Global denken, lokal bomben

Die bewaffneten Islamisten in Algerien kämpfen nicht mehr um die Staatsmacht. Mit spektakulären Anschlägen reihen sie sich unter die globalen Jihadisten ein. von bernhard schmid, paris

Es gab einen gewaltigen Knall um die Mittagszeit, Tausende von Menschen strömten auf die Straße. Viele von ihnen glaubten zunächst an ein Erdbeben. So schildern zahlreiche Augen- und Ohrenzeugen die mächtige Explosion, die am Mittwoch der vergangenen Woche den Regierungspalast in Algier, den Amtssitz von Premierminister Abelaziz Belkhadem, auf acht Etagen beschädigte und teilweise zum Einsturz brachte.

Seitdem ist eine ganze Heerschar von Arbeitern Tag und Nacht im Einsatz, um die zerstörten Gebäudeteile wieder instand zu setzen. Eine zweite Bombe explodierte fast gleichzeitig in Bab Ezzouar, einem Stadtbezirk im Osten der algerischen Hauptstadt, die in der Nähe des internationalen Flughafens liegt und die naturwissenschaftliche Universität von Algier beherbergt. Dort galt der Anschlag einem Polizeikommissariat. Insgesamt wurden bei beiden Attentaten 33 Personen getötet und über 200 verletzt, fast ausschließlich Zivilisten.

Noch am Abend bekannte sich die Gruppe »al-Qaida im islamischen Maghreb« mit einem Anruf beim Fernsehsender al-Jazeera zu den Anschlägen. Ferner publizierte die Grup­pe im Internet die Fotos der drei Selbstmordattentäter, die die mit Sprengstoff gefüllten Autos gesteuert hatten. Zwei von ihnen, deren Gesichter mit Turbanen verhüllt sind, blieben bisher unbekannt. Aber der dritte konnte als der 28jährige Merouane Boudina, ein ehemaliger Straßenverkäufer und Kleinkrimineller aus dem Stadtteil Bach Djarrah, identifiziert werden.

In diesem Viertel im Osten der Hauptstadt Algier waren die radikalen Islamisten in den letzten 15 Jahren traditionell stark. Boudina wurde von Familienmitgliedern und Freunden als nicht religiös beschrieben. Nach familiären Problemen habe das verstörte und aggressive Kind einer elfköpfigen Familie jedoch das Elternhaus vorübergehend verlassen, wobei er in Kontakt mit einer organisierten Gruppe gewesen sein muss. Nach seiner Rückkehr sei er wie verwandelt gewesen, er habe der Familie schwere Vorwürfe gemacht, weil seine Schwester in einem Gesundheitszentrum arbeiten durfte.

Bei vielen Algeriern, weckten die Attentate die Furcht vor einer »Rückkehr in das schwarze Jahrzehnt«, zu den Zuständen in den neunziger Jahren, als Bombenanschläge und Massaker alltäglich waren. Mehr als 120 000 Menschen starben im Bürger­krieg, derzeit sind Gewalttaten islamistischer Untergrundgruppen vergleichsweise selten. Auch die Aktionsformen und die Strategie haben sich geändert, obwohl »al-Qaida im islamischen Maghreb« aus einer der Kampfparteien des Bürgerkriegs hervorging und ihre Ideologie jener der einstmaligen »Bewaffneten Islamischen Gruppen« (GIA) sehr ähn­lich ist.

Die Mitglieder der GIA und der Islamischen Rettungsfront (Fis) metzelten andere nieder, doch Selbstmordattentäter wurden im algerischen Bürgerkrieg nur sehr selten eingesetzt. Die bewaffneten Islamisten hofften auf die baldige Eroberung der Staatsmacht und wollten diesen Moment wohl gerne selbst miterleben. Als die Islamisten einsehen mussten, dass mit einer Machtübernahme in Algerien auf absehbare Zeit nicht zu rech­nen war, widmeten sich die verbliebenen, im GSPC (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) organisierten Kader dem globalen Jihad.

Am 26. Januar dieses Jahres verkündete der GSPC offiziell durch ein Kommuniqué seine Umbenennung in »al-Qaida im islamischen Maghreb«. Sich wie die Jihadisten im Irak zur regionalen Unterorganisation von al-Qaida zu erklären, sichert internationale Aufmerksamkeit. Doch die meisten Experten halten es für unwahrscheinlich, dass die algerischen Islamisten von der »historischen Führung« von al-Qaida im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet mit Geld und Waffen versorgt werden.

Die algerischen Kämpfer halten sich in Rückzugsräumen in den Bergen des Nordostens und zum Teil, dank der Kooperation mit Schmugglergruppen und von der »Parallelökonomie« lebenden Nomaden, in der Sahara auf. Sie nutzen die traditionellen Schmuggelrouten, um sich mit Waffen zu versorgen, und finanzieren sich dabei selbst durch den Handel mit Gewehren, Mobiltelefonen und anderem. Die fünf Millionen Euro, die die Bundesregierung mutmaßlich für die Freilassung deutscher Geiseln im Jahr 2003 gezahlt hat, die von mit dem GPSC kooperierenden Schmugglern entführt worden waren, kommen wohl noch hinzu.

Die Pariser Tageszeitung Le Figaro fasst die neue Strategie zusammen: »Ohne wirk­liche Unterstützung in der Bevölkerung ist der GSPC nicht in der Lage, dem Staats­apparat (in Algerien) gefährlich zu werden. Um zu überleben, muss er seine Isolierung durchbrechen. Er holt sich bei Gruppen im Umfeld von al-Qaida Inspiration und sucht eine Präsenz im Internet. Dies erlaubt es ihm, sich zu spektakulären Aktionen zu bekennen, wie zu den Attentaten der vergangenen Monate im Raum Algier, und Propagandabilder zu zeigen. Er rekrutiert Marokkaner, Tunesier und Mauretanier.«

Am 10. Dezember 2006 griffen Islamisten in der Nähe der algerischen Hauptstadt einen Bus mit Mitarbeitern einer US-amerikanischen Ölfirma an. Dabei wurde der Chauffeur getötet, neun Personen wurden verletzt. Die US-amerikanischen, kanadischen, britischen, libanesischen und algerischen Beschäftigten waren auf dem Weg zum Sheraton-Hotel in Club des Pins, einem Nobelvorort Algiers.

Das Attentat markierte den Übergang von Kampfformen des Bürgerkriegs – gegen politische Gegner oder auch zur Einschüchterung von Teilen der Bevölkerung – zur Strategie des globalen Jihad. Ein Anschlag wie dieser hätte mit identischem Ziel auch in Südostasien, Saudi-Arabien, in Paris oder anderswo stattfinden können. Die Reste des algerischen bewaffneten Islamismus sind damit offenbar im transnationalen Terrorismus aufgegangen.

Der frühere GSPC sucht sich nunmehr vor allem spektakuläre Ziele, wie den Sitz des Premierministers, oder aber Ziele mit internationa­ler Dimension, die anzugreifen auch Aufmerksamkeit im Ausland erregt. Auf den Anschlag im Dezember folgte eine Attacke auf russische Erdgasspezialisten in Ain Defla im Atlasgebirge Anfang März. Die Gruppe zählt jedoch nur noch wenige hundert bewaffnete Kämpfer, die zudem Ende März in den Bergen der Kabylei von über 5 000 Mann der Gendarmerie und der Armee eingekreist wurden. Zuvor waren in den ersten beiden Monaten des Jahres bereits über 50 Personen, Zivilisten und Militärs, bewaffneten Aktionen der Gruppe zum Opfer gefallen.

In den vergangenen Wochen schienen die Verluste der Jihadisten zu steigen, eine Großoffensive der Armee gegen ihre Rückzugsgebiete im Atlasgebirge, in der Kabylei und in Nordost­algerien ist in vollem Gange. Höchstwahrscheinlich sollten die Anschläge in Algier die Rückkehr der bewaffneten Islamisten in städtische Gebiete demonstrieren, wo sie seit mehreren Jahren kaum noch agieren konnten, aber offenkundig einige »schlafende Netzwerke« rekonstituiert haben. Zugleich sollten sie wohl eine neue Front eröffnen und den eingekreisten ländlichen Gruppen der Guerilla eine Atempause oder Entlastung verschaffen.