Was die Dänen denken

Nach dem Karikaturen-Streit: Die Zeitung Jyllands-Posten veröffentlicht eine Umfrage über Muslime in Dänemark. von bernd parusel

Es ist ruhiger geworden im Streit um die Mohammed-Karikaturen. Für die Zeitung Jyllands-Posten sind der Islam und die Muslime aber noch immer ein Thema. Im Mai präsentierte die konservative Zeitung, die Anfang des Jahres mit ihren Zeichnungen des Propheten weltweit Empörung und Proteste ausgelöst hatte, ihren Lesern eine groß aufgemachte Serie über »Muslime in Dänemark«. Dieses Mal ließ man keine Bilder, sondern Zahlen sprechen. Die verantwortlichen Journalisten Orla Borg und Henrik Vinther Olesen wollten vor allem zwei Fragen klären: Wie steht die muslimische Minderheit in Dänemark zu Politik, Gesellschaft und Religion? Und was halten die Dänen umgekehrt von den Mus­limen?

Die dänische Debatte um die Mohammed-Bilder hätten vor allem strenggläubige Imame dominiert, schreibt die Zeitung. Wortgewaltig hatte etwa Abu Laban von der »Islamischen Glaubens­gemeinschaft« die Karikaturen kritisiert, andere hatten zum Boykott dänischer Produkte aufgerufen. Jyllands-Posten wollte nun wissen, wie groß der Rückhalt radikaler Kleriker in der muslimischen Bevölkerung Dänemarks sei und ob sie für sich in Anspruch nehmen könnten, im Namen der Mus­lime zu sprechen. Zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Rambøll Management befragte die Zeitung im März dieses Jahres 680 der insgesamt rund 200 000 Muslime in Dänemark. Das Ergebnis lautete: Ein Großteil fällt nicht gerade durch Strenggläubigkeit auf. Mehr als zwei Drittel besuchen der Umfrage zufolge selten oder nie die Moschee, und rund 42 Prozent beten selten oder nie. Und die Zeitung zog den Schluss: »Wenige folgen den Imamen.«

Weiter ergab die Erhebung, dass eine Mehrheit dänisches Fernsehen sieht und nicht etwa Al-Jazeera und dass sich die meisten Dänemark »am engsten verbunden« fühlen, viel stärker als ihren Herkunftsländern bzw. den Herkunfts­ländern ihrer Vorfahren. Zwei Drittel wider­sprechen der Forderung, dass muslimische Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen sollten, und nur 1,7 Prozent meinen, Frauen sollten nicht arbeiten. Fast 93 Prozent unterstützen aber die Aussage, es sei falsch von Jyllands-Posten gewesen, Karikaturen von Mohammed zu veröffentlichen. Das bedeute eine nur »geringe Unterstützung für die Meinungsfreiheit«, kommentiert die Zeitung das Ergebnis.

Außerdem befragte sie 1 062 Dänen zu ihren Ansichten über Muslime und verglich die Daten mit Untersuchungen zum selben Thema in Schweden, Norwegen und Deutschland. Internationale Medien wie CNN oder BBC hätten in ihren Berichten über den Karikaturen-Streit ein einseitiges Bild der dänischen Gesellschaft gezeichnet, schreibt die Zeitung. Die Dänen seien als »Fremdenfeinde«, die Schweden als »Humanisten« dargestellt worden.

Die Dänen hätten die strengsten Gesetze über die Familienzusammenführung in Europa, die Schweden dagegen die liberalsten. Dänemark habe die einflussreiche Dänische Volks­partei, die die Einwanderung begrenzen wolle, im schwedischen Reichstag fände sich keine vergleichbare Partei. Was aber denkt der Durchschnittsdäne? Dänen wie Norweger wünschen sich dringend eine Begrenzung der Einwanderung von Muslimen. 59 Prozent der Dänen äußerten sich so, in Norwegen waren es 56, in Schweden 40 und in der Bundesre­publik 26,5 Prozent. Viel stärkere Bedenken als die Schweden, in ein Wohnviertel zu ziehen, in dem »viele Muslime leben«, hätten die Dänen und Norweger: 65 Prozent der Dänen und 63 der Norweger, im Vergleich zu 58 Prozent der Schweden und nur rund 50 Prozent der Bundesbürger, äußerten sich skeptisch.

Ob sich in den Antworten auch die Bedenken gegen den Umzug in benachteiligte und heruntergekommene Gegenden spiegeln, in denen eben auch viele einkommensschwache Migranten leben, wird dabei nicht klar. Zwar meinen 47 von 100 Dänen, der Islam habe eine »beeindruckende Kultur« geschaffen, nur 16 sind jedoch der Auffassung, diese passe gut zur »westlichen Welt«. Die Möglichkeit, »weiß nicht« zu antworten, gab es bei keiner der Fragen.

Als vergleichsweise tolerant schneiden die Dänen ab, wenn sie gefragt werden, ob sie Mus­limen persönlich misstrauischer gegenüberstehen als Nicht-Muslimen. 42 Prozent geben das zu, im Vergleich zu 43 in Schweden, 48,5 in Norwegen und rund 34 Prozent der Befragten in der Bundesrepublik. In einem anderen Punkt verweigern sich die Deutschen der multikulturellen Gesellschaft: 31 Prozent der Bundesbürger fühlen sich angesichts der »großen Zahl von Muslimen« wie »Fremde im eigenen Land«. Nur 22 Prozent der Dänen teilen solche Gefühle. Dass die Deutschen ansonsten relativ tolerant wirken, begründet Jyllands-Posten unter Berufung auf Klaus F. Zimmermann, einen Bonner Professor für Staatswissenschaft, damit, dass die meisten Muslime in der Bundes­republik Türken seien, die eine »entspanntere Haltung zur Religionsausübung« einnähmen als Mus­lime aus arabischen Ländern.

Die Dänen und ihre Nachbarn hätten »gemischte Gefühle« gegenüber Muslimen, fasst die Zeitung das Ergebnis der Befragung zusammen. Genauere Schlussfolgerungen lässt das Umfrageergebnis wohl auch nicht zu. Ob die vielfach suggestiven Fragestellungen zu mehr Verständnis und Toleranz zwischen Moslems und andersgläubigen Dänen beitragen können, bleibt ebenfalls fraglich. Manch einer hätte sich genau das aber gewünscht.

Dänische Intellektuelle und die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) haben mehrfach ein intolerantes Klima gegenüber Einwanderern in Dänemark beklagt. »Dänemarks Herz ist kalt geworden«, lautete der Titel eines Essays des Schriftstellers Carsten Jensen, in dem er eine »militant islamophobe Rhetorik« vieler Poli­tiker und Medien kritisiert. Die Kommission des Europarats bemängelte in einem am 16. Mai vorgestellten Bericht Verschärfungen im dänischen Integrations-, Ausländer- und Einbürgerungsrecht und stellte fest, dass »einige Politiker und Teile der Medien permanent ein negatives Bild von Minderheiten im Allgemeinen und von Muslimen im Besonderen« zeichneten. Sie sollten, so die Kommission, eine »verantwortungsbewusstere Rolle übernehmen«.

Die Kritik zielt vor allem auf die rechtsradikale Dänische Volkspartei von Pia ­Kjaersgaard, aber auch auf die rechtsliberal-konservative Regierung unter Anders Fogh Rasmussen, die von der Volkspartei abhängig ist. Rasmussen reagierte gereizt auf den Bericht und behauptete, er enthalte viele »sachliche Fehler« und »nicht nachgewiesene Behauptungen«. Er werde ihn »in den Papierkorb« werfen. Die Zeitung Jyllands-Posten, die als inof­fizielles Sprachrohr der Rechtsregierung gilt, fühlte sich offenbar ebenfalls von der Kommission angesprochen. Schon vor der Publikation des Reports wusste die Zeitung von dessen Inhalt und kanzelte den Bericht am Tag seiner Veröffentlichung – unter Berufung auf »Experten« und mit ähnlichen Worten wie der Premierminister – als nicht glaubwürdig ab.

Die Serie »Muslime in Dänemark« ist, anders als der Bericht der Kommission, im Ausland eher ignoriert worden. Immerhin konnte sich die liberale schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter einen Kommentar nicht verkneifen. Sie freute sich, dass die Schweden mit ihren Meinungen über Muslime als etwas toleranter dastünden als ihre Nachbarn im Südwesten. Das Blatt spottete ganz offen: »Die Dänen können sich durchaus von muslimischer Kultur beeindrucken lassen, solange sie nicht in Dänemark stattfindet.«