Don’t be cruel

Das Urteil des Obersten Gerichts zu Guantánamo von william hiscott

Für Amerikaner gibt es nur einen König: Elvis Presley. Nach Graceland, wo »the King« einst lebte, reisen jährlich 600 000 Verehrer. In der vergangenen Woche begab sich auch Präsident George W. Bush gemeinsam mit dem japanischen Premierminister Junichiro Koizumi zu dieser Wallfahrtsstätte. Viele Kritiker sagen Bush nach, er betrachte sich als über dem Gesetz stehenden, von Gott berufenen Herrscher und hege monarchische Ambitionen. Auf eine Akzeptanz solcher Ansprüche kann ein US-Präsident jedoch nicht hoffen.

Am Tag vor dem Besuch in Graceland wurde Bush vom Obersten Gericht zurechtgewiesen. Im Fall »Hamdan vs. Rumsfeld« entschieden die Richter, dass die Exekutive nicht berechtigt ist, nach eigenem Ermessen Militärtribunale einzusetzen. Die Verfassung fordere eine Mitwirkung der Legislative, des Kongresses. Zudem war es fünf von acht abstimmenden Richtern unverständlich, warum die Genfer Konvention nicht für Salim Ahmed Hamdan, den angeblichen Chauffeur Ussama bin Ladens, und die anderen in Guantánamo Inhaftierten gelten solle.

Politische Analytiker sehen in dem Urteil eine Niederlage für die Regierung und die von ihr propagierte verfassungsrechtliche Theorie, derzufolge die Macht eines Präsidenten in Kriegszeiten auch das Recht umfasst, Gesetze zu ignorieren. Zudem scheint mit diesem Urteil ein Verfassungsstreit wieder ausgebrochen zu sein, der Anfang der siebziger Jahre bereits Richard Nixon Probleme bereitete. Auch damals ging es um den Anspruch des Präsidenten, die Macht der Regierung in Zeiten des Krieges auf Kosten des Parlaments und der Justiz zu erweitern. Die Verfassung stellt die drei Gewalten jedoch gleich.

Damals war es die Legislative, die sich gegen den Präsidenten stellte, der Kongress zwang Nixon 1974 sogar zum Rücktritt. Derzeit legt die republikanische Mehrheit im Kongress keinen Wert darauf, den Präsidenten zu bremsen. Diese Aufgabe übernahm das Oberste Gericht, das die Parlamentarier nun dazu verpflichtet hat, sich einzumischen. Möglicherweise werden die republikanischen Parlamentarier jedoch den Vorgaben Bushs folgen, wenn sie sich, vielleicht erst nach den Kongresswahlen im November, dazu aufraffen, das Urteil zu befolgen.

So bringt das Urteil nicht unbedingt eine Verbesserung für die Inhaftierten. Wie zuvor bleibt die Lage der in Gefängnissen außerhalb des US-Territoriums Inhaftierten rechtlich ungeklärt. Der Hinweis des Gerichts auf die Genfer Konvention dürfte zudem niemanden im Weißen Haus sonderlich beeindrucken. Bereits im Jahr 1832 widersetzte sich Andrew Jackson, der erste Präsident, dem monarchische Ambitionen unterstellt wurden, einem Urteil gegen die Deportation von Indianern mit der Begründung, dass das Oberste Gericht niemanden zum Gehorsam zwingen könne. So forsch würden Vertreter der Regierung Bush niemals ihre Ansichten kundtun, doch an ihrem Unwillen, die Gerichtsentscheidung sofort und vollständig zu befolgen, kann kaum gezweifelt werden.

Deshalb kann das Hamdan-Urteil zwar, wie es die New York Times tat, als »Sieg der Rechtsstaatlichkeit« gefeiert werden. Doch die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit werden ebenfalls deutlich. Denn ohne eine gewisse Kooperationsbereitschaft der Regierung und des Kongresses dürfte das Urteil kaum praktische Folgen haben. Die Äußerungen und Aktivitäten der Regierung und der Republikaner im Kongress seit dem 11. September 2001 sprechen jedoch dafür, dass sie die Gerichtsentscheidung nur als lästiges, aber nicht unüberwindliches Hindernis betrachten werden.