Attacs neue Taktik

Bei Attac in Frankreich wird heftig gestritten. Der Vorstand will sich als politische Lobby profilieren, die Mitglieder fordern mehr Entscheidungsrecht. von bernhard schmid, paris

Die Wahlen der Führung von Attac Frankreich auf der Generalversammlung Mitte Juni waren so umstritten, dass manche Mitglieder sogar Vergleiche zu den Praktiken von Silvio Berlusconi heranzogen. Am vorletzten Wochenende beschloss der Vorstand der Organisation, dass die Wahlen in einem halben Jahr wiederholt werden sollen. Nachdem sich schon zuvor die Anhänger zweier großer politischer Blöcke misstrauisch bis feindlich gegenübergestanden waren, kam es bei den Vorstandswahlen zu einer Pattsituation.

Die bisherige Führung unter dem amtierenden Präsidenten Jacques Nikonoff konnte nur eine knappe Mehrheit erringen. Alsbald wurden Vorwürfe erhoben, es habe sich um Wahlbetrug gehandelt. Rund 6 000 Mitglieder von Attac haben per Briefwahl abgestimmt. Bei der Auszählung dieser Stimmen kam es nach Auffassung von vielen Mitgliedern zu Unregelmäßigkeiten.

Mit der Wiederholung der Wahl soll nun die schwere Krise der Organisation überwunden werden, die 1998 gegründet wurde und mehrere Jahre lang eine der erfolgreichsten außerparlamentarischen politischen Zusammenschlüsse war. Bereits in den vergangenen zwei Jahren verlor Attac in Frankreich an Bedeutung, nun droht die Organisation an ihren inneren Widersprüchen zu zerbrechen.

Attac war von einem Zirkel von Intellektuellen rund um die Monatszeitschrift Le Monde diplomatique gegründet worden und wurde zunächst als »globalisierungskritisch« bezeichnet. Später wählte man jedoch die Selbstbezeichnung »altermondialistisch«, abgeleitet von autre monde. Damit bekundete die Organisation, für eine »andere Welt« beziehungsweise eine »andere Globalisierung« eintreten zu wollen.

Schon seit der Entstehung gab es zwei Grundströmungen innerhalb von Attac. Einerseits vertritt die Gruppe um den Gründer und Ehrenpräsidenten Bernard Cassen die Auffassung, statt der in den vergangenen 25 Jahren praktizierten Deregulierung der Märkte sollten die Nationalstaaten wieder stärker das wirtschaftliche Geschehen bestimmen und so soziale und ökonomische Krisen eindämmen. Neben den Nationalstaaten könne möglicherweise auch die EU, falls sie eine »Umorientierung« erfahre, ein solcher Akteur der »Re-Regulierung« der weltweit entfesselten kapitalistischen Ökonomie sein.

Die andere Fraktion, die unter anderem von der stellvertretenden Vorsitzenden Susan George repräsentiert wird, will politisches Handeln nicht vorrangig von den Staaten fordern, sondern befürwortet eine internationale Zusammenarbeit der sozialen Bewegungen.

Dieser Auffassung neigen vor allem viele der Attac angeschlossenen linksgewerkschaftlichen Kräfte zu. Attac Frankreich besteht derzeit aus rund 25 000 Einzelmitgliedern und rund 1 000 Kollektivmitgliedern. Zu den letztgenannten gehören mehrere Einzelgewerkschaften der CGT, die linksalternativen Basisgewerkschaften des Zusammenschlusses SUD / Solidaires, die linke Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, die Bildungsgewerkschaft FSU und verschiedene Vereinigungen von Arbeitslosen.

Diese Vielfalt musste früher oder später zu Konflikten führen. Seit südamerikanische Regierungen wie etwa jene von Hugo Chávez in Venezuela als Gegenkräfte zu den USA, die von ihnen als Hauptträger der neoliberalen Umgestaltung des globalen Kapitalismus betrachtet werden, und zu den bestehenden weltwirtschaftlichen Strukturen auftreten, sehen Bernard Cassen und seine Anhänger sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass es das strategische Ziel sein müsse, staatliches Handeln zu beeinflussen.

Die französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr beschleunigen die Eskalation des Kon­flikts. Ein Teil der Linken debattiert über eine Einheitskandidatur, unter der Devise einer candidature antilibérale. Der Begriff libéralisme bezeichnet in Frankreich allein den Wirtschaftsliberalismus, also eine Politik zugunsten der wirtschaftlich Stärkeren. Anders als im Deutschen, bezieht er sich nicht auf das Engagement für die Bürgerrechte. Unter einer »antiliberalen Kandidatur« im Sinne von »anti-neoliberal« können sich alle linken Kräfte in Frankreich prinzipiell etwas vorstellen.

Dennoch ist unklar, was der Begriff bezeichnen soll: das Eintreten für eine Neuauflage keynesianischer Politik? Oder eine schärfer gefasste Kapitalismuskritik?

Ähnlich unbestimmt bleibt bisher auch das politische Profil der möglichen linken Einheitskandidatur, für deren Zustandekommen bereits eine Reihe von Veranstaltungen abgehalten wurden. Die KP propagiert ein Bündnis, möchte es aber gerne um sich selbst herum organisiert wissen und den Kandidaten oder die Kandidatin stellen. Die trotzkistisch-undogmatische LCR sprach sich zunächst grundsätzlich für ein Bündnis aus, hat sich aber vorerst aus der Debatte zurückgezogen, da sie zur Bedingung macht, dass keine Regierungsbeteiligung vorbereitet werden dürfe und eine spätere Koalition mit der Sozialdemokratie ausgeschlossen werde. Genau dies aber widerspricht den längerfristigen Absichten der KP. Aus den Reihen des altermondialistischen Spektrums hat Mitte Juni auch der ehemalige Sprecher der linken Bauerngewerkschaft, José Bové, seine Bereitschaft erklärt, für eine solche Allianz zu kandidieren.

An diesem Punkt aber brechen die Widersprüche bei Attac auf: Nikonoff, der in grundsätzlichen Fragen Bernard Cassen nahe steht, war früher Vorstandsmitglied der KP. Ihm darf getrost unterstellt werden, dass er eine Kandidatur der Linksparteien und auch eine spätere Regierungskoalition begleiten und von Attac argumentativ unterstützt sehen möchte. Dagegen neigen etwa Bové und seine Freunde eher dem anderen Flügel von Attac zu. Allerdings hat auch Bové sich in jüngster Zeit den grünen und einigen sozialdemokratischen Politikern angenähert. Bisher lässt er die Frage der künftigen Strategie gegenüber einer möglichen Links­regierung offen.

Ebenso unklar ist, ob und wie sich die interne Struktur von Attac nach den Wahlen in sechs Monaten verändern wird. Cassen und Nikonoff möchten die ursprüngliche abgeriegelte Struktur beibehalten, um die Führung der Organisation zur schlagkräftigen Lobby zu machen, die auch in der etablierten Politik mitreden kann. Dagegen plädiert die Opposition dafür, den Mitgliedern eine stärkere Rolle und mehr Entscheidungsrechte zu garantieren.

Dieser strukturelle Widerspruch zeigt, wie sich die Organisation Attac seit ihrer Gründung verändert hat. Denn ursprünglich war sie nicht als Massenorganisation gedacht, sondern als eine Art Expertengremium, das sich in Fragen der weltwirtschaftlichen Strukturen zu Wort melden sollte. Dem entsprach eine Struktur mit einer Führung von Spezialisten, die auch die ursprüngliche Linie in den öffentlichen Äußerungen bewahren helfen sollte. Der Zulauf von Einzel- und vor allem von Kollektivmitgliedern hat dieses Konzept längst obsolet gemacht.