Die Rächerin des Humankapitals

Mehr Geld für Bildung und eine Anhebung des Mindestlohns verspricht Ségolène Royal in ihrem Wahlprogramm. Aber in neuen Umfragen ist sie hinter ihren Rivalen Sarkozy zurückgefallen. von bernhard schmid, paris

Sie fällt zurück«, titelte die Boulevardzeitung Le Parisien am Samstag neben einem Konterfei der sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal. Letzten Umfragen zufolge würde sie in der Stichwahl mit 45 zu 55 Prozent dem konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy unterliegen.

Am vorletzten Sonntag präsentierte sie ihr seit längerem angekündigtes Präsidentschaftsprogramm in 100 Punkten. Ihre Sozialistische Partei hat zwar bereits im Frühsommer vorigen Jahres ein komplettes Wahlprogramm vorgestellt, das von bürgerlichen Kommentatoren als sozialdemokratisches Traditionsprogramm, als »zu teuer« und nicht wirtschaftsfreundlich genug gescholten wurde. Royal präsentierte also eine überarbeitete, auf das in ihren Augen Wesentliche zusammengestrichene Version. Die Darstellung ist dabei eine deutliche Anspielung auf die berühmten »110 Punkte«, die François Mitterrand – der damals, genau wie Royal derzeit, auf eine gewisse Distanz zu seiner Partei bedacht war – vor seinem Wahlsieg 1981 präsentiert hatte. Royals Wahlplattform fällt in manchen sozial- und wirtschaftspolitischen Punkten hinter das Wahlprogramm der Partei zurück. Beispielsweise wird die Rückgängigmachung der Teilprivatisierung der französischen Energieversorgungsunternehmen, die die regierende Rechte entgegen starken gewerkschaftlichen Widerständen seit 2004 begonnen hat, bei ihr nicht mehr erwähnt.

Alles in allem wurde ihr Programm in den Medien gar nicht so schlecht aufgenommen. Dass ihr Rivale Nicolas Sarkozy die Verkündung seines »republikanischen Pakts« – natürlich rein zufällig – auf denselben Sonntag legte, für den Royal seit längerem ihr Programm angekündigt hatte, konnte ihr nicht die Show stehlen. Ausnahmsweise stand Sarkozy einmal nicht im Mittelpunkt der Medienberichterstattung. Dieses Mal aber erschien der ehrgeizige Innenminister und Präsidentschaftsanwärter als Nachahmer.

Nachdem Royal also Aufwind zu spüren begonnen hatte, kam der große Reinfall. Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde der Rücktritt ihres wirtschaftspolitischen Sprechers, Eric Besson, bekannt. Er hat energisch dafür plädiert, das Wahlprogramm der Kandidatin zu »beziffern«, das heißt, seine Kosten zu quantifizieren. Dagegen wollte Royal sich mit der Ankündigung begnügen, »das Wirtschaftswachstum« werde ihre Versprechen finanzieren. Darüber kam es zum Streit.

Die Luftnummer Ségolène Royals in Sachen Finanzierung hat nicht unbedingt zu ihrer Glaubwürdigkeit beigetragen. Anzukündigen, das Wachstum werde es schon richten, bedeutet ungefähr so viel, wie seine Anpflanzungen nicht zu bewässern und stattdessen um Regen zu beten. Dabei sind Royals soziale Versprechen nicht so gigantisch, dass sie sich unbedingt davor hätte scheuen müssen, ihren Finanzierungsbedarf ein wenig klarer zu fassen.

35 Milliarden Euro würde eine Realisierung des Programms kosten, hat Eric Besson berechnet. Die Differenz zum Programm des konservativen Bewerbers Nicolas Sarkozy ist nicht einmal besonders groß. Dessen Team gab die Kosten für die Realisierung seiner Wahlversprechen Ende vergangener Woche mit 30 bis 32 Milliarden Euro im Laufe der Legislaturperiode an. Der linksalternative Kandidat José Bové, früher Sprecher einer progressiven Bauerngewerkschaft, hat seinerseits vorige Woche ein Programm vorgelegt, das 160 Milliarden Euro kosten soll. Im Vergleich dazu kommt das Kapital sowohl bei Sarkozy als auch bei Royal ziemlich gut weg.

Allerdings wollen der Innenminister und die Sozialdemokratin, die ebenfalls viel von innerer Sicherheit und von »Werten« spricht und ihre Kampagne unter das Motto »Die gerechte Ordnung« gestellt hat, das Geld nicht für dieselben Belange ausgeben. Bei Sarkozy steht die Steuerreduzierung ganz vorne auf dem Wunschzettel, vor allem bei der Erbschafts- und der Einkommenssteuer.

Dabei ist schon heute der Anteil dieser Steuern, die am Vermögen oder Haushaltseinkommen orientiert sind, ziemlich gering. Und gerade diese Steuern können, verglichen mit der Mehrwertsteuer, die völlig unabhängig vom Einkommen des Konsumenten ist und in Frankreich höher liegt als in Deutschland, noch als relativ »sozial gerecht« gelten. 49 Prozent der Staatseinnahmen resultieren nämlich aus der sozial besonders ungerechten Mehrwertsteuer, 17 Prozent aus der Einkommenssteuer und nur noch 15 Prozent aus den Unternehmenssteuern. Geht es nach den Vorstellungen eines Nicolas Sarkozy, aber auch etwa eines Jean-Marie Le Pen, dann würde sich diese Gewichtung noch stärker verschieben. Le Pen möchte die einkommensabhängige Besteuerung völlig abschaffen und alles auf die Konsumbesteuerung verschieben, Sarkozy möchte die Einkommenssteuer um vier Prozent reduzieren.

Die Sozialdemokratin Royal dagegen verspricht nicht so sehr Steuergeschenke für die Besserverdienenden als vielmehr vermehrte Ausgaben für den Bildungssektor sowie eine Erfüllung zumindest mancher sozialer Forderungen. Am wichtigsten sind ihr die Bildungsausgaben, die in der kommenden Legislaturperiode um zehn Prozent jährlich angehoben werden sollen und denen das erste Kapitel ihres Programms gewidmet ist. Die Bildung präsentiert Royal dabei sehr stark unter dem Aspekt einer Qualifizierung des »Humankapitals« und der Schaffung neuer Wachstumsressourcen, da Frankreich nur mit einem erhöhten Bildungsstandard seine Position im internationalen Wettbewerb verbessern könne. Hier vermutet sie bisher unausgeschöpfte Produktivitätspotenziale.

In sozialer Hinsicht verspricht sie, den gesetzlichen Mindestlohn im Laufe der Legislaturperiode auf 1 500 Euro anzuheben. Diese Forderung hat seit dem innerparteilichen Abstimmungskampf bei den Sozialdemokraten, bevor diese im November ihre Präsidentschaftskandidatin bestimmten, die Runde gemacht.

Derzeit beträgt der gesetzliche Mindestlohn brutto rund 1 250 Euro, das bedeutet netto knapp unter 1 000 Euro. Davon kann man etwa im Pariser Stadtgebiet kaum leben. Gut 15 Prozent der aktiven Erwerbsbevölkerung in ganz Frankreich leben derzeit vom Mindestlohn. Royal verspricht jetzt, ihn im Laufe ihrer Amtszeit »so schnell wie möglich« bis auf 1 500 Euro anzuheben.

Diese Ankündigung fällt so schwammig aus wie der Rest. So sollen »große Verhandlungen«, mit Gewerkschaften und Arbeitgebern eröffnet werden. Dabei soll es um Löhne, berufliche Qualifikationen und auch um die kleinen Renten gehen. Als Grundlage, um gewählt zu werden, dürfte sich dies alles freilich als ein bisschen dürftig herausstellen. Noch aber kann Royal darauf hoffen, dass nicht so sehr ihr eigenes Programm als die Angst vor ihren Hauptgegnern die Linkswähler überzeugt.