Pomp, Fuck & Circumstance

In Wien fand vorige Woche die Premiere der queeren Burlesque »Orlanding The Dominant« statt. Über die Renaissance eines Show-Genres. Von Sonja Eismann

Mit Moulin-Rouge-Phantasien von Legionen halbnackter, gleichförmig perfekter Frauen­körper hat dieser burleske Abend im Wiener Brut-Theater nichts zu tun – trotz der runden Tische mit roten Lämpchen im Publi­kums­raum, die verstaubte Bilder von Variété-Theatern evozieren: Sechs Frauen in bizarr-trendigen Kostümen zwischen Androgynität und übertriebener Weiblichkeit stürmen und tanzen über die Bühne, simulieren mit ihren nicht-normierten Körpern lesbischen Sex, bewundern, als tussige Schwestern in weiblichem Drag, eine »pompöse Möse«, die sich als »Cameltoe« manifestiert, und singen pathetisch bis aggressiv über die Lust am »Genderfuck«.

Genau um diesen geht es in der Produktion »Or­landing the Dominant«, die im neuen Wiener Kooperationshaus »Brut« am 8. Januar das Themenwochenende »Lust am Verrat. Stel­lungs­wech­sel in Feminismus, Performance und Film« einläutete. Die Musikerin Gustav, die Per­for­mance­­band SV Damenkraft sowie ein aus Bremen dazugerufenes Mitglied der Drag-Gruppe Sissy Boyz haben dabei mit Virginia Woolfs »Orlando« einen für queere Belange mehr als geeigneten, ja offensichtlichen Text für ihre Zwecke adaptiert und mit zitatreicher Musik zwischen Elektronik, Oper, HipHop und Ballade unterlegt. Orlando, den jede der sechs Frauen abwechselnd darstellt, ist in seinem jahrhundertelangen Leben wie bei Woolf mal Mann am Hofe, mal Dame der fei­nen Gesellschaft, die sich als Mann verkleidet. Er/sie endet hier als Showmaster einer feminis­tisch-queeren Kuriositätenshow im New York der siebziger Jahre, in der, Höhepunkt der Insze­nierung, in einem halsbrecherischen Tempo eine provozierend ironische Nummernrevue feministischer Ikonen durchgepeitscht wird: Laurie Anderson spielt avantgardistisch keinen Ton, Elke Krystufek kotzt auf die Bühne, Ca­rolee Schneemann zieht sich ein Endlosband aus ihrer Vagina, und Valerie Solanas erschießt zuerst Andy Warhol und dann alle anderen, die hernach wieder auferstehen dürfen.

Die Durchbrechung und Verwischung binärer Geschlechtergrenzen, die ironische Performanz von Gender sowie die Anrufung feminis­tischer Vorgängerinnen werden in einem akade­misch unterfütterten Milieu, schön pointiert aufgeführt, erwartbar. Was stutzen lässt, ist die Verpackung. Eine Burlesque? Ist das nicht ein dem Striptease nahestehendes, auf die Zurschau­stel­lung von Frauenkörpern spezialisiertes Unterhaltungsformat, das schon lange ausgestorben ist? Wie kann diese Form auf einmal »queer« werden? Die Burlesque, nun gerne auch als Neo-Burlesque tituliert, war eine der unerwartetsten Wiedergängerinnen des – an Überraschungen nicht gerade armen – neuen Feminismus. Der bescherte uns ja schließlich schon, zumindest in den USA, die neue Lust an der neuen Häus­lichkeit und Handarbeit, eine Vorliebe für Bettie Pages Pin-Up-Style, das »Homeschooling« durch feministische Hausfrauen-Mütter – und nun also auch die Entblätterung des weib­lichen Körpers auf der Bühne. In Nordamerika scheint an jeder Straßenecke eine Burlesque-Truppe aus dem Boden zu schießen – die Vorläufer des neuen Trends waren ab Mitte der neunziger Jahre die Dutch Weismanns, die Follies in New York und The Velvet Hammer Bur­lesque in L.A. –, und sogar die Queer-Theoretike­rin Judith Halberstam schwärmte in einer Ausgabe des niederländischen Lesbenmagazins Girls Like Us für eine Gruppe namens Miracle Whips: Diese bestehe aus Studentinnen und Professorinnen, die eine Mischung aus Theorie und Strip darböten – zunächst ein wenig Foucault, dann eine Wet-T-Shirt-Einlage.

Doch auch wenn viele der Burlesquen tatsäch­lich nichts anderes sind als Stripshows mit hipperem Anstrich, die zudem ihre Darstellerinnen, auf Englisch ja auch »exotic dancers« genannt, auf schwülstige Weise exotisieren (»Legs Cadillac, the only daughter of the last Maharaja of Bombay«), finden sich durchaus widerständige Ansätze. So eigneten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA und Großbritannien die Bur­lesque-Tänzerinnen auf karnevalistische Weise die Vorlieben der Upper Classes an, um diese in vulgärer Form zu verspotten. Um 1860 zeigte die Truppe British Blondes rund um Lydia Thompson, die mit ihrem Erfolgsstück »Ixion« den New Yorker Theatermarkt aufrollte, Frauen in – für damalige Verhältnisse – spärlicher Män­nerbekleidung, die Rip-Offs bekannter Opern­arien schmetterten. Während das Zeigen halbnackter Frauen zu diesem Zeitpunkt nur ein Element von vielen war, das zudem die prüde viktorianische Ordnung erschütterte, degenerierte die Form in den dreißiger Jahren zur Auszieh-Revue.

Die aktuelle Version des Glitzerspektakels, die mit einer Vorliebe für bombastischen Retro-Kitsch einhergeht, versucht, den humoristischen Aspekt zu betonen. Dabei geht es auch um das selbstbewusste Zeigen nicht-perfekter Körper, das sich Gruppierungen wie Big Burlesque – The Original Fat Bottom Revue auf die Fahnen geschrieben haben. Auch der erfolgreichen Ber­liner Gruppe The Teaserettes geht es laut Eigendefinition »nicht um die Darstellung von perfekten Körpern und plumpen Sex, sondern um das Karikieren gängiger Klischees (Männer und Frauen) und um das Zeigen selbstbewusster humorvoller Erotik ohne erhobenen Zeigefinger«.

Im Fall von »Orlanding the Dominant« ist die Queerung des Genres auf erstaunliche Weise gelungen. Wenn da der Sissy Boy mit nacktem Oberkörper als »Mann mit Brüsten« über die Büh­ne gejagt wird und eine androgyne Butch ihre schlanken Brüste ganz nüchtern in einen Pappkarton klemmt, um an Valie Exports Tapp- und Tastkino zu erinnern, wird nicht voyeuristische Geilheit bedient, sondern die Freakiness binärer Zuschreibungen vorgeführt. Allein eine Frage bleibt doch noch offen: Warum ist es wieder an den Frauen, diese einengenden Codes zu dekon­struieren und dafür ihre (nackten) Körper sprechen zu lassen? Männer sind in der Burlesque-Bewegung mit der Lupe zu suchen, und meistens sind sie dann auch noch bekleidet. Entweder sie interessieren sich immer noch nicht für ihre sexuelle Emanzipation – oder sie lassen doch lieber wieder die Frauen machen. Und sich ausziehen.