Bis zum letzten Atemzug

Eine Verfassungsänderung soll dem algerischen Präsidenten Bouteflika weitere Amtszeiten ­ermöglichen. Regimekritiker werden härter verfolgt. von bernhard schmid, paris

Eine der wichtigsten Regeln für Algerier, die es zu etwas bringen wollen, lautet: Widersprechen Sie nicht Präsident Abdelaziz Bouteflika! Der Mann schätzt keine Widerrede. Die drei Parteien seiner »Präsidentenkoalition«, die Algerien regiert, haben sich diese Devise längst zu Herzen genommen. Die Vorsitzenden der ehemaligen antikolonialen Befreiungsfront und späteren Staatspartei FLN, der Karrieristenvereinigung RND und der legalen islamistischen Partei MSP-Hamas sprechen nicht mehr von ihrem Programm, von dem vor Jahren einmal die Rede war. Sie setzen sich offiziell »die Verwirklichung des Programms des Präsidenten Bou­teflika« zum Ziel.

Wenn es doch zum Streit unter den Parteien kommt, geht es meist darum, wer die Anweisungen des Chefs am besten ausführt. Am Mittwoch dieser Woche wird sich erweisen, wer dabei am geschicktesten war. Am Jahrestag der Unabhängigkeit will Bouteflika seine neuen Pläne verkünden. Die Verfassung soll so bald wie möglich geändert werden; wahrscheinlich im August soll zu diesem Zweck ein Referendum offiziell angekündigt werden, das dann innerhalb von 45 Tagen stattfinden muss.

Die Änderungen sollen ein neues Präsidialregime ermöglichen, das auf Bouteflika zugeschnitten ist. Der FLN hat bereits einen konkreten Entwurf dafür vorgelegt, während der RND sich zurückhielt. Man werde den Änderungsvorschlag unterstützen, »wenn er vom Präsidenten kommt«, hielt man dort den Kollegen entgegen. Der RND zögert, weil die Partei gerne ihren Vorsitzenden Ahmed Ouyahia als Nachfolger des Amtsinhabers sähe und daher am liebsten in Ruhe auf den Abgang Bouteflikas in einigen Jahren gewartet hätte. Doch daraus wird wohl nichts. Ouyahia wurde Ende Mai als Premierminister abgesetzt und durch einen FLN-Politiker ersetzt, der als besonders willfährig gegenüber Bouteflikas persönlichen Ambitionen gilt, nämlich durch den früheren Außenminister Abdelaziz ­Belkhadem.

Bereits vor der Rede des Präsidenten wurde bekannt, dass die bisher bestehende verfassungsrechtliche Regel fallen soll, die nur zwei Amtszeiten für das Staatsoberhaupt zulässt. Der 69jährige Präsident könnte sich damit eine dritte, vierte und auch fünfte Amtsperiode genehmigen. Falls er so lange lebt. Fast unumstritten ist, dass Bouteflika an einer Krankheit leidet, Gerüchten zufolge handelt es sich um Krebs. Offiziellen staatlichen Verlautbarungen zufolge fehlt ihm nichts, doch er verbrachte den November und Dezember des vergangenen Jahres in einem Pariser Krankenhaus, aus dem kaum Informationen nach außen drangen. Angeblich wurde er nur wegen eines Magengeschwürs behandelt.

Manche Beobachter meinen denn auch, er wolle »im Amt sterben«, sei es vor oder nach der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2009, und so als Staatschef in die Geschichte eingehen, der bis zum letzten Atemzug seinem Land gedient hat. Davon könnte Belkhadem profitieren, der voraussichtlich seine eigene Stellung durch die geplante Verfassungsänderung verbessern kann. Denn zumindest der Vorschlag des FLN sieht auch die Schaffung eines Vizepräsidentenamts ähnlich wie in den USA vor. Belkhadem, der für diesen Job im Gespräch ist, könnte dann die Staatsgeschäfte übernehmen, sobald Bouteflika stirbt.

Der Präsident wollte Belkhadem bereits im August 2000 zum Premierminister ernennen. Damals scheiterte er am Einspruch der ranghöchsten Militärs, die ihm klar beschieden, dass dieser Mann für sie inakzeptabel sei. Denn im Jahr 1992, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, hatte der damalige Parlamentspräsident Belkhadem sich für eine Regierungskoalition zwischen dem FLN, dessen konservativem Flügel er angehörte, und der Islamischen Rettungsfront (Fis) ausgesprochen, die kurz darauf verboten wurde. Belkhadem gilt als »barbéfélén« (bärtiger FLN-Mann), wie in Anspielung auf die islamistische Rasur­abstinenz Vertreter der islamisch-nationalistischen Strömung innerhalb der früheren Einparteispartei genannt wurden.

Seine jüngste Ernennung wurde von der algerischen Tageszeitung Liberté mit der Amtseinführung des gemäßigten türkischen Islamisten Recep Tayyip Erdogan verglichen, der just am Tag davor auf Staatsbesuch in Algier weilte. Dieser kann seit dem Jahr 2002 in der Türkei mit Billigung des nationalistischen Establishments regieren, nachdem die dor­tigen Generäle noch im Jahr 1997 den Rücktritt der weniger gemäßigten islamistischen Regierung Necmettin Erbakans erzwungen hatten.

Manche algerische Journalisten argwöhnen, Bouteflika bereite längerfristig eine Rehabilitierung der islamistischen Extremisten vor, um sich in seinem persönlichen Machtstreben auf sie stützen zu können. Sie verweisen auf die Amnestie, die seit Ende Februar schrittweise in Kraft getreten ist und es bisher 2 200 islamistischen Häftlingen erlaubt hat, die Gefängnisse zu verlassen.

Doch Bouteflika ging es bei der Amnestie vor einigen Monaten nicht um die Rehabilitierung der Islamisten, vielmehr wollte er auf autoritäre Weise für Ruhe im Lande sorgen und sich selbst als den großen Einiger der vormals gespaltenen Nation präsentieren. In seiner letzten öffentlichen Ansprache vor dem Nationalfeiertag sagte er am vorletzten Sonntag im Hinblick auf die Amnestierten: »Vergessen wir nicht, dass ein Krimineller ein Krimineller ist. Er muss sich daran erinnern, dass er ein Krimineller bleibt«, dem »das algerische Volk Pardon erteilt hat«.

Auf lange Sicht könnte die Amtsführung Bouteflikas dennoch die islamistische Bewegung begünstigen. Denn die immer autoritärere Politik und die Festigung seines Präsidialregimes verhindert pluralistische Debatten und die demokratische Bewusstseinsbildung. Es werden sogar Freiheiten eingeschränkt, die es in bestimmten Grenzen sogar während der Jahre des Bürgerkriegs gegeben hat. Die pluralistische Presse etwa ließ das Regime damals teilweise gewähren, da die meisten Journalisten auch ohne Anweisungen des Militärs dem militanten Islamismus feindlich gegenüberstanden. Ein größerer Spielraum für Journalisten war im Zuge der durch eine Massenbewegung in den Jahren 1989 bis 1991 erzwungenen demokratischen Öffnung erkämpft worden. Die Islamisten aber schätzten Kritik noch weniger als das Regime, ihr Kampf war auch eine Bedrohung für die gerade gewonnenen Freiheiten.

Bouteflika ist indes immer weniger bereit, Abweichungen der Journalisten von der Regierungslinie zu tolerieren. Vor allem in den vergangenen beiden Jahren kam es zu zahlreichen Prozessen gegen missliebige Publizisten. Am 3. Mai, dem internationalen »Tag der Pressefreiheit«, verkündete Bouteflika, er werde auch eine Amnestie für Journalisten erlassen.

Das Pardon des »algerischen Volkes« zu erlangen, war für Journalisten jedoch schwieriger als für Islamisten. Denn nur rechtskräftig in allen drei Instanzen verurteilte Journalisten und Karikaturisten sollten von dem Amnestiebeschluss profitieren. Das aber nützt den Betroffenen nichts, denn sie waren bis dahin nur in erster oder zweiter Instanz abgeurteilt worden.