Spielraum gesucht

Nach zwei bewegten Jahren zeigte sich die französische Linke während des Wahlkampfs zersplittert und desorientiert. Über linke Strategien und Perspektiven in der neuen politischen Phase. von bernhard schmid, paris

Noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sind die verschiedenen Kräfte der französischen Linken. Als die lokale Variante der Sozialdemokratie sich als unfähig erwies, den Durchmarsch des konservativen Blocks bei der Präsidentschaftswahl zu verhindern, trat bei der Parlamentswahl Anfang Juni bereits ein gewisser Tendenzwechsel ein. Die Sozialdemokratie erhielt im zweiten Durchgang der Parlamentswahl 46,1 Prozent der Stimmen. Hinzu kommt noch die KP, die 2,7 Prozent bekam.

Dieses Endergebnis bedeutet aber noch nicht, dass Wähler, die vor kurzem noch für Sarkozy stimmten, nun die Seiten gewechselt haben. Wahrscheinlicher ist, dass einige seiner Anhänger skeptisch geworden sind und bei den Stichwahlen zu Hause blieben. Hingegen gelang es der Sozialdemokratie und den anderen linken Parteien, ihre Wähler wieder zur Stimmabgabe zu ermutigen. Auch die radikaleren Kräfte, die sich von einem Wahlsieg der Sozialisten nun wirklich keine positiven Veränderungen erhofften, sind erleichtert. Sind die Wahlergebnisse doch zumindest ein Gradmesser dafür, dass die französische Gesellschaft derzeit nicht völlig von den konservativen, wirtschaftsliberalen und nationalen Ideen durchdrungen ist, die – in einer widersprüchlichen Gemengelage – die politische Hegemonie Sarkozys ermöglicht haben.

Die Frage wird in naher Zukunft nun die sein, ob und in welchem Ausmaß dies auch zu Protesten auf der Straße oder an den Arbeitsplätzen führt. Erste Anzeichen dafür gibt es. So zeichnet sich ein Kon­flikt um das neue Gesetz zur »Autonomie der Hoch­schulen« ab, das den Universitätspräsidenten mehr Macht einbringt und es ihnen ermöglicht, für die finanzpolitische Unabhängigkeit – aber auch für die Öffnung zur privaten Wirtschaft – zu optieren. Die Studierendengewerkschaft Unef, deren Spitze von der Sozialdemokratie kontrolliert wird, droht nun für September mit Kampfmaßnahmen an den Hochschulen.

Ob es zu größeren Protesten kommen kann und inwiefern die Linken, staatstragende wie radikale, von möglichen Protesten in naher Zukunft politisch profitieren werden, bleibt fraglich. Noch vor kurzem sah es so aus, als sei die politische und soziale Opposition durch den Vormarsch von Sarkozy weitgehend paralysiert worden, zumal der neue Präsident anfänglich mit einer großen Wählerbasis ausgestattet war. Nun sind die Dinge allerdings wieder in Fluss gekommen. Wie weit der neue Elan trägt, kann noch nicht prognostiziert werden.

Den Sozialdemokraten kam bei den Parlamentswahlen zugute, dass sie für eine gute Opposition honoriert wurden. Dass der ehemalige Premierminister Laurent Fabius dem jovial auftretenden Wirtschaftsminister Jean-Louis Borloo in einer Fernsehdebatte die Information über die Mehrwertsteuerpläne entlockte, die die Rechten gar zu gerne bis nach den Wahlen geheim gehalten hätten, das war prima Arbeit für eine parlamentarische Oppositionspartei. Eine andere Frage ist, ob das Publikum ihr deshalb auch zutraut, dass sie selbst eine andersartige Politik betreiben würde, wäre sie nur an der Regierung. Da sieht es schon wesentlich finsterer aus.

Auf das altbekannte Problem der Kluft zwischen Oppositionsdiskurs und Regierungskurs gibt es in der Partei zwei Antworten. Die eine lautet, eine Oppositionsphase sei die Zeit, in der die Partei an ihre Grundwerte anknüpfen und klare Alternativen aufzeigen solle, um sich von der Regierungspolitik zu unterscheiden. Der rechte Flügel plädiert stattdessen dafür, den Diskurs dem der Rechten anzupassen. Das nennt sich »Modernisierung der Sozialdemokratie«.

Die KP und andere linke Parteien haben andere Probleme. Bei den Präsidentschaftswahlen präsentierten sie sich in einem ziemlich mitgenommenen Zustand. Eine der Hauptursachen dafür liegt darin, dass die Französische Kommunistische Partei (PCF) strukturell auf privilegierte Kontakte zur Sozialdemokratie angewiesen ist – sofern sie nicht bereit ist, ihre in der Vergangenheit errungene institutionelle Macht zu verlieren. Deshalb wird der KP-Apparat auch nicht einem Aufgehen der Partei in einem heterogenen Bündnis der »anti-neoliberalen Linken« zustimmen, bei dem er die Kontrolle verlieren würde.

Ein solches Aufgehen in einer größeren Allianz war vielfach von ihrem Publikum erwartet worden, nach dem Referendum über die EU-Verfassung im Mai 2005. Die Ablehnung der Verfassung – die von den Wählern aus sehr unterschiedlichen und nur zum Teil aus progressiven Gründen erfolgte – ist auf der Linken oft strategisch überschätzt worden. Es wurde mitunter als Ausgangspunkt für eine völlig neue Ära verstanden. Dabei wurden die Gesetze der politischen Schwerkraft ein bisschen schnell vergessen. Die machen aus der KP immer noch ein wichtiges Gravitationszentrum.

Der Apparat der KP hat nach wie vor ein erhebliches Gewicht innerhalb der Linken, obwohl die Wahlergebnisse der Partei viel schlechter geworden sind. Einerseits ist die Partei zu schwach, um selbstbewusst mit der Sozialdemokratie verhandeln und dabei ernsthaft eigene Ansprüche stellen zu können. Aber andererseits ist sie auch noch zu stark, als dass sich eine kapitalismuskritische Linke völlig an ihr vorbei entwickeln könnte.

Ein anderes historisches Erbe der langjährigen Dominanz dieser Partei auf der Linken ist eine Strukturierung der politischen Widersprüche in einer seltsamen Form. Denn als das früher von der Partei verfochtene stalinistisch-staatssozialistische Gesellschaftsmodell in den achtziger Jahren in die Krise zu geraten begann, traten erstmals Widersprüche innerhalb der KP und in ihrem Umfeld sichtbar zu Tage. Überwiegend war jedoch ständig die Frage der innerparteilichen Demokratie und der Stellung zum Apparat. Dieser erschien den Anhängern der KP Jahrzehnte lang als eine Art Oase des Sozialismus inmitten des Kapitalismus, als eine Verkörperung des angestrebten Gesellschaftsmodells, das Arbeitern konkrete Aufstiegschancen bot.

Die innerparteilichen Opponenten der KP wenden sich noch immer gegen die – inzwischen abgeschwächte – Kontinuität und Dominanz dieses Apparats. Das ist gut und richtig. Aber zugleich friert es die sonstigen politischen und sozialen Widersprüche ein. Die Spaltungslinie verläuft demnach nicht etwa zwischen radikalen Kapitalismuskritikern und Anhängern einer »linken« Regierungsbeteiligung oder zwischen staats­treuen Linken und Vertretern sozialer Basisbewegungen. Vielmehr finden sich Verfechter einer quasi sozialdemokratischen Linie zusammen mit kritisch-emanzipatorischen Linken auf ein und derselben Seite der Barrikade wieder.

Die realen Widersprüche, im Hinblick auf die Strategie gegenüber der bestehenden kapitalistischen Ordnung, werden dadurch eher verdeckt als offen gelegt. Soll man eine radikale Kritik am kapitalistischen System betreiben? Oder es mit sozial-ökologischer Reformpolitik probieren? Das Profil der innerparteilichen Reformer in der KP in dieser Frage ist zumindest zwiespältig.

Der Linkspopulist José Bové, der im April mit Unterstützung vor allem zahlreicher KP-Dissidenten als Präsidentschaftskandidat antrat, hat diese Ambivalenz übernommen. Einerseits zog er mit seiner radikalen Rhetorik gegen »die Parteiapparate« viele Linksradikale an. Andererseits akzeptierte er noch zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschaftswahl eine »Mission« für Royal, für die er einen Untersuchungsbericht über Globalisierung und Ernährung verfassen sollte. Und im Falle eines Wahlsiegs hätte er durchaus einen Regierungsposten haben können.

Die wirklich interessante Frage wird nun sein, ob und in welchen Formen gegen die aggressiv vorangetriebenen »Reformen« der neuen Regierung soziale Kämpfe stattfinden werden. Sie würden auch die linken Parteien vor sich hertreiben und verhindern, dass diese sich in einer Perspektive einrichten, wonach es für sie nun darauf ankommt, in fünf Jahren die Wahlen zu gewinnen.