Schüsse vor dem Start

Von der algerischen Sahara aus versucht al-Qaida, in den Nachbarstaaten Fuß zu fassen. Die Anschläge in Mauretanien waren ein erster propagandistischer Erfolg. von bernhard schmid, paris

Französische Sportereignisse scheinen vom Unglück verfolgt zu werden. Im vorigen Jahr führte der Doping-Skandal bei der Tour de France dazu, dass viele der Favoriten nicht mitfahren durften, und zu Beginn dieses Jahres wurde das Auto- und Motorradrennen »Le Dakar 2008« abgesagt. Zwar aus ganz anderen Gründen, doch es traf denselben Veranstalter: die Amaury Sport Organisation (ASO), die zum Pressekonzern Amaury gehört, dem Eigentümer der Sportzeitung L’Equipe und der Boulevardzeitung Le Parisien.

Rund ein Drittel des Umsatzes von ASO, jährlich rund 135 Millionen Euro, wird mit dem Rennen von Europa nach Westafrika erzielt, das erstmals im Jahr 1978 stattfand. Früher war die Rallye unter dem Namen »Paris-Dakar« bekannt, aber die Fahrer starten inzwischen in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Das Rennen ist äußerst umstritten, unter anderem wegen der mangelnden Sicherheitsvorkehrungen für Menschen, die entlang der Strecke wohnen. So wurden bei der Rallye im Jahr 2006 ein senegalesisches und ein guineeisches Kind getötet. Nach Angaben der Pariser Abendzeitung Le Monde hat das Rennen seit 1978 insgesamt »rund 50 Personen das Leben gekostet, darunter 17 Zuschauer und unter ihnen acht Kinder«. Aber auch der Initiator des Rennsportereignisses, Thierry Sabine, kam 1986 während des Rennens ums Leben, als ein Hubschrauber abstürzte.

Nicht wenige Beobachter in Frankreich waren deshalb gar nicht so unglücklich, als am vorletzten Freitag, dem Vorabend des geplanten Starts, die Nachricht von der Absage des diesjährigen Rennens eintraf. Allerdings zählten die Gründe, aus denen die Annullierung des Starts erfolgte, »leider nicht zu denen, die man begrüßen könnte«, wie die französische Bewegung gegen Rassismus und für Völkerfreundschaft (MRAP) in einer Presseerklärung hinzufügte.

Die französische Regierung, bei deren Kabinetts­sitzung Anfang Januar die »Sicherheitsbestimmungen für die Rallye Dakar 2008« als Thema auf die Tagesordnung gesetzt worden waren, hatte zuvor erheblichen Druck auf ASO ausgeübt, die Veranstaltung abzusagen. Acht der 15 Strecken­abschnitte befinden sich in Mau­re­ta­nien. In der Nähe von Aleg, im Südosten des Landes, wurden am 24. Dezember vier französische Touristen ermordet, drei Tage später starben mehrere mauretanische Soldaten im nordöstlichen Landesteil bei einem Attentat. Zudem war am 29. Dezember eine Botschaft von »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« im Internet aufgetaucht, die die Regierung in Nouakchott dafür kritisierte, »mit den Kreuzrittern, den Apostaten und den Ungläubigen« bei der Organisierung des Autorennens zusammenzuarbeiten.

Die mauretanische Regierung hatte erfolglos versucht, die Absage zu verhindern. Sie versprach, 4 000 Soldaten zum Schutz der Rallye bereitzustellen, doch die französische Regierung bezweifelte offenbar, dass in dem unübersichtlichen Wüstengebiet die Sicherheit gewährleistet werden könne.

Zunächst hatten die mauretanischen Behörden angegeben, das Attentat auf die Franzosen, die am Wegesrand angehalten und mit Maschinenpistolen erschossen wurden, sei das Werk von schon früher auffällig gewordenen Kriminellen, die vermutlich Geld erpressen wollten. Doch nach drei Tagen rückte die Generalstaatsanwaltschaft der Hauptstadt Nouakchott von sich aus die These eines terroristischen Anschlags in den Vordergrund: Zwei der drei mutmaßlichen Täter seien in der Vergangenheit als Sympathisanten der Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) aufgefallen.

Tatsächlich mussten beide Thesen sich nicht einmal zwingend ausschließen. Denn wie sich herausstellte, handelte sich bei allen dreien um ehemalige »gewöhnliche« Straftäter, die sich in jüngerer Zeit dem GSPC bzw. dessen Nachfolgeorganisation »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« angeschlossen hatten. Sie waren wegen krimineller oder kleinkrimineller Delikte vorbestraft.

Der 20jährige Ould Sidna und Ould Sidi Chabarnou, 26, wurden in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag voriger Woche in einem Hotel in der Hauptstadt von Guinea-Bissau verhaftet, nachdem sie über den Senegal und Gambia in das westafrikanische Land geflohen waren. Die beiden hatten sich in einem Fünf-Sterne-Hotel in Bissau eingemietet und sich als Geschäftsmänner ausgegeben, jedoch ihre Luxussuite seit ihrer Ankunft nicht verlassen. Medienberichten zufolge sollen sie beträchtliche Geldmittel mit sich geführt haben. An ihrer Verhaftung in Guinea-Bissau waren Angehörige des französischen Auslandsgeheimdiensts DGSE beteiligt.

Die beiden Verhafteten sollen dort inzwischen ein Geständnis abgelegt und bekundet haben, »keinerlei Reue über den Tod von Ungläubigen« zu empfinden. Sie wurden an ihr Herkunftsland Mauretanien ausgeliefert. Ould Sidna war dort im November 2006 wegen der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« festgenommen, im Juli des folgenden Jahres jedoch freigesprochen worden. Er wurde unter anderem verdächtigt, jihadistische Kämpfer für das Bürgerkriegsland Somalia rekrutiert zu haben. Dem zweiten Festgenommenen waren ebenfalls Kontakte zum damaligen GSPC nachgesagt worden, er soll sogar in Algerien in einem militärischen Trainingscamp ausgebildet worden sein.

Ein dritter Tatverdächtiger, Maarouf Ould Haiba, befindet sich noch auf der Flucht. Er wurde bislang in Mauretanien wegen eines Autodiebstahls gesucht und hatte sich offenbar erst in jüngster Zeit den Jihadisten angeschlossen. Am vorigen Wochenende wurden auch drei Mauretanier festgenommen, denen vorgeworfen wird, den Flüchtigen geholfen zu haben.

Den Ermittlern zufolge bereiteten sich die beiden mauretanischen Jihadisten, die in Bissau verhaftet wurden, darauf vor, per Flugzeug nach Algerien auszureisen. Dort wollten sie sich wohl den Untergrundkämpfern des früheren GSPC anschließen, der sich seit einem Jahr »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« nennt.

Die algerische Terrororganisation ist die Kerngruppe des jihadistischen Aktivismus in Nord­afrika. Über die Kontakte mit nomadischen Schmug­glergruppen in der Sahara versucht sie, auch in den an Algerien grenzenden Ländern Fuß zu fassen. So schätzt der französische Auslandsgeheimdienst die Anzahl derzeit im Einsatz befindlicher Jihadisten in der Region auf 500. In den Reihen der Hauptgruppe in Algerien werden 400 von ihnen vermutet, der Rest soll zwischen Mauretanien, Mali, Südalgerien und Niger hin- und herpendeln. Die Zeitschrift Jeune Afrique gibt die Zahl der bewaffneten Jihadisten in Mauretanien mit »etwa 30« an. Offenkundig handelt es sich dabei zum Teil um ehemalige »gewöhnliche« Gesetzesbrecher oder junge Banditen, die ohnehin im Konflikt mit den Staatsorganen stan­den, durch die jihadistische Ideologie eine Rechtfertigung für ihr Tun finden und nun nicht nur auf Beute, sondern auch auf eine Belohnung im Jenseits hoffen.

Zur wirklichen Bürgerkriegstruppe taugt eine so kleine Anzahl entschlossener Aktivisten nicht. Von ihren unzugänglichen Rückzugsgebieten können sie nur zu sporadischen Operationen in der Region aufbrechen. Der Kampf um die Staatsmacht steht derzeit nicht auf dem Programm, der Aufbau einer jihadistischen Front in der Sahara gehorcht einer anderen Logik. Al-Qaida bemüht sich um Anschläge auf möglichst spektakuläre Ziele, die internationale Aufmerksamkeit garantieren. Die Attentate in Mauretanien waren in dieser Hinsicht ein Erfolg.