Der Neue bin ich!

Der neue französische Präsident hat gleich losgelegt: Sozialisten in der Regierung, eine Migrantentochter als Justizministerin und Gespräche mit den Gewerkschaften. Und das alles im nationalen Interesse. von bernhard schmid, paris

Welcher Feind steht an unseren Grenzen, dass wir eine Regierung der nationalen Einheit bräuchten?« fragte der Hochschullehrer Maurice Goldring in einem Gastbeitrag für die Pariser Abendzeitung Le Monde. Und er kritisierte: »Es gibt nur noch eine große Partei Frankreichs, in der Links und Rechts zusammengeschlossen sind.«

Hintergrund ist, dass Staatspräsident Nicolas Sarkozy der größten parlamentarischen Oppositionspartei mehrere Kabinettsmitglieder abgeworben hat. Der ehemalige Bildungsminister Claude Allègre, der mit seiner Sozialistischen Partei verkracht ist und wegen seiner mitunter höchst notdürftig begründeten Ansichten zu wissenschaftlichen Themen sehr umstritten ist – er leugnet etwa den Klimawandel –, wurde beim Verlassen von Sarkozys ehemaligem Wahlkampfhauptquartier durch einen Hinterausgang gesichtet. Minister wird er nun doch nicht, aber eine Art Berater.

Hubert Védrine, dem ehemaligen Außenminister unter François Mitterrand und Lionel Jospin, wurde sein früheres Ministerium angeboten. Er schlug es jedoch aus, da er nicht über hinreichende politische Autonomie gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt verfügt hätte.

Ein anderer Sozialdemokrat, Bernard Kouchner, der in Sachfragen der internationalen Politik oft Ansichten hatte, die denen Védrines entgegengesetzt sind, übernahm stattdessen das Amt.

Die Außenpolitik wird der Präsident aber weitgehend selbst in die Hand nehmen und nicht den Ministern überlassen. Dafür will Sarkozy so bald wie möglich einen politisch-militärischen Nationalen Sicherheitsrat nach dem Vorbild der USA schaffen, der dem Staatsoberhaupt direkt zuarbeiten soll und der Regierung damit Befugnisse entziehen wird. Bislang gab es nur die so genannte afrikanische Zelle im Elysée-Palast, ein inoffizielles Macht­zentrum, das direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Sarkozy hat bereits deren neues Oberhaupt ernannt, Bruno Joubert, einen bisherigen Beamten des Außenministeriums und hohen Funktionär des Auslandsgeheimdiensts DGSE. Diese Stelle für afrikanische Angelegenheiten soll aber in den neu zu bildenden »Nationalen Sicherheitsrat« eingegliedert werden.

In der Innenpolitik hat Sarkozy in der Anfangsphase erhebliche Anstrengungen darauf verwendet, unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Symbole zu besetzen, um sich dadurch als obersten Garanten des nationalen Zusammenhalts zu profilieren. Im Wahlkampf hatte er heftig die »nationale Identität« beschworen. Nun wurde ein eigenes Ministerium geschaffen, das für »Zuwanderung, Integration, nationale Identität«, die Beziehungen zu den Herkunftsländern von Migranten – vornehm co-développement genannt – sowie für Staatsbürgerschaftsfragen zuständig sein wird. Unter dem zuständigen Minister Brice Hortefeux (UMP) wird es in naher Zukunft vor allem darum gehen, die Regeln für den Familiennachzug von Einwanderern zu verschärfen. Auch soll eine feste Quotenregelung für Zuwanderung eingeführt werden, durch die vorab jährlich der Zuzug von Asylsuchenden kontingentiert wird.

Gleichzeitig wurde erstmals ein sehr einflussreiches Ministerium mit einem Kind von Einwanderern besetzt: Die 42jährige Rachida Dati wurde zur Justizministerin ernannt. Die Tochter eines marokkanisch-algerischen Paares steht als sichtbare Symbolfigur für die Aufstiegs­­chancen von Einwandererkindern. Die ersten Maßnahmen, für die die ehemalige Staatsanwältin zuständig sein wird, sind die Abschaffung des Jugendstrafrechts für 16- und 17jährige und die Einführung von Mindeststrafen – bislang legte das Gesetz nur Höchststrafen fest – bei mehrfach straffällig Gewordenen.

Die am weitesten reichenden Veränderungen sind, innerhalb von kurzer Zeit, auf wirtschafts- und sozialpolitischer Ebene zu erwarten. »Monsieur Sarkozy will alle Reformen auf einmal durchführen«, titelte Le Monde am vorletzten Wochenende. Der neue Präsident ist offenkundig entschlossen, eventuelle Kritiker und Gegner der geplanten wirtschaftsliberalen »Reformen« gar nicht erst Atem holen zu lassen.

Im Schul- ebenso wie im Hochschulwesen wird höchstwahrscheinlich künftig mehr Ungleichheit herrschen. Die Universitäten sollen finanzpolitisch autonom werden, also ihren eigenen Haushalt verwalten, private Geldmittel erwerben und – um Spitzenkräfte aus Forschung und Lehre anzuziehen – für »die Besten« ihre Bezahlung frei aushandeln. Schon im Sommer, während einer von Sarkozy angeordneten Sondersitzung des Parlaments in den Urlaubsmonaten Juli und August, soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden.

Daneben soll die so genannte carte scolaire bis zum Herbst 2008 eingestampft, also die Wohnortbindung bei der Einschulung von Kindern und Jugendlichen aufgehoben werden. Wegen der geplanten Abschaffung des Wohnortprinzips – das schon bislang von wohlhabenden Eltern, die ihren Nachwuchs nicht auf Schulen mit Unterschichtskindern schicken wollten, mithilfe vielfältiger Tricks umgangen wurde – werden die begehrtesten Institutionen Aufnahmegespräche und Tests einführen. Die Sprösslinge des gesellschaftlichen Establishments und eine kleine Schicht von Hochbegabten werden die Gewinner dieser Entwicklung sein.

Ebenfalls noch im Hochsommer soll die Aufhebung der Überstundenbegrenzung verabschiedet werden. Die Ableistung von Überstunden soll gesetzlich erleichtert und die Mehrarbeit von Steuern und Abgaben befreit werden.

Im Herbst soll es dann gleich vier größere so genannte Gipfel mit den Sozialpartnern geben. Um eventuellem sozialen Unmut vorzubeugen, ist Sarkozy schon jetzt intensiv darum bemüht, die Gewerkschaften zu umwerben, deren Spitzenvertreter er bereits zweimal – kurz vor und kurz nach seinem offiziellen Amtsantritt – empfangen hat. Aber im September wird ihnen dann die Pistole auf die Brust gesetzt.

Entweder können sie sich mit den Arbeitgebern freiwillig auf zwei wichtige Punkte einigen: die Einschränkung des Streikrechts insbesondere durch Einführung einer Mindest-Dienstverpflichtung in allen öffentlichen Diensten sowie eine Einschränkung des Kündigungsschutzes innerhalb aller neu geschlossenen Arbeitsverhältnisse. Oder aber der Gesetzgeber wird eingreifen, um den Erwartungen von Regierung und Kapital gerecht zu werden.

In den vergangenen 15 Jahren kam es in Frankreich zu starken sozialen Abwehrkämpfen, die jedoch keine durchsetzungsfähige politische Alternative hervorbrachten und der Linken und der Lohnabhängigenklasse nicht erlaubten, die Defensive zu verlassen.

Die bürgerliche Rechte ihrerseits konnte die politische Macht nicht dazu nutzen, um in einer größeren Offensive die angestrebten neoliberalen »Reformen« brachial durchzusetzen. Sarkozy verspricht, die Blockade aufzubrechen und – als neuer Einiger der Nation, der »das Vertrauen in die Politik, die etwas bewirken kann, rehabiliert« und einen politischen Voluntarismus verkörpert – die Veränderungen »von oben« durchzusetzen. Er bietet dabei aber zugleich auch an, Wünsche auf Veränderung »von unten« zu bedienen.

Im Wahlkampf konnte Sarkozy diese Synthese tatsächlich schaffen. Vorübergehend? Dies wird die nähere Zukunft erweisen müssen.