Dead Men Working

Das holländische Sozialmodell von jan sanders

Die Regierung wertet es als Erfolg: Einmal mehr schnitten die Niederlande am besten ab, als in der vergangenen Woche die Arbeitslosenstatistiken der EU veröffentlicht wurden. Die offizielle Erwerbslosenrate betrug im Juli nur 3,9 Prozent, der Durchschnitt in der EU liegt mit acht Prozent mehr als doppelt so hoch.

Man legt Wert darauf, dass alle Holländer arbeiten, ob sie es wollen und können, gilt als zweitrangig. Die Regierung will sich verstärkt bemühen, alle von staatlichen Sozialleistungen Abhängigen ins Berufsleben zu integrieren, geistig Behinderte ebenso wie die Patienten der Psychiatrie. »Der einzige weitere Schritt, der auf diesem Weg des Arbeitswahns noch möglich ist, wäre die Zwangsintegration der Verstorbenen in den Arbeitsmarkt«, kommentiert L. von Overbeek auf Labournet.

Nicht alle müssen 40 Stunden in der Woche schuften. Die niedrige Erwerbslosenrate ist vor allem eine Folge des hohen Anteils von Teilzeitarbeit und »flexiblen« Beschäftigungsverhältnissen. Etwa 40 Pro­zent der Beschäftigten arbeiten mit solchen Verträgen, mehr als doppelt so viel wie im europäischen Durchschnitt. Das Lohnniveau ist etwas niedriger als in Deutschland, doch Armut ist in den Niederlanden weniger sichtbar.

Wer die Sozialpartnerschaft für eine gute Sache hält, kann darin einen Erfolg der Gewerkschaften sehen. Ihre Zustimmung war notwendig für die Durchsetzung des »Poldermodells«, das 1982 mit dem Abkommen von Wassenaar geschaffen wurde. Das Modell wurde seitdem weiterentwickelt, beruht aber noch immer auf den gleichen Prinzipien: allenfalls geringfügige Lohnsteigerungen, niedrige Steuern für die Unternehmen und Einsparungen im Sozialbereich.

Zwar gab es immer wieder Widerstand, im September 2004 beteiligten sich sogar Polizisten an einem Streik gegen die Sparpolitik. Doch ein Hindernis bei der Durchsetzung des Poldermodells waren die Proteste nie. »Die Niederlande gehören zu den Ländern in Westeuropa, wo am wenigsten gestreikt wird und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder am niedrigsten ist«, stellt Hans Boot, Dozent für Arbeitswissenschaften an der Universität von Amsterdam, fest. Die Gewerkschaftsführung sei »auf allen gesellschaftlichen Ebenen an der sozio-ökonomischen Steuerung beteiligt« und zeige »ein großes Verständnis für die Defizite der kapitalistischen Produktionsweise«.

Niederländer, die nicht mehr wissen, welche verheerenden Folgen ein zu großes Verständnis für die Interessen der Kapitalbesitzer haben kann, sollten sich des fliegenden Holländers erinnern. Er war der Kapitän eines Schiffes, das in einen schweren Sturm geriet. Die Fracht über Bord zu werfen, hätte das Schiff und die Matrosen retten können. Doch der Kapitän weigerte sich, das Schiff sank mit Mann und Maus. Nun muss sein Geist allein und ruhelos über die Meere kreuzen – ein Vollzeitjob, bis in alle Ewigkeit.