele der im letzten Jahr gepflanzten Bäume und Sträucher sind ebenfalls vertrocknet. »Eintritt verboten« steht auf den bereits vor einigen Monaten angebrachten Schildern geschrieben.

An einem anderen der damaligen Prunkstücke, dem Velodrom, zeigen sich die ersten Konstruktionsfehler, Beton bröckelt ab. Nebenan, in Faliron, fanden die Taekwondo-Wettkämpfe und das Beach-Volleyball-Turnier statt. Auch hier liegen Müll und Abfälle herum, die öffentlichen Toiletten sind fast alle zerstört.

Außerhalb von Athen liegt in der Bucht von Marathon die Olympische Regattastrecke, die wegen der starken Winde allerdings nur selten benutzt werden konnte. Sie ist inzwischen an vielen Stellen von Schilf überwuchert und somit gänzlich unbrauchbar geworden. Auch die Infrastruktur am Ufer verfällt und rostet vor sich hin. Das riesige Becken, das vor zwei Jahren gegen den Widerstand von Umweltschutzorganisationen in ein Naturschutzgebiet gebaut wurde, kostete 77 Millionen Euro und sollte nach der Olympiade in ein Biotop umgewandelt werden. Das zumindest regelt die Natur nun selbst.

Nach Angaben der Athener Tageszeitung Eleftherotypia sind für den Unterhalt der Olympiaanlagen ungefähr 130 Millionen Euro im Jahr nötig. Durch die sporadische Vermietung einiger Hallen und Stadien für Konzerte, Ausstellungen und Sportveranstaltungen konnten bislang jedoch nur drei Millionen eingenommen werden. Vor einem Jahr wurde anarchistischen Gruppen noch vorgeworfen, mit ihrer Anti-Olympia-Kampagne der griechischen Nation zu schaden und mit übertriebenen Kostenszenarien staatsfeindliche Propaganda zu betreiben. Mittlerweile ist das Ausmaß der staatlichen Lügen, die vor der Olympiade verbreitet wurden, offensichtlich.

Rund 13 Milliarden Euro – mehr als dreimal so viel Geld wie ursprünglich geplant – kosteten die »magischen Traum-Spiele«, wie der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Jacques Rogge, sie nannte. Die Spiele werden damit zum Alptraum für die Griechen, die in den nächsten Jahrzehnten die Rechnung zahlen müssen. Die Ausgaben für die Olympischen Spiele sind einer der Gründe für den katastrophalen Zustand der griechischen Staatsfinanzen. Im vergangenen Jahr hatte Griechenland, mit einem Haushaltsdefizit in Höhe von 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, den höchsten Fehlbetrag aller EU-Staaten.

Die seit März 2004 regierende konservative Partei Nea Dimokratia und ihr Vorsitzender Kostas Karamanlis machen dafür ihre Vorgänger von der sozialdemokratischen Pasok verantwortlich. Gleichzeitig benutzen die Konservativen das Defizit als Begründung dafür, die Privatisierung der restlichen Staatsbetriebe voranzutreiben und das Sozial- und Rentenversicherungssystem nach neoliberalen Maßstäben umzubauen. Die Pasok und die Gewerkschaften, die vor den Spielen einen »nationalen Pakt« mit der Regierung geschlossen und Streik- und Demonstrationsverbote während der Spiele durchgesetzt hatten, wollen nun »Widerstand leisten«. Nach Einschätzung der außerparlamentarischen Linken sind sie dazu aber weder bereit noch in der Lage.

Wie die Regierung hatten die Sozialdemokraten und Gewerkschaften im vergangenen Jahr u.a. behauptet, durch die Olympischen Spiele werde die Wirtschaft angekurbelt. Das Gegenteil ist jetzt der Fall. Die Bauindustrie, die wegen der großen Olympiaaufträge und ihrer brutalen Ausbeutung meist illegaler ausländischer Arbeiter eine der Hauptgewinnerinnen des Olympiageschäfts war, befindet sich derzeit in einer schweren Krise. Die Arbeitslosenzahl stagniert offiziell bei knapp zehn Prozent und dürfte tatsächlich bei weitem höher liegen. Einzig das Olympische Organisationsbüro im Kulturministerium trägt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei. Nicht eine Arbeitsstelle wurde hier bisher abgebaut.

Auch auf der Plaka, dem touristischen Zentrum Athens, merkt man nichts von den Problemen. Vor den Geschäften wehen weiterhin die Olympiafahnen, innen liegen Kugelschreiber, Schlüsselanhänger, Baseballkappen, Stofftiere und andere Olympiadevotionalien aus, die niemand mehr kauft. Die Preise für die olympischen Souvenirs werden nur zögerlich gesenkt. Es scheint, als wolle man hier einfach nicht Abschied nehmen vom Sommer des vergangenen Jahres, als, erstmals seit 1896 und 1 600 Jahre nach dem Verbot der antiken Spiele durch die Römer, das Sportereignis nach Griechenland zurückkehrte.

Da jedoch für viele Sportstätten weder ein staatliches Konzept zur Nutzung noch Geld für den Unterhalt vorhanden ist, sucht die Regierung nunmehr private Investoren. Für einige der gigantischen Fehlinvestitionen, wie die völlig überdimensionierten Fußballstadien in den Provinzstädten Volos und Patras, die schon während der Spiele nur zu einem Drittel gefüllt waren, wird es wahrscheinlich nie Kaufinteressenten geben. Dort haben die Wasserwerke wegen der seit Monaten unbezahlten Rechnungen bereits die Leitungen gesperrt. Dem olympischen Reitgelände in Markopoulo wird von den Elektrizitätswerken ähnliches angedroht.

Wie in der Antike bleibt den Griechen die Gewissheit, dass bei allen »nationalen Anstrengungen« die Gewinne privatisiert und die Kosten auf die Allgemeinheit verteilt werden. Kameraüberwachung ist mittlerweile im Preis inbegriffen.