Menschen, Mäuse, Mutationen

Der Nobelpreis für Medizin ging an drei Stammzellenforscher. Doch die von den Gentechnikern versprochenen neuen Heilmethoden lassen auf sich warten. von guido sprügel

Die meisten Gewinner haben schon eine Reihe anderer Ehrungen erhalten. Die größte gesellschaftliche Anerkennung ist jedoch mit dem Nobelpreis verbunden. Wer den Preis erhält, welche Leistungen und Forschungsbereiche als besonders relevant gelten, ist eine politische Frage. Man kann an der Verleihung immer auch den Stand gesellschaftlicher Entwicklungen ­ablesen. Dieses Jahr ist das Problem der globalen Erwärmung populär. Im medizinischen Bereich stehen mal wieder die Stammzellen hoch im Kurs, wenn auch diesmal nur die der Maus.

Die US-amerikanischen Forscher Mario Ca­pecchi und Oliver Smithies und der Brite Martin Evans haben in diesem Jahr den Nobelpreis für Medizin erhalten – für die Entwicklung sogenann­ter Knock-Out-Mäuse. Die Forscher schalten bei Mäusestammzellen gezielt Gene aus, so als ob in einer Uhr ein Rädchen entfernt würde. Anhand der bei den Tieren sichtbaren Folgen konnten die drei erkennen, welche Funktion das jeweils ausgeschaltete Gen hatte.

Das Verfahren mutet relativ simpel an. Die Forscher deaktivierten in Stammzellen der Maus gezielt ein Gen. Nur allein dadurch, dass in einer Zelle ein Gen deaktiviert wurde, erfuhren sie allerdings noch nichts über dessen Wirkung. Also pflanzte Evans die veränderte Stammzelle in embryonale Stammzellen einer Maus und ließ sie austragen. Die dann geborenen Mäuse zeigen die Folgen der Ausschaltung. Fehlen der einen die Zähne, verkrümmt sich bei einer anderen der Schwanz.

So können auch gezielt schwere Krankheiten simuliert und Heilmethoden erforscht werden. Das Verfahren der »Knock-Out-Mäuse« entwickelten die drei Forscher seit Beginn der achtziger Jahre. Mittlerweile gibt es schon spezialisierte Labore, die »Knock-Out-Mäuse« herstellen. Weltweit wird schon mit mehreren Tausend dieser Mäuse in Laboren gearbeitet.

Für die drei betagten Herren kann man sich also freuen. Doch ihre Forschungen sollen am Ende nicht der Veterinärmedizin dienen, niemand investiert in die Heilung von Mäusekrankheiten. Bei Forschungen an Stammzellen geht es um die Entwicklung neuer Heilmethoden für Menschen, immer wieder wird der Ruf laut, die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu erleichtern und zu fördern.

Diese Forderung erhebt auch Mario Capecchi. Im Interview mit Telepolis erklärte er, dass er es für sinnvoll erachte, die Methode auf andere Spezies auszudehnen. Auf die Nachfrage, ob er darunter auch die menschliche Spezies verstehe, ant­wortete er eindeutig: »Ich glaube, es wäre kriminell, darauf zu verzichten. Sie haben genau­soviel Verantwortung für die Lebenden wie für die Ungeborenen.« Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Forderung nach einer Lockerung der Forschungsbedingungen wieder laut wird. Auch in Deutschland wird bereits sondiert, ob man die Stichtagregelung – derzeit dürfen Forscher nur mit embryonalen Stammzellen ar­beiten, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden – nicht fallen lassen sollte.

Argumentiert wird meist mit sozial anmutenden Begriffen wie Verantwortung und der Chance, schwere Krankheiten heilen zu können. Forscher und Politiker wittern jedoch immer auch schon den Markt des Jahrhunderts. Die Forschung mit Stammzellen und der eventuell mögliche Durchbruch in der Behandlung von »Volkskrankheiten« wie Krebs und Alzheimer verspricht ein Milliardengeschäft.

Capecchi sieht seinen Forschungsbereich als einen wichtigen Wirtschaftsfaktor an. Die Financial Times Deutschland schätzt, dass der Umsatz im Stammzellsegment im Jahr 2020 rund 171 Mil­liarden Dollar betragen wird. Die Hoffnung auf Heilung oder einfach die Angst, in Zukunft an kei­ne Stammzellen heranzukommen, lässt in den Industriestaaten Firmen aus dem Boden sprießen, die Stammzellen für ihre Kunden lagern.

VITA34 ist eine der ersten Firmen, die embryonales Nabelschnurblut direkt nach der Geburt für die ängstlichen Eltern einfriert und lagert – gegen ein ordentliches Entgelt selbstverständlich. Das Geschäft läuft so gut, dass der Konzern im laufenden Geschäftsjahr mit einer Umsatzsteigerung von 25 Prozent rechnet. Die Firma Nanorepro entnimmt adulte Stammzellen, d.h. Stammzellen von Erwachsenen, aus der Haut und friert sie bei minus 130 Grad ein. Für zehn Jahre kostet das Angebot 5 900 Euro, wenn man vorher Tests und Analysen machen lässt, kommt man beim Deluxe-Angebot gar auf 18 900 Euro.

Während man die eingefrorenen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut immerhin eventuell gegen Leukämie einsetzen kann, fehlt bei der Firma Nanorepro jedweder Wirksamkeits­nach­weis. Es ist, als wenn man eine Wette abschließen wür­de – mit einer eher geringen Chance zu gewinnen. Denn eines wird bei dem Hype um die Stamm­zelle oft vergessen – noch gibt es keinerlei Erfolge im Kampf gegen Alzheimer, Diabetes oder andere Krankheiten. Die bislang vor­lie­genden Ergebnisse der Forschung mit embryonalen Stammzellen zeigen eine hohe Störanfälligkeit, vielfach entwickeln sich gefährliche Tumore. Deshalb halten sich global agierende An­leger und Banken bislang auch noch zurück, wenn es um Investitionen in dem Bereich geht.

»Big Pharma wird sich erst in größerem Stil en­gagieren, wenn erste Erfolge da sind«, sagte Ralf Huss, Senior Pathologist bei Roche Dia­gnostics, gegenüber der FTD. Aber große Banken sind wach­sam und sehen das Potenzial. »In Stammzellen schlummern mit Sicherheit große wirtschaftliche Möglichkeiten«, meint Rüdiger von Roosen vom Deutschen Aktieninstitut. »Das könnte ein explodierender Markt werden.«

Der fehlende Erfolgsnachweis schreckt schwerkranke Patienten nicht davon ab, sich auf mitunter teure und gefährliche Abenteuer einzulassen. Während die Firma Nanorepro nur teuer ist, kann ein Arztbesuch in China schon weitaus gefährlicher werden. Weil Standards bei der Zulassung von Therapien fehlen, können chine­sische Ärzte jetzt schon Kunden mit absurden Heils­versprechen anlocken. So auch die Klinik von Dr. Huang Hongyun, der seinen Patienten Stammzellen von abgetriebenen Föten spritzt. 20 000 Dollar kostet die Wunderbehandlung. Die Stammzellen werden direkt an den Herd der »Störung« gespritzt, d.h. bei Alzheimer-Patienten direkt unter die Schädeldecke. Dort sollen sie dem Körper helfen, gesundes Gewebe zu produzieren. Auch wenn es keine wirklichen Erfolgsgeschichten gibt und über die Nachsorge nichts bekannt ist – Dr. Hongyun kann sich über einen Mangel an Patienten aus reichen Industriestaaten nicht beklagen.

Forschung und Produktion der Branche werden in den meisten Staaten gesetzlich reguliert. Sie zieht stets auch so genannte Tabubrecher und verrückte Forscher an, die zugleich begeistern und beängstigen. Fast in Vergessenheit geraten ist der Südkoreaner Dr. Woo Suk Hwang von der Seouler Nationaluniversität. Er hatte angeblich als Erster einen menschlichen Embryo geklont und damit für Furore gesorgt. Mittlerweile ist der kurzzeitige südkoreanische Nationalheld als einfacher Betrüger entlarvt worden, der seine Ergebnisse allesamt gefälscht hatte.

Kurz vor der diesjährigen Verleihung des Nobel­preises für Medizin meldete sich turnusgemäß der Gentechniker Craig Venter zu Wort. Er behaup­tet, in seinem Labor ein künstliches Chromosom geschaffen zu haben. Das nachgebildete Chromosom will er demnächst in ein Bakterium einsetzen, dort soll es die Kontrolle übernehmen und sich reproduzieren. Venter träumt von künstlich erschaffenen Bakterien, die in Zukunft z.B. CO2 umweltfreundlich umwandeln sollen.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, vermutlich werden die Probleme nicht geringer sein als bei der Stammzellenforschung. Auch bei Venter schei­den sich die Geister, für manche ist er ein Genie, andere kritisieren ihn als selbstherrlichen »Schöp­fer« oder warnen vor den Gefahren, etwa der Möglichkeit, neue biologische Waffen zu entwickeln. Moralische Bedenken gegenüber seiner Forschung tut Venter immer wieder lakonisch ab. »Wir versuchen, ein neues Wertesystem für das Leben zu schaffen. Wenn man mit solchen Di­men­sionen zu tun hat, kann man nicht erwarten, dass jeder glücklich sein wird«, sagte er dem Guar­dian. Man darf gespannt sein, zu welcher Art Tabu­brecher Venter in Zukunft gehören wird.