Ins Museum und wieder raus

Auf den Kontext kommt es an: Daniel Richter auf einem Plattencover und in einer Ausstellung in Basel. von roger behrens

Unrat liegt auf dem Boden, leere Bierdosen, die im Schlamm vor einer dunklen, feuchten Mauer schwimmen. Darunter könnten die Katakomben der Moderne liegen oder das Kanalisationssystem, das die Abwässer des 20. Jahrhunderts transportiert. Aus einem kreisrunden Loch in der Mauer leuchtet grelles, weißes Licht. Vor der Öffnung steht jemand, den Rücken zum Betrachter gewandt. Sein Hinterkopf wird vom Licht verschluckt, nur seine mit Nieten besetzte Lederjacke ist zu erkennen. »Fuck the Police«, ist auf der Jacke zu lesen. Ein politisches Statement, das restlos zur Mode geworden ist; sorgfältig ist der Satz mit Nieten auf der Lederjacke appliziert. Wenn diese Person ein Punk ist, dann ein Edelpunk im kostbaren Outfit, ausstaffiert mit Modeschmuck. Dennoch, die Person ist hier richtig: Punk heißt Müll.

Auf »Lenin«, dem neuen Album der Goldenen Zitronen, findet sich Daniel Richters Bild »Lonely Old Slogan« gleich zweimal, vorne auf dem Cover, und auf einem Foto auf der Rückseite des Covers ist es auch zu entdecken: Es ist ein Schnappschuss, auf dem sich Partygäste auf unsympathische Weise selbst inszenieren. Drei Frauen und ein Mann umarmen sich grölend, eine Frau posiert gebückt davor und fotografiert die Szene mit ihrer Digitalkamera. Dahinter sind voll besetzte Tischreihen zu erkennen; an der Wand im Hintergrund hängt Richters Gemälde, das hier kleiner wirkt, als es tatsächlich ist.

Viele dürften den Schnappschuss als ironische Inszenierung deuten und die auf dem Foto abgebildete Personengruppe einfach mit belanglosen, unsympathischen Widerlingen assoziieren; dass es sich bei den abgebildeten Partygästen um die Galeristen von Contemporary Fine Arts handelt, die Richters Arbeiten vertreten, dürften die meisten nicht wissen. Doch gerade deswegen verweist dieser Schnappschuss auf die unterschiedlichen funktionalen Ebenen, die der bildenden Kunst in der Gegenwart zukommen.

Ein Bild auf einem Cover ist etwas vollständig anderes als dasselbe Bild in der Galerie oder in einem Museum – und zwar nicht nur diskurstheoretisch in Bezug auf den Kontext, sondern sachlich, politisch, material. Richters Bild ist auf dem Cover eine Gebrauchsgrafik, nicht einmal ein Kunstwerk, sondern dient als bloße Verpackung, die das ästhetische Versprechen der Musik der Goldenen Zitronen repräsentiert. Daniel Richter ist zu einem Mitwirkenden des Albums geworden: der Künstler als Produzent.

Im Museum hingegen ist der Produzent Künstler. Und die Bilder sind Gemälde, Kunstwerke, die mittlerweile Höchstpreise im sechsstelligen Bereich erzielen. Das Museum für Gegenwartskunst in Basel zeigt derzeit 15 Arbeiten Richters in einer Einzelausstellung, auch »Lonely Old Slogan« ist hier im Original und in voller Größe zu sehen, 2,50 Meter mal 2,80 Meter. Nicht nur die Maße seiner Bilder verweisen auf die Gattung des Historiengemäldes, mit der jene Schlachten und Szenen dargestellt wurden, die als Siege des Fortschritts in die Geschichtsbücher eingingen. Richters Historiengemälde konterkarieren das: Geschichte und Kunst werden somit gleichermaßen und buchstäblich zur einsamen alten Losung. Gerade indem Richter den politischen Inhalt in die Malerei zurückholt bzw. – mit Bezug auf die Anti-Malerei von Albert Oehlen und Martin Kippenberger – die Malerei als politische Form wieder aufnimmt, wird deutlich, worauf sich die kritische Kraft der Bilder, nämlich ihr Wahrheitsgehalt, wirklich bezieht: auf die Gegenwartskunst und ihre Musealisierung.

Das Museum war einmal der Ort, in dem die Geschichte als Zivilisation zugänglich gemacht wurde; im Museum erfüllte die Historienmalerei ihre Funktion. Die Bilder bewahrten die Erfolge der Vergangenheit. Die Gegenwart beruht indes auf einer Vergangenheit, die erfolglos blieb; das Museum wird zum Ort, in dem das Scheitern der Geschichte bewahrt und zugleich entschärft wird. Gegenwartskunst, die sich zum Museum ohnehin konträr verhält, wird scheinbar zum Paradoxon, insbesondere wo sie Form und Inhalt der Vergangenheit aktualisiert, ohne dass der Raum, das Museum, ebenfalls aktualisiert wird.

Richters Historienbilder handeln vom Scheitern der Moderne. Themen sind der Barmbeker Aufstand von 1923 (»Nerdon«) oder der Brand im Lübecker Asylbewerberheim von 1996 (»Billard um halbzehn«). Es geht um Rassismus, Antifaschismus, die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Revolution (»Revidyll«, »Kein Gespenst geht um«, »Hotel Jugend« etc.). Die gescheiterte Geschichte, die im Museum ausgestellt und somit banalisiert wird, wird allerdings im Bild lebendig.

Das Bild »Phienox« könnte eine Szene vom Mauerfall im Jahr 1989 zeigen. Die Situation ist unübersichtlich, Menschen stehen teils ratlos, teils wie gebannt herum, eine Person wird über eine Mauer gehoben. Die Wahrheit des Bildes bleibt dem musealen Blick verborgen: Man muss wissen, dass das Bild auf einem Zeitungsfoto basiert, das die von Islamisten bombardierte US-amerikanische Botschaft in Nairobi zeigt.

Mit der Malerei wird die Geschichte und mit der Geschichte die Malerei in Frage gestellt. (Gerhard Richter hat es genau umgekehrt gemacht und mit der Malerei – man denke an den RAF-Zyklus – Geschichte wie Kunst bestätigt.) So erklärt sich der von Rich­ter selbst gewählte Titel der Ausstellung: »Huntergrund« – ein Neologismus, der aus »Hintergrund« (räumlich wie sachlich) und »Untergrund« (politisch, kulturell und als Leinwand) zusammengesetzt ist.

Dass die Ambivalenzen, die für die Arbeiten Richters kennzeichnend sind, in das Konzept der Ausstellung überführt werden konnten, ist dem Kurator Philipp Kaiser zu verdanken. Dazu trägt auch der bemerkenswerte Katalog bei, der zugleich ein Katalog gegen die Ausstellung ist, weil er sich dem Museum und der Historienmalerei verweigert. Angaben zu den Arbeiten im Katalog beschränken sich auf die in der Ausstellung gezeigten Bilder – als Appendix. Ein Gespräch zwischen Richter und Kaiser erläutert die Arbeitsweise des Künstlers, nicht die Werke als abgeschlossene Einheiten. Abbildungen, die auf Papierstreifen eingeheftet sind, wirken wie Lesezeichen. Der einzige »Textbeitrag« ist eine Seite aus Flann O’Briens »Trost und Rat«, disparat an den Schluss des Katalogs gesetzt, ohne Kommentar. Der Katalog ist vielmehr ein Skizzenbuch, setzt Zeichnungen neben Tuschebilder, ganzseitige Vorstudien neben Originale, bei denen aber die Signaturen abgeschnitten sind. Unsichtbar bleibt etwa bei »Lonely Old Slogan« die Unterschrift und eine darunter gezeichnete Hand, die aus einem imaginären Wasserstrudel ragt und Hilfe suchend nach Richters Namen greift.