Der Gendarm von Cannes

Zum letzten Mal versammelte Präsident Chirac Staatschefs aus Afrika zu einem Gipfeltreffen. Frankreich interveniert wieder stärker in afrikanischen Konflikten. von bernhard schmid, paris

Wenn Politiker eine Abschiedsrede halten, erwecken sie häufig den Eindruck, als hätten sie kurz vor dem Ruhestand eine wundersame Wandlung durchgemacht. »Nachdem man ihnen ihre Kultur geraubt hat, hat man ihnen ihre Ressourcen und ihre Bodenschätze gestohlen und sich dabei der örtlichen Arbeitskräfte bedient. Man hat ihnen alles weggenommen und immer wieder erklärt, sie taugten zu nichts«, beklagte der französische Präsident Jaques Chirac die schlechte Behandlung der Afrikaner.

Der 24. französisch-afrikanische Gipfel, der von Mittwoch bis Freitag voriger Woche in Cannes stattfand, war die letzte Gelegenheit für Chirac, als Präsident zu den afrikanischen Staats- und Regierungschefs zu sprechen. 51 von 53 afrikanischen Ländern waren durch Delegationen vertreten, davon 33 sogar mit ihren Staats­oberhäuptern. Dass viele der Gäste gemeinsam mit Chirac zur beklagenswerten Lage Afrikas beigetragen haben, konnte den feierlichen Moment nicht trüben.

Die Regierung in Paris unterstützt nicht mehr vorbehaltlos jeden profranzösischen afrikanischen Diktator, doch auch Chirac pflegte die Freundschaft zu korrupten Autokraten und Präsidenten. Noch immer wahrt die »afrikanische Zelle«, ein inoffizielles Macht­zentrum, unter Ausschluss des Parlaments und der Öffentlichkeit den französischen Einfluss auf dem Kontinent, und französische Konzerne beteiligen sich weiterhin mit dubiosen Geschäftsmethoden an der Ausbeutung der Bodenschätze Afrikas.

Nicht nur Chiracs Gäste fragen sich nun, ob das nach den Präsidentschaftswahlen am 6. Mai so weitergehen wird. Die Zeitschrift Jeune Afrique untersucht die Vorhaben der beiden Favoriten. Von Nicolas Sarkozy sei eine Fortsetzung der bisherigen Politik zu erwarten. Der konservative Politiker habe bereits einen Kandidaten für die Führung der »afrikanischen Zelle« in Aussicht, und zu seiner Antrittsrede als Präsidentschaftsbewerber im Januar lud er Pascaline Bongo ein, die Tochter des Präsidenten Omar Bongo, der seit dem Jahr 1967 Gabun regiert.

Von der sozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal erwartet Jeune Afrique hingegen Veränderungen. Tatsächlich hat Royal sich im Dezember in der links­christ­lichen Zeitschrift Témoignage Chrétien für eine parlamentarische Kontrolle über die französische Afrika-Politik und für die Veröffentlichung der bisher geheim gehaltenen Texte von Militär- und Beistandsabkommen ausgesprochen. Ferner möchte sie, dass fünf Prozent der staatlichen Entwicklungshilfe künftig durch NGO verteilt wird. Doch Royal propagiert eher einen anderen Stil als eine andere Politik. Die neue Tendenz, sich wieder stärker in die afrikanische Politik einzumischen, werden sie wohl nicht in Frage stellen.

»Frankreich möchte wieder der Gendarm des Kontinents werden«, schrieb die in Benin erscheinende Zeitung Continental. Seit den Militär­inter­ven­tio­nen von 1978 in Zaire und 1983 im Tschad habe Frankreich nicht mehr so stark militärisch in Afrika eingegriffen wie in jüngster Zeit.

So beteiligt sich die französische Luftwaffe am Kampf gegen die bewaffnete Opposition in der Zentralafrikanischen Republik. Ende November eröffneten Kampfflugzeuge das Feuer auf Truppen der Union des forces démocratiques pour le rassemblement, Transportflugzeuge ermöglichten es Präsident François Bozizé, seine Truppen schnell zu verlegen. Die Militärhilfe war offenbar entscheidend für seinen Sieg, der im Dezember verkündet wurde. Bereits im April 2006 hatten französische Militärs dem Regime im benachbarten Tschad geholfen, einen Aufstand niederzuschlagen.

Die französische Regierung rechtfertigt ihre Parteinahme mit der Notwendigkeit, eine weitere Destabilisierung der Region zu verhindern. Die Gefahr, dass die bewaffneten Konflikte im Tschad und in der westsudanesischen Provinz Darfur zu einem regionalen Krieg führen, besteht tatsächlich. Ob die Unterstützung der autoritären Regimes im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik zur Deeskalation beiträgt, ist eine andere Frage.

Mit seiner diplomatischen Initiative zur Beilegung der Konflikte ist Chirac gescheitert. Ein Treffen zwischen den Präsidenten des Tschad, des Sudan und der Zentralafrikanischen Republik am Rande des Gipfels in Cannes brachte kaum greifbare Ergebnisse. Augenzeugen zufolge sollen die drei Staatschefs vor allem Beleidigungen ausgetauscht haben. In einer gemeinsamen Erklärung, die am Ende des anderthalbstündigen Treffens angenommen wurde, versichern sie jedoch, künftig nicht mehr bewaffnete Bewegungen in den jeweiligen Nachbarländern zu unterstützen.

Ohne Rücksprache mit der Afrikanischen Union und der Uno zu intervenieren, dient auch dazu, sich und anderen zu versichern, dass Frankreich noch immer eine Großmacht ist. Bei den Gipfeltreffen versammelt der französische Präsident wie einen Hofstaat afrikanische Machthaber um sich, deren Repräsentanten in der UN-Vollversammlung häufig en bloc mit dem Vertreter Frankreichs abstimmen. Die besonderen Beziehungen sichern Frankreich auch einen besseren Zugriff auf Rohstoffe, dies ist zumindest in den Erdölstaaten nach wie vor von großer Bedeutung. Doch neben den USA wird Frankreich nun auch von der chinesischen Konkurrenz bedrängt.

Die hohen Kosten der Interventionspolitik und die veränderten Machtverhältnisse haben Frankreich eine gewisse Multilateralisierung der Beziehungen aufgezwungen. Man möchte mit der Verwaltung von Krisenfolgen und humanitären Katastrophen künftig nicht allein gelassen werden. Als amtierende EU-Ratspräsidentin nahm auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Gipfel in Cannes teil. Ihr Interesse bestand vor allem darin, den afrikanischen Präsidenten einzuschärfen, dass sie eine Mitverantwortung bei der Bewältigung von »Migrationsströmen« hätten. Künftig sollen Flüchtlinge und Migranten gar nicht mehr bis nach Europa gelangen können. Unter aktiver Mitwirkung der afrikanischen Staaten soll die Mehrheit der Auswanderungswilligen durch eine Mischung aus wirtschaftlicher Unterstützung, der Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen entsprechend den Bedürfnissen europäischer Unternehmen, Zwangsmaßnahmen und Abschreckung auf dem afrikanischen Kontinent »fixiert« werden.

Auch Frankreich befürwortet diese selektive Migrationspolitik. Chiracs Gäste und die Öffentlichkeit dürfen nun darüber rätseln, wen der Präsident wohl meinte, als er in seiner Rede sagte: »Man zieht ihre Intelligenzschicht an den Universitäten ins Ausland ab und sagt denen, die dort bleiben: ›Diese Neger taugen wirklich zu nichts.‹«