Grüne Blätter, weißes Gold

Die Regierung Kolumbiens feiert ihre Erfolge bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Doch in dem Land wird immer mehr Kokain produziert. von knut henkel

Mehr engagieren sollten sich die Europäer, denn kein Land der Welt hat unter dem Drogenanbau so gelitten wie wir«, sagte der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Manuel Santos am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende. Er wünscht sich Finanzhilfe der EU, und der Verweis auf den Kokainkonsum in Europa kommt dem Minister leicht über die Lippen. Kokain sei der Treibstoff des Krieges, sagt Santos, der seinem Land beachtliche Erfolge bei der Bekämpfung des Anbaus und ­Vertriebs von Mohn und Koka attestiert.

Der US-Generalstabschef Peter Pace meint sogar, Afghanistan könne von den kolumbianischen Erfolgen bei der Opiumbekämpfung lernen. Ganze Regionen wurden »von Terroristen befreit, und dann, das ist sehr wichtig, kam die Regierung mit Projekten, die Elektrizität, Wasser und Arbeit gebracht haben«, lobte Pace. Derartige Modellregionen gibt es tatsächlich, das räumt auch Kolumbiens international bekannter Drogenexperte Ricardo Vargas ein. Aber solche Erfolge seien auch sieben Jahre nach dem Beginn des »Plan Colombia«, des von den USA unterstützten Dro­genbekämpfungsprogramms, alles andere als die Regel.

Besonders betont Verteidigungsminister Santos die Ausmerzung des Mohnanbaus. Nach Afghanistan und Burma war Kolumbien einst der drittgrößte Opium­exporteur, derzeit werde praktisch nichts produziert. Grund genug für die Kolumbianer, Afghanistan Hilfe anzubieten, und Grund genug für die USA, den Plan Colombia als Modellprojekt zu preisen.

Allerdings verfolgt der Plan offiziell vor allem das Ziel, die Kokainproduktion zu beenden. Da sieht die Bilanz weniger gut aus. Zwar wurden der kolumbianischen Polizei zufolge im vergangenen Jahr mehr als 170 000 Hektar Kokapflanzungen aus der Luft mit Pestiziden besprüht, doch selbst die USA weisen in ihren Statistiken eine Zunahme der Anbaufläche aus. Von 144 000 Hektar Kokaanbaufläche geht das US-Außenministerium aus. Die zwischen 2001 und 2004 gemeldete Reduktion der Anbauflächen um mehr als 30 Prozent scheinen die Kokabauern wieder kom­pensiert zu haben. Die meisten Drogenexperten halten die US-Angaben für realistisch. Doch die kolumbianische Regierung bezieht sich lieber auf die Angaben der Uno, die ein anderes Monitoringsystem hat und von 86 000 Hektar Kokaanbaufläche aus­geht.

Der Einsatz von Pestiziden kann den Anbau nicht stoppen. »Je mehr gesprüht wird, desto mehr Pflanzungen tauchen auf«, warnt Ricardo Vargas. Die Um­weltschäden sind immens. Kokaplantangen werden kleiner und versteckter angelegt, um sie vor der Luft­überwachung zu verbergen. Koka wird auch zwischen anderen Pflanzen angebaut, so zum Beispiel in Kaffee­kulturen. Es gibt kaum noch eine Region des Landes, in der es keine Kokapflanzungen gibt. 20 von 31 Departamentos sind betroffen – früher waren es vier.

Und mit neuem Saatgut und teilweise hohem Einsatz von Schädlingsbekämpfungs- und Düngemitteln würden die Erträge merklich gesteigert, sagt Ricardo Vargas. Das Wiener Office on Drugs and Crime der Uno hat darauf reagiert und die vermutlichen Hektarerträge nach oben korrigiert. Von einer Produktion von 7,5 Kilogramm Kokain pro Hektar gehen die Wiener Experten nun aus, zuvor waren es 4,5 Kilogramm. Eine Anpassung, die Ricardo Vargas für dringend notwendig hält. Legt man diese Zahlen zugrunde, dann wären im Jahr 2006 bei einer Anbau­fläche von 144 000 Hektar rekordverdäch­tige 1 080 Tonnen Kokain produziert wor­den. Ende der neunziger Jahre wurden in Kolumbien 460 Tonnen Kokain hergestellt, die Produktion hat sich trotz des Plan Colombia mehr als verdoppelt.

Doch da es keine einheitlichen Berechnungsmethoden gibt, ist das Ausmaß des Debakels nicht allzu offensichtlich. Zudem werden Experten wie Vargas oder Alfredo Rangel, Militärexperte von der in Bogotá ansässigen Stiftung »Sicherheit und Demo­kratie«, kaum gehört. Rangel betont, dass trotz aller Anstrengungen das Problem des Drogenhandels viel größer als zuvor sei und viel mehr Kokain exportiert werde.

Das belegen auch die Zahlen der kolum­bianischen Polizei. So wurden im Jahr 2005 über 74 Tonnen Kokain und 2006 immerhin über 50 Tonnen und weitere 32 Tonnen Kokainbase beschlagnahmt. Angesichts dieser Mengen und der unter Polizisten unbestrittenen Schätzung, dass nicht mehr als fünf bis zehn Prozent der heißen Ware beschlagnahmt werden, ist von einer merk­lich gestiegenen Produktion auszugehen. Und in wichtigen Koka­provinzen wie Na­rino oder Putomayo werden Kinder und Jugendliche für die Arbeit in den versteck­ten Plantagen angeworben – raspachines heißen die Kokapflücker in Kolumbien.

Die Jobs auf den Feldern sind begehrt, denn Arbeitsplätze sind rar in Kolum­bien. Jahr für Jahr verlassen 300 000 Jugendliche die Schulen, und die meisten werden arbeitslos. Gewerkschaftsangaben zufolge arbeiten 62 Prozent der Erwerbsfähigen im informellen Sektor, denn Jobs mit Arbeitsvertrag und Sozialversicherung sind trotz des Wirtschaftswachs­tums Mangelware. Für viele ist das Geschäft mit der Droge schlicht eine Frage des Überlebens.

Nicht zuletzt deshalb greift die Kriminalisierungsstrategie immer weniger, und immer öfter wird sie kritisiert. Das weiß auch die kolumbianische Regierung, die die hohe Nachfrage aus Europa und den USA für den »Fluch des weißen Goldes«, das Kokain, verantwortlich macht und die Konsumentenländer in die Pflicht nehmen willl. Diese Linie verfolgte auch Verteidigungsminister Santos in München. Ohne den Drogenhandel gäbe es in Kolumbien keine Guerilla, und auch die Paramilitärs wären nicht entstanden, meint der Diplomat. Doch auch die sozialen Konflikte und die extrem ungleiche Verteilung der Reichtümer in Kolumbien machen den Kokaanbau und den Handel attraktiv.

Gegen die systematische Kriminalisierung aller aus dem Kokastrauch gewonnenen Produkte regt sich auch in Kolumbien mehr und mehr Widerstand. Neue Kokaprodukte, vom Kokatee bis zur Kokalimonade, drängen auf den Markt. »Wir wollen mit unserem Angebot zeigen, dass Koka genauso wenig gleich Kokain ist wie die Traube gleich Wein«, sagt David Curtidor. Gemeinsam mit seiner Frau hat der indigene Geschäftsmann »Coca Sek«, eine Limonade auf Kokabasis, in Kolumbien auf den Markt gebracht. Die goldgelbe Brause hat in Bogotá ebenso Schlagzeilen gemacht wie der Kokatee, der mittlerweile auch in den Büros des Senats getrunken wird. Präsident Álvaro Uribe hält eisern an der Ansicht fest, dass Koka und Kokain das gleiche seien. Doch selbst Politiker wie der Gouverneur Eduardo Zúniga wagen es mittlerweile, für eine begrenzte Legalisierung von Kokaprodukten einzutreten.