Die letzten Schweine schlachten

Der EU-Beitritt bietet vor allem jungen Akademikern eine Chance. Er ist aber kein Heilmittel gegen die Verarmung der rumänischen Gesellschaft. von roland ibold, bukarest

Ab 1. Januar ist Rumänien in der EU!« schreit eine euphorische Stimme aus dem Fernseher ins Wohnzimmer. »Und was machen wir am zweiten?« fragt Lucian Grigorescu grinsend seine Frau Rodica. »Wir gehen wieder nach Hause!« Ihr kleiner Hof versorgt die Familie bisher komplett mit Lebensmitteln, nur für Brot und Strom müssen sie bezahlen. Mit Lucians Rente von 200 Euro im Monat – nach 25 Jahren Bergarbeit – können sie sich im Sommer Saisonarbeiter auf ihren Feldern leisten. Rodicas Rente liegt bei 30 Euro im Monat, und das nach 15 Jahren Arbeit in einer landwirtschaftlichen Kooperative. Bei einer derartig geringen Grundsicherung ist Selbstversorgung nötig.

Mit der Einhaltung der EU-Standards werden sich die Kleinbauern allerdings auf illegales Terrain wagen müssen, denn seit dem 1. Januar bedarf es der Zustimmung der unmittelbaren Nachbarn, um Tiere halten zu dürfen, privates Schlachten ist ebenso untersagt wie der Verkauf hausgemachten Käses. Die ländlichen Produkte sind aber die einzige Einnahmequelle der Bauern und versorgen zudem die Angehörigen in der Stadt. Zwar gibt es auch EU-Programme, die die Bauern unterstützen sollen, aber dennoch braucht man zum Investieren Bargeld. Und dieses kommt fast ausschließlich von den Angehörigen, die im Ausland arbeiten. Nach offiziellen Statistiken arbeiten beispielsweise 1,5 Millionen Rumänen seit dem Jahr 1990 in Italien.

Raluca Florea, eine Soziologiestudentin aus Bukarest, erforschte in dem Dorf der Familie Grigorescu die ländliche Arbeitsmigration. »Fast jede Familie hier in Surdesti schickt mindestens einen Sohn oder eine Tochter zur Arbeit nach Italien oder Spanien. Legale Arbeitsverträge sind schwer zu bekommen und kosten Bestechungsgeld. Informelle Netzwerke ermöglichen einen höheren Verdienst und längere Aufenthalte. Mit dem Geld der Auslandsarbeiter werden zuerst Prestigeobjekte wie ein neues Haus oder ein Auto finanziert, dann aber wird, durch den Kauf eines Ladens oder eines Kleinbusses für den Personenverkehr, in die Heimatgemeinde investiert.«

Im Jahr 2004 arbeitete die damals 22jährige Florea einige Monate als Kellnerin in den USA. Die Arbeitserlaubnis bekommen nur Studenten mit sehr guten Noten. Dies gilt als Garantie, dass sie wieder nach Rumänien zurückkehren, um ihre Ausbildung zu beenden. Florea sieht ihre Zukunft in Bukarest. Sie lebt von kleinen Forschungsaufträgen der Universität und von der Unterstützung ihres Vaters.

Die Studentin hat vor einem halben Jahr mit ein paar Freunden eine NGO gegründet. Sie engagieren sich in den armen Stadtvierteln Bukarests und versuchen, den Menschen mehr Bildung und politische Partizipation zu ermöglichen. Florin und Suzanna Gabriel, beide sind 32 Jahre alt, wohnen zusammen mit ihrem Sohn in einem Zimmer eines Neubaublocks. Von dem EU-Beitritt erwarten sie nicht viel: »Solange wir hier nicht einmal Strom haben, was interessiert uns die europäische Politik? Von den Hilfskrediten der EU kommt bei uns nichts an.« Während im Bukarester Zentrum Lichtinstallationen in den Farben der EU montiert wurden, zwangen die Bewohner der armen Stadtviertel die Stadt Ende November mit spontanen Straßenblockaden, bei ihnen Strom zu installieren.

»Die Proteste waren Ausdruck der Armut, politisch sind die Menschen hier nur in ihrem Misstrauen gegenüber offiziellen Stellen«, sagt der 24jährige Aljoscha Roman. Er wärmt sich zusammen mit Suzanna und Florin Gabriel an einem Lagerfeuer vor deren Neubaublock. Seine libertäre Politgruppe hat hier während der Proteste zusammen mit Floreas NGO zwei Volksküchen organisiert.

Roman kam vor sechs Jahren aus der Republik Moldau nach Rumänien, um Politik zu studieren. Da seine Vorfahren Rumänen waren, bekam der Moldawier ein Stipendium über 70 Euro im Monat. Er arbeitet mittlerweile für eine französische Marketingfirma in Bukarest. Mit einem Gehalt von 320 Euro gehört er zu den jungen Akademikern, die nicht selten mehr verdienen als ihre Eltern. »Für die Menschen in Rumänien wird die EU mehr ökonomische Chancen und persönliche Freiheiten bieten, für mich als Moldawier bedeutet die EU-Grenzverschiebung aber die Visa-Pflicht.«

Roman sieht die Einbindung Rumäniens in die politische und militärische Großmacht EU skeptisch. Er verweist auf Abschottung, Illegalisierung von Flüchtlingen und die Konkurrenz zu den USA. Andererseits sind sich er und Florea einig, dass der Beitrittsdruck der EU für Minderheiten wie Roma oder Schwule und Lesben grundlegende Rechte sichere. Dagegen fehlten immer noch studentische Vertretungen an den Universitäten oder ernst zu nehmende Gewerkschaften.

Um ihresgleichen, die jungen Akademiker, machen sich die beiden keine Zukunftssorgen. Für die Peripherie der Gesellschaft sei die EU aber auch nicht der Heilsbringer. »Manche Grenzen öffnen sich, während andere Gräben tiefer werden. Es kommt auf das eigene Engagement an«, glauben Roman und Florea.