Mann, Frau, Sonstiges

Bis Mitte des Jahres muss der Bundestag ein neues Transsexuellengesetz erlassen. Eine grundsätzliche Kritik an der amtlichen Registrierung des Geschlechts findet sich selten in der aktuellen Debatte. von ron steinke

Seinen Vornamen durfte Tobi ändern lassen. Der frühere weibliche Vorname, mit dem er sich schon als Kind unglücklich fühlte, ist inzwischen aus dem Personalausweis und dem Reisepass getilgt. Mehr kann er bisher nicht verlangen. Die Behörden schreiben ihn weiterhin unbeirrt mit »Frau« an, amtliche Dokumente in sozial- und familienrechtlichen Angelegenheiten kennzeichnen ihn als weiblich. Um für den Staat als Mann zu gelten, müsste der 19jährige eine entscheidende Bedingung erfüllen: seinen »weib­lichen« Körper sterilisieren lassen. Denn der Gesetzgeber will die Vorstellung nicht ertragen, dass zwei rechtlich als Männer geltende Personen ein Kind miteinander zeugen könnten.

»Wozu das Ganze? Die Situation ist doch so schon schwierig genug«, seufzt Tobi. Die Transmänner, die sich einmal im Monat im Selbsthilfezentrum Kiss in Hamburg-Altona treffen, ärgern sich über derartige Probleme. Welches Geschlecht im Pass eingetragen wird, darf man hierzulande nicht wählen, ein »Weder noch« gibt es nicht. Dafür sorgt ein bemerkenswertes Exemplar deutscher Regelungskunst – das im Jahr 1980 erlassene Transsexuellengesetz. Es erklärt die Einordnung der Bürger in zwei scharf abgegrenzte Geschlechter zur Norm und stellt für Menschen, die die Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen selbst treffen möchten, äußerst hohe Hürden auf. Tobis Sitznachbar erzählt, wie er nach langen Jahren der Auseinandersetzung mit Behörden und Ärzten endlich mit allen erforderlichen Gutachten vor einen Richter trat und die Umschreibung seines Geschlechts verlangte. Dort bekam er zu hören: »Sie haben doch psychische Probleme. Gehen Sie in Therapie.«

Ende des vorigen Jahres verwarf das Bundesverfassungsgericht bereits zum fünften Mal eine Passage aus dem kurzen Gesetzestext. Zugleich setzte das Gericht dem Bundestag eine Frist bis zum 30. Juni, um ein neues Transsexuellengesetz zu erlassen. Damit kommt Bewegung in die bislang vor allem von Betroffenenverbänden geführte Diskussion um Alternativen zur bisherigen Rechtslage. Am 28. Februar wird der Rechtsausschuss des Bundestags über einen neuen Entwurf beraten.

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), der den Grünen nahe steht, engagiert sich für eine leichte Liberalisierung des Transsexuellengesetzes. Er fordert etwa, das Gesetz auch auf Nichtdeutsche auszuweiten und künftig darauf zu verzichten, verheiratete Transsexuelle zur Scheidung zu zwingen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde am 23. Januar an die Bundestagsabgeordneten verschickt.

Eine grundsätzliche Kritik an den Bedingungen, unter welchen der Staat ein anderes als das bei Geburt zugeschriebene Geschlecht anerkennt, übt der LSVD nicht. Zwar soll die rechtliche Anerkennung eines Geschlechts­wechsels nach den Vorschlägen des LSVD künftig nicht mehr von einem operativen Eingriff abhängen. Allerdings sollen Trans­männer und -frauen für die rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts weiterhin den Beweis erbringen müssen, dass sie sich »aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Geschlecht als angehörig empfinden und unter dem Zwang stehen, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben«. Die langwierigen und oft entwürdigenden psychologischen Begutachtungs­verfahren würden nach der vom LSVD geforderten Regelung zwar verkürzt, aber nicht entfallen.

Ob der Entwurf gemäßigt genug ist, um im Bundestag Anklang zu finden? Die vom Verband ausgearbeiteten Vorschläge sind in der Vergangenheit oftmals von den Grünen und der FDP unverändert übernommen worden, auch bei der Einführung der so genannten Homo-Ehe spielte der LSVD eine maßgebliche Rolle. Mit seiner Verbandspolitik, die statt auf die Emanzipation von staatlichen Geschlechternormen auf die Integration in dieselben setzt, hofft der LSVD, auch dieses Mal Teile der SPD für sich gewinnen zu können. Zum Erfolg fehlt ihm eigentlich nur noch ein Slogan wie »Das Standesamt darf kein Sperrbezirk für Transsexuelle sein«. Stattdessen zu sagen »Unser Geschlecht geht euch gar nichts an«, ist nie die Sache des LSVD gewesen. Allein die Linkspartei sprach sich dafür aus, das Transsexuellengesetz durch die Abschaffung amtlicher Vermerke über das Geschlecht schlicht überflüssig zu machen.

Geschrieben hat den Gesetzesentwurf des LSVD Manfred Bruns, der vor seiner Tätigkeit als Sprecher des Verbandes die Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof vertrat. Die Vorschläge von einzelnen Transgender-Organisationen, die Entscheidung über das eigene Geschlecht gänzlich den betroffenen Menschen zu überlassen, nannte er im Gespräch mit der Jungle World »sehr utopisch«.

Die Betroffenenorganisationen werfen dem LSVD vor, einem Denken verhaftet zu sein, das Abweichungen von der männlich/weiblichen »Natürlichkeit« – ganz mehrheitsfähig – als pathologisch begreift. »Nach diesem Gesetzesentwurf müssen Transsexuelle weiterhin zwei Gutachten von Ärzten einholen«, kritisiert Katrin Alter von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. »Selbst die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, auf die der LSVD sich beruft, hat festgestellt, dass es keine wissenschaftlichen Kriterien für die ›Diagnose‹ der Transsexualität gibt. Was sollen die Ärzte dann bitte begutachten?«

Der LSVD beruft sich bezeichnenderweise vor allem auf das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe erkennt man immerhin inzwischen an, dass es für das »rechtliche Geschlecht« einer Person nicht allein auf die Genitalien, sondern »auch« auf ihr »nachhaltiges subjektives Empfinden« ankomme. Die Einordnung aller Menschen in zwei alternative Kategorien gilt dem Gericht aber nach wie vor als selbstverständliche Voraussetzung der Rechtsordnung.

So plastisch wie in einem Urteil aus dem Jahr 1957, mit dem das Gericht die damals geltende Strafbarkeit homosexueller Handlungen aufrechterhielt, hat das Bundesverfassungsgericht seine Sicht auf die Geschlechter in den vergangenen Jahren zwar nicht mehr ausgedrückt. Darin hieß es: »Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hinnahme bereite Funktion hin.« Das Gericht lehnte aber Verfassungsbeschwerden gegen die Diskriminierung Homosexueller durch das Strafrecht bis zuletzt rundweg ab. Die Reste des berüchtigten Paragraphen 175 des Strafgesetzbuchs wurden erst im Jahr 1994 vom Gesetzgeber gestrichen. Die rätselhafte Liebe des LSVD und der gesamten Szene der Bürgerrechtler zum höchsten deutschen Gericht scheint dennoch ungebrochen.

Indes, darüber zerbrechen sich die Transmänner im Altonaer Kiss auch nicht den Kopf. Eine Verwirklichung der Vorschläge des LSVD würden sie begrüßen. Immerhin entfiele dann der Operationszwang. Den Zwang zur sexuellen Eindeutigkeit, den das Transsexuellen­gesetz festschreibt, findet man dagegen nicht so problematisch. »Es gibt wohl kaum einen Ort, an dem Männlichkeitsklischees offener zele­briert werden als bei uns«, hatte Tobi schon vor dem Treffen augenzwinkernd gewarnt. Und nach dem Treffen brausen die meisten Gruppenmitglieder mit dem Motorrad nach Hause.