Demokratie im Darkroom

In der niederländischen Regierung sitzen die Sozialdemokraten zwischen zwei christlichen Parteien. Das Regierungsprogramm macht Religion zum Leitfaden der Politik. von tobias müller, amsterdam

Fünf Wochen lang hatten sich die Fraktionsvorsitzenden der niederländischen Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der Partei ChristenUnie in Klausur begeben. Sie versuchten, die komplizierten Mehrheitsverhältnisse nach den Wahlen vom November in die einzig mögliche Koalition umzuwandeln. Am 7. Februar verkündeten die drei Parteien offiziell die Bildung einer gemeinsamen Regierung.

Dass die Koalitionsverhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfanden und Informationen nur sehr spärlich nach außen drangen, ist nichts Neues. Der streng ritualisierte Prozess der Koalitionsbildung wird nicht ohne Grund das »dunkle Zimmer der niederländischen Demokratie« genannt. Diesmal jedoch traf man sich teilweise an geheimen Orten, und sogar die jeweiligen Fraktionen kritisierten ihren fast vollständigen Ausschluss. Ein Kommentator sprach von einem »vatikanischen Niveau von Geheimhaltung«, und es wäre kaum verwunderlich gewesen, hätte am Ende eine kleine Rauchsäule über der Dienstwohnung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende von der erfolgreichen Einigung gekündet: Wir haben eine Koalition!

Das vierte Kabinett Balkenende steht unter dem banalen Motto »Zusammen arbeiten, zusammen leben«. Eine Koalition aus Christdemokraten (CDA) und Sozialdemokraten (PvdA), die beide bei der Wahl Verluste hinnehmen mussten, sowie der sozialkonservativen, streng protestantischen ChristenUnie (CU), die die Zahl ihrer Sitze von drei auf sechs verdoppeln konnte, ist ein Novum in den Niederlanden. Vor dem Hintergrund der langen Tradition konfessioneller Politik bedeutet diese Koalition die Rückkehr christlicher Ethik als Leitfaden einer religiös geprägten Regierung, entstanden aus der vermeintlichen Konkursmasse der vorherigen Regierung. Dass die PvdA dies in ihre sozialdemokratische Agenda übersetzen kann, ist die inhaltliche Grund­lage dieser Koalition. Im Wahlkampf hatten die Christdemokraten bereits das Bild von den Normen und Werten, die es zu verteidigen gelte, strapaziert. Bei den Wahlen waren vor allem die Parteien erfolgreich, die im Hinblick auf Nachbarschaft, Gemeinde, Arbeiterschaft oder Nation die Bedeutung des so genannten Gemeinschaftssinns propagierten.

In diesem Sinne wurde auch das neue Regierungs­abkommen geschlossen. Herman Wijffels, Mediator und Ökonom der Weltbank, der einst selbst den sozialen Flügel der CDA mitprägte, sprach von einem »neuen gesellschaftlichen Projekt« nach dem neoliberalen Reformkurs der bisherigen Kabinette Balkenendes. So sollen etwa sehr wohlhabende Rentner an den Kosten des demographischen Wandels beteiligt werden, und die von der Vorgängerregierung beschlossene Liberalisierung des Wohnungsmarkts wird ausgesetzt. Gute Wachstums­prog­no­sen erlauben zudem Investitionen in Bildung, Umwelt und nicht zuletzt in so genannte Problemviertel, deren Verwahrlosung gerade von der PvdA im Wahlkampf thematisiert worden war. Der CDA und vor allem Balkenende bietet der Bezug auf den »sozialen Zusammenhang« die Chance, die Verantwortung für die neoliberalen Reformprojekte auf ihren ehemaligen Koalitionspartner, die liberale Volkspartei, abzuwälzen. Und der Ideologie der ChristenUnie wird durch die bedeutende Rolle entsprochen, die die Institution Familie bei diesem Revival der Nächstenliebe spielen soll.

Zum Ausdruck kommt dies in dem neu geschaffenen Ressort Jugend und Familie, das dem CU-Fraktionsvorsitzenden André Rouvoet unterstellt wird. Ihre Ansprüche, die Gesetzgebung zu Abtreibung, Sterbehilfe und Homoehe zu verändern, muss die CU jedoch erst einmal hintanstellen und sich vorläufig mit der Beschränkung von verkaufsoffenen Sonntagen zufrieden geben. Auch müssen Staatsbeamte, die »ethische Bedenken« gegen die Eheschließung eines homosexuellen Paars vorgeben, es künftig nicht mehr trauen.