»Wir würden ja regieren wollen«

Katja Kipping

Die Linkspartei wurde bei der Bundestagswahl nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 8,7 Prozent der Stimmen die viertstärkste Kraft. Sie konnte damit das Ergebnis der PDS aus dem Jahre 2002 verdoppeln.

Katja Kipping ist verkehrs- und energiepolitische Sprecherin der Partei, Mitglied des sächsischen Landtags und stellvertretende Bundesvorsitzende. Außerdem ist sie Sprecherin des Netzwerks Grundeinkommen. Im Dresdner Wahlkreis 160, wo wegen des Todesfalls einer Kandidatin der NPD erst in der kommenden Woche gewählt wird, ist sie die Direktkandidatin ihrer Partei. Mit ihr sprach Stefan Wirner.

Freuen Sie sich im Moment mehr über das allgemeine Chaos nach der Wahl oder über den eigenen Erfolg?

Sowohl als auch. Natürlich haben wir Grund, uns zu freuen. Wir haben es geschafft, ohne Leihstimmen unser Ergebnis zu verdoppeln, das ist das Schöne. Außerdem ist offensichtlich geworden, dass keines der beiden Lager eine Mehrheit hat. Witzig finde ich auch, dass CDU und SPD die ganze Zeit über faktisch eine große Koalition bildeten und jetzt so tun, als ob sie so eine Koalition nicht wollten.

Welche Koalition würden Sie nun bevorzugen? Gegen wen würden Sie am liebsten opponieren?

Im Grunde genommen ist es mir relativ egal, wie dieses Koalitionsgeschacher ausgeht. Das, was wir unter Rot-Grün erlebt haben, wird von Schwarz-Gelb nur noch bedingt überboten. Es wäre schon ehrlicher, eine große Koalition einzugehen, denn de facto gab es sie ja schon vorher.

Als Verdi-Mitglied kann ich da meinen Verdi-Vorsitzenden zitieren. Er hat gesagt, in einer großen Koalition stecke mehr Sachverstand drin als in einer schwarz-gelben unter der Beteiligung von Guido Westerwelle. Was die Einschätzung von Westerwelle angeht, da muss ich Frank Bsirske Recht geben.

Die Linkspartei hat mit 8,7 Prozent ein gutes Ergebnis erzielt. Nur nützt es recht wenig. Ein Bündnis gegen die Politik der vergangenen Jahre kommt im Bundestag nicht zustande.

Wir haben gute Erfahrung damit gemacht, dass man auch in der Opposition konkrete Verbesserungen bewirken kann. Man kann das Parlament als Podium nutzen, um argumentatives Rüstzeug gegen neoliberale Argumentationsmuster zu verbreiten. Das ist schon eine Aufgabe für uns, die Politik des Neoliberalismus und des Sozialraubs auch mit Argumenten auseinanderzunehmen.

Wir wollten ja nicht aus Selbstzweck in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen. Das Parlament bietet einfach ganz konkrete Möglichkeiten wie zum Beispiel mehr Öffentlichkeit und Ressourcen. Man kann ein Büro als offene Anlaufstelle für die außerparlamentarische Bewegung nutzen. Man hat auch ganz konkrete Rechte. Wenn in Zukunft etwas Vergleichbares wie Hartz IV als Gesetz verabschiedet wird, können wir als Fraktion direkt mit einem Normenkontrollverfahren vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Das Ergebnis der Linkspartei ist gut, aber zeitweise haben Ihnen die Umfragen zwölf Prozent der Stimmen vorhergesagt. Was trug dazu bei, dass es nicht ganz so viele Stimmen wurden? Lag es auch an Lafontaine und seiner Rede von den »Fremdarbeitern«?

Wir selbst haben nie von zwölf Prozent gesprochen. Wir wollten drittstärkste Kraft werden, das haben wir nicht ganz geschafft, was aber daran liegt, dass wir eben nicht wie die FDP auf Leihstimmen der großen Parteien setzen konnten und es aus eigener Kraft schaffen mussten.

Die zwölf Prozent wurden ja immer von den Umfrageinstituten verbreitet. Das wurde ganz geschickt gemacht. Nachdem sie uns hoch gejubelt hatten, ließen sie irgendwann ein bisschen Luft raus, so dass der Eindruck erweckt wurde, wir seien auf der Seite des Misserfolgs. Das hat sich nun als totaler Quatsch herausgestellt, denn man muss das jetzige Ergebnis mit dem Ergebnis vor drei Jahren vergleichen.

Die Fremdarbeiterrede hat uns vor allem geschadet, was unsere Glaubwürdigkeit in antirassistischen und antifaschistischen Kreisen anbelangt. Deswegen stehen wir nun besonders in der Pflicht, die Kräfte dieser Fraktion zu nutzen, um etwa eine politische Initiative zur Legalisierung der illegal hier Lebenden zu starten.

Kann das zu einer Konfrontation mit Lafontaine führen?

Oskar Lafontaine ist auf der Liste der Linkspartei und mit unserem Wahlprogramm angetreten. In diesem Programm steht, dass wir die Situation der hier lebenden Migrantinnen und Migranten verbessern, dass wir die Residenzpflicht für Asylbewerber abschaffen wollen und dass für uns Zuwanderung keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung darstellt. Auch Oskar Lafontaine wird sich diesem Wahlprogramm verpflichtet fühlen.

Derzeit sagen die Vertreter aller Parteien: Wir reden mit jedem, außer mit der Linkspartei. Denken Sie, dass das so bleibt?

Ich will gar nicht im Kaffeesatz lesen, ob das so bleibt. Wir sind angetreten gegen die Politik des praktischen Sozialraubs und für eine konsequente Friedenspolitik, für ein konsequentes Nein zu Kriegseinsätzen im Ausland. Wir wollen Hartz IV ersetzen durch eine soziale Grundsicherung, die jedem als Individualanspruch zusteht. So lange in diesen zentralen Fragen keine Übereinstimmung mit den anderen Parteien zu erzielen ist, haben wir von unserer Seite keinen Grund, von unseren Grundsätzen abzuweichen.

Trotzdem war am Wahlabend etwa bei Lothar Bisky, aber auch bei anderen Vertretern der Linkspartei durchzuhören, dass man zwar dieses Mal noch keine Beteiligung an einer Regierung anstrebe, aber dass es schon beim nächsten Mal ganz anders aussehen könnte.

Entscheidend ist: Wir würden ja regieren wollen, wir finden nur niemanden, mit dem wir uns in zentralen Fragen einig sind und eine Koalition bilden könnten. Für Linke sollte die Frage nicht heißen: grundsätzlich opponieren oder regieren? Die Frage lautet: Wie kann man am besten Weichen für einen Systemwechsel stellen? Wie kann man am besten konkrete Veränderungen bewirken?

Sie sind über die Landesliste bereits in den Bundestag gewählt. Trotzdem treten Sie in Dresden in dem Wahlkreis 160 als Direktkandidatin an, in dem erst in der nächsten Woche abgestimmt wird.

Für uns bedeutet das einfach, dass wir noch ein paar Tage mehr Wahlkampf machen und eine Extrarunde drehen müssen. Wir wollen dafür sorgen, dass nicht Andreas Lämmel von der CDU das Direktmandat gewinnt. Zum einen wegen der Konzepte, für die die CDU in Sachsen steht, zum anderen wegen des Politikstils, den Herr Lämmel pflegt.

Aber Ihre Wähler wissen, dass Sie bereits im Bundestag sind.

Man kämpft doch um ein Direktmandat nicht wegen der persönlichen Versorgung oder der Eitelkeit. Es geht um das Signal, im schwarzen Sachsen einem Kandidaten der CDU das Direktmandat abzunehmen. Dabei dreht es sich nicht nur um die Person, sondern auch um die Inhalte. Deshalb stellen wir im Wahlkampf unsere Alternativkonzepte, wie etwa die soziale Grundsicherung, in den Mittelpunkt.

Sollten die Gegner der CDU in Dresden sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, um der CDU das Direktmandat wegzunehmen?

Ich hätte nichts dagegen, wenn sich die SPD und die Grünen in Dresden auf Katja Kipping einigten.

Einer Ihrer Gegenkandidaten in Dresden ist der Rechtsextremist Franz Schönhuber.

Ja. Deswegen wollen wir auch im Wahlkampf noch einmal gezielt antirassistische und antifaschistische Themen ansprechen und dazu auch Veranstaltungen durchführen.