Was Akademiker boykottieren

In Großbritannien rufen immer mehr Gewerkschaften zum Boykott von Israel auf. Sie fordern sogar von den UN Sanktionen gegen den jüdischen Staat. von fabian frenzel, leeds

Eine ganze Reihe von britischen Gewerkschaften beschäftigte sich im vergangenen Jahr mit etwas anderem als nur britischen Verhältnissen. Seit dem vorigen Sommer wiederholen sich Protest- und Boykottaufrufe gegen Israel, die jüngeren Entwicklungen im Nahen Osten und der 40. Jahrestag des Beginns des Sechs-Tage-Kriegs haben dies noch verschärft.

Das gewerkschaftliche Engagement gegen Israel hat bereits eine längere Geschichte in Großbritannien. In den vergangenen Jahren haben die beiden maßgeblichen Vertretungen der britischen Akademiker zunächst gegen einzelne israelische Universitäten, dann gegen alle israelischen Akademiker und Universitäten Boykottaufrufe verabschiedet, die weltweite Aufmerksamkeit nach sich zogen. (Jungle World 23/06) Beide Gewerkschaften fusionierten im vergangenen Jahr auf dem Höhepunkt der Debatte um die Boykottaufrufe zur University and College Union (UCU), wodurch die vorherigen Beschlüsse nichtig wurden. Das Board of Deputies, die zentrale Vertretung britischer Juden, hoffte damals, nun würden sich »gesunder Menschenverstand und Demokratie« durchsetzen und weitere Boykottaufrufe unterbleiben. Mit einer erneuten Resolution zu einem akademischen Boykott, die En­de Mai auf dem UCU-Kongress mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, haben die Akademikervertreter nun deutlich gemacht, dass sie es ernst meinen mit dem Boykott.

Über den Entwurf wird derzeit von regionalen UCU-Versammlungen weiter diskutiert, um die Realisierung vorzubereiten, und noch ist nicht einzuschätzen, welche konkreten Auswirkungen er haben wird. Intellektuelle aus den Vereinigten Staaten wie der renommierte Harvard-Rechtsprofessor Alan Dershowitz erklärten sich schon mal als »im Sinne des Boykotts israelischer Akademiker«.

Als politisches Symbol wirkt er aber bereits jetzt stärker als die vorherigen Initiativen, nicht zuletzt, weil sich nun auch andere Gewerkschaften beteiligen. Bereits im April votierte die Jahresversammlung der National Union of Journalists (NUJ), des maßgeblichen britischen Journalistenverbands, für einen Boykott israelischer Produkte, um »von der britischen Regierung und den Vereinten Nationen zu verlangen, Sanktionen gegen Israel zu verhängen«. Die Delegierten verurteilten Israels Vorgehen im Libanon-Krieg und im Gaza-Streifen als »Abschlachten von Zivilisten« und beschlossen, pro-palästinensische Lobbygruppen, darunter auch die britisch-jüdische NGO »Jews for Justice«, zu unterstützen.

Anfang Juni lancierten prominente britische und internationale Architekten einen öffentlichen Aufruf an israelische Architekten und Stadtplaner, sich nicht an Projekten in den besetzten Gebieten zu beteiligen. Einen Boykott forderte die Petition zwar nicht, erklärte allerdings die Arbeit israelischer Architekten im Siedlungsbau für »unethisch«.

Nachdem sich in der vorigen Woche auch noch die Dienstleistungsgewerkschaft Unison dem Boykottaufruf angeschlossen hat, ist klar, dass diese Welle der so genannten Israel-Kritik in Großbritannien über die üblichen Auseinandersetzungen von hart gesottenen Lobbyisten beider Seiten hinausgeht.

Daran, dass der Boykott als richtiges Mittel zu einer friedlichen Lösung des Nahost-Kon­flikts zu verstehen ist, besteht unter den Befürwortern dieser Maßnahme – die sich als Vorreiter in einer Bewegung sehen, die sie gerne mit dem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika vergleichen – kein Zweifel. Einen scharfen Antisemitismusvorwurf gab es bislang nur seitens der Anti-Defamation League. Fraglos radikalisieren die Aufrufe die Debatte. Die britischen Gewerkschafter stehen derzeit vor der Frage »to boykott or not«, stellte die Sonntagszeitung Observer fest.