Spür’ die Wut und reflektiere sie

Das neue Magazin Emotion versucht, erwachsene Frauen zu erziehen. Wollen wir das? von elke wittich

Eigentlich waren sie gar nicht so schlecht, diese guten alten Zeiten, in denen Frauenzeitschriften einem erklärten, wie man aus­zu­sehen hatte. Denn damals wurde nicht allzu viel von einem erwartet: ein bisschen Diätmachen, um das mit einer simplen Formel einfach zu errechnende Idealgewicht (Größe in Zentimetern minus 100 minus 20 Prozent) zu erreichen, regelmäßige Haarbehandlungen mit ausgeklügelten Produkten sowie Beschaffung von Lidschatten, Wimperntusche und Lippenstiften in den gerade modernen Farbtönen. Des Weiteren bestand ein erfülltes Frauenleben noch aus regelmäßigen Leibesübungen in den gerade angesagten Trendsportarten, turnusmäßigen Streifzügen durch die Damenoberbekleidungsabteilungen des bundesdeutschen Einzelhandels und Friseurbesuchen. Wobei es eben nicht so sehr auf Außenrolle, Innenrolle, Kringellöckchen, glatte Ponys, Fransenschnitte und Mittelscheitel ankam, sondern darauf, an Ort und Stelle weitere Frauenzeitschriften zu konsumieren.

So war das in den guten alten Zeiten.

Mittlerweile genügt es aber nicht mehr, vorschriftsmäßig aufgemotzt zu sein, denn nun hat auch die Psyche gestylt zu sein. Jedenfalls, wenn es nach der neuen Zeitschrift Emotion geht, die sich laut Pressetext an »Frauen richtet, die beim Wort ›reflektieren‹ nicht zuerst an ihren Badezimmerspiegel denken«.

Emotion versteht sich nämlich als Psychologie-Magazin, dessen Zielgruppenangehörige »wissen, dass sie privat und beruflich nur Erfolg haben, wenn sie klug mit ihren Gefühlen und denen ihrer Mitmenschen umgehen«.

Und so wird auf 158 Seiten – abzüglich der Seiten, auf denen für diverse Cremes und andere Magazine aus dem Verlag Gruner und Jahr geworben wird – reflektiert und mit Gefühlen umgegangen, was das Zeug hält.

In der ersten Ausgabe geht es um mehr oder weniger aufregende Themen, darunter auch niemals zuvor gelesene wie »Ordnunghalten – eine Frage der Gene oder der Erziehung?« Es wird erklärt, wie man seinem Partner seine sexuellen Wünsche mitteilt und was Männer mit ihren Haaren eigentlich ausdrücken wollen. Im Interview mit Inga Humpe wird zwar glücklicherweise nicht über die Musik der 49jährigen gesprochen, dafür jedoch ausgiebig darüber geschwurbelt, wie aufregend es angeblich ist, »die ­eigenen Fehler, Macken und Neurosen zu entdecken«.

Das reicht natürlich noch nicht, um den Leserinnen ein »Coach fürs Leben« zu sein. Frauen einfach in Ruhe sie selber sein zu lassen und sie allenfalls darin zu bestärken, dass sie genau darauf ein Recht haben, kommt für Emotion nicht in Frage, die Zeitschriftenmacher haben schließlich sehr strikte Vorstellungen von der Idealfrau. Und die hat neben »überwiegend berufstätig und überdurchschnittlich gebildet« zum Beispiel charismatisch zu sein. Im entsprechenden Crashkurs werden die Basics einer positiven Ausstrahlung vermittelt, die aus Einfühlungsvermögen, Optimismus, Humor und allerhand anderen Eigenschaften besteht. Plus: Lebendigkeit, was immer das ist, denn atmen zu können sollte schließlich eine der Grundvoraussetzungen fürs Lesen von Emotion sein.

Die Anleitung zur Entwicklung des »gewissen Etwas« entspricht dabei ziemlich genau dem, was das Magazin ausmacht: Mit großem Gestus und hübsch mit Fotos berühmter Frauen garniert, werden Binsenweisheiten verkündet. »Akzeptieren Sie sich selbst« und »Charisma verlangt Echtheit«, heißt es etwa in den Zwischenüberschriften, unter denen diese Sätze dann im folgenden Text endlos variiert werden. Das hätte man durchaus kürzer haben können, streng genommen hätte ein einfaches »Seien Sie am besten immer Sie selber« ausgereicht.

Wobei genau das eigentlich nicht das Ziel der Psyche-Verbesserer ist, denn Emotionen sind according to Emotion etwas, was man nicht einfach hat, sondern in den Griff zu bekommen und zu beherrschen hat. »Richtig handelt, wer auch negative Gefühle als Teil seiner Persönlichkeit akzeptiert«, heißt es zwar, allerdings gibt es eben auch dezidierte »Tipps zur Gefühlssteuerung« – selbstverständlich wieder eine Ansammlung von Ratschlägen, wie sie, natürlich weit simpler formuliert, bereits vor 100 Jahren in jedem durchschnittlichen Hausfrauen-Almanach abgedruckt waren.

»Es ist ein Unterschied, ob man ungeheuer wütend auf jemanden ist oder ob man den selbstreflexiven Gedanken hat ›Es ist Wut, was ich empfinde‹, während man wütend ist«, erklärt ein Experte. Dass es manchmal aber einfach angebracht ist oder vielleicht auch nur verdammten Spaß macht, ein wütendes, tobendes Ekelpaket zu sein und auf Reflexion zu scheißen, gilt vermutlich als pfui-bah und wurde aus dem Repertoire der modernen Frau ersatzlos gestrichen.

Schade eigentlich, denn genau dieses wundervolle Gefühl von Gleich-und-auf-der-Stelle-vor-Wut-überkochen würde man etwas später noch so gut gebrauchen können, wenn man sich auf die Emotion-Web­site begeben und den dortigen Psychotest absolviert hat. Das ausgeklügelte Wunderwerk der Psychologie soll zur Langzeiterforschung der individuellen Zufriedenheit dienen, was okay ist, wenn man vor lauter Hektik gerade nicht in der Lage ist festzustellen, wie man sich fühlt. Und auch generell geht das klar, denn solche Fragebogen auszufüllen, ist Wellness pur. Nicht jedoch, wenn es sich um einen Emotion-Psychotest handelt: Die langweiligen Fragen lassen nur langweilige Antworten zu, die ungefähr von »sehr zufrieden« bis »sehr unzufrieden« reichen. Die Auswertung zeigt folgerichtig, womit man »sehr zufrieden« bis »sehr unzufrieden« ist. So viel mit aufgeblasenem Bullshit vertane Zeit macht unbedingt und äußerst wütend.

Denn ein ordentlicher Psychotest, das weiß man noch aus Mädchentagen, als noch nicht abzusehen war, dass das folgende Zeitschriftenleserinnenleben aus einer Kette von »Erkenne dich selbst«-Ankreuzaufgaben bestehen würde, und man sich voller Erwartungen an die Beantwortung des ersten Bravo-Tests machte, besteht erstens aus mindestens drei unterschiedlichen stimmungsvollen Natur-Fotos, von denen eines vorschriftsmäßig einen glut­orangenen Sonnenuntergang vor idyllischem Strand und ein weiteres einen Wasserfall mit viel Grün drumherum zu zeigen hat. Zweitens haben zwingend eine Frage, in der der Mann der besten Freundin, ein bisschen zu viel Alkohol sowie eine zufällige Begegnung an einem verschwiegenen Ort vorkommen, und ein moralisch hochkompliziertes Dilemma (Deine Freundin sieht in ihrem neuen Outfit hochgradig blödsinnig aus. Sagst du es ihr, bevor ihr zu einer angesagten Party aufbrecht?) Bestandteile des Tests zu sein.

Außerdem muss bereits beim Lesen der ersten Frage klar sein, welche Antwort man ankreuzen muss, um die höchste Punktzahl, die meist das erstrebenswerteste Ergebnis erzeugt, zu erreichen. Denn natürlich macht man sich die ganze Mühe nur dann, wenn von vornherein feststeht, dass man am Ende als charismatisch, abenteuerlustig, guter Kumpel, sensibel, anziehend, intelligent und kreativ beurteilt werden wird. Denn genau so ist man ja schließlich auch. Und seltsamerweise ist man von ganz allein so großartig geworden, ganz ohne Emotion und obwohl man beim Wort Reflexion selbstverständlich sofort an einen Badezimmerspiegel denkt. Woran denn auch sonst?