Vom göttlichen Auge zur Heuschreckenplage

Der Dollar ist in der Krise, aber dem Feind­bild Dollar geht es bestens. Selbst bei einem Absturz der US-Weltwährung könnte der Euro auf der Ebene der politischen Bildersprache nie eine vergleichbare Projektionsfläche bieten. von richard gebhardt

Obwohl Geld in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise als allgemeines Äquivalent des Werts ein Ausbeutungsverhältnis vergegenständlicht, das aufgrund seines Abstraktionsgrads nur mittels theoretischer Anstrengung durchschaut werden kann, gilt der Dollar im globalen Bewusstsein als unmittelbar zugänglicher Ausdruck konkreter Macht, als universelles Geld der Weltmacht USA. Jedermann weiß, selbst wenn er nichts über das Zusammenspiel von Geld und Gewalt weiß, dass der Greenback das sinnlich greifbare Machtmittel des kapitalistischen Imperiums ist. Der Dollar, nicht das US-Militär, ist das Symbol moderner Weltmacht.

Dieser Papierfetzen tritt nicht nur im latein­amerikanischen »Hinterhof« der Vereinigten Staaten als »Dollarimperialismus«, als materielle Gewalt auf. Er ist Unterdrückungsinstrument und Freiheitsversprechen zugleich; ein Spannungs­verhältnis, welches erklärt, warum der faszinierte Blick auf den Yankee-Dollar zwischen Verehrung und Verachtung oszilliert. Wenn im verkehrten Bewusstsein Geld die Welt regiert, ist der Dollar die stärkste Waffe der laufenden Handelskriege. Gegen den Dollar richtet sich gegenwärtig der Spott von Ahmadinejad und Chávez, obwohl sein Absturz auch für deren exportabhängige Nationalökonomien katastrophal sein wird.

Die bizarre ideologische Aufladung des Dollars wirkt nach in der internationalen politischen Propaganda und Pop Kultur, egal ob auf dem Transparent, im Flugblatt, Comic, in der Karikatur, im Protest Song oder Rap. Der Dollar war und ist neben Frack, Zylinder und Zigarre das hervorstechende Erkennungsmerkmal des schmerbäuchigen kapitalistischen Archetyps, dem das Dollar-Zeichen aus den gierigen Augen blitzt. Gegenwärtig bleibt er das Feindbild, jedoch ändert sich der mit ihm identifizierte Träger. Der antikapitalistische Affekt richtet sich heute zwecks Visualisierung der »Diktatur der Finanzmärkte« gegen die Plage der Hegde-Fonds-Heuschrecken. Eine Insektenmetapher löst in der Agitation die alte Charaktermaske, das Bild des hässlichen Amerikaners als Dollar scheffelnder paternalistischer Unternehmertypus, ab. Als eigentlicher Skandal gilt das vagabundierende Kapital, das – statt Schiffe zu bauen – ruhelos seiner maximalen Verwertung hinterherhechelt. Der durch Massenentlassung gekränkte hegelianische Stolz auf die schaffende Lohnarbeit ist die Erkenntnisgrenze dieser Kritik.

Das Feindbild Dollar korrespondiert mit den modernen Mythen der esoterisch-antisemitischen Verschwörungsindustrie, die sich gerne auf Dollar und Davidstern, Federal Reserve und Wall Street fixiert. Nicht nur im Internet grassieren die wildesten Spekulationen und Sinnproduktionen über das Geheimnis des Dollars, ein tradiertes Raunen über Freimaurer und versteckte Botschaften. Das »Novus ordo seculorum« auf der Rückseite des mythenumwobenen Ein-Dollar-Scheins, die Zahlenfolge und die Adam-Weishaupt-Legende, die Gerüchte über die Illuminaten-Pyramide und das »göttliche Auge« – allein als Fetisch für Neurotiker mit Zählzwang füllt das »Geheimwissen« über den Dollar noch heute in jeder spirituellen Abteilung der Buchhandlungen die Regalwände. Im Feindbild Dollar verdichten sich die zahllosen Ressentiments gegen die kapitalistische Moderne. Als Ausdruck realer Vorherrschaft der USA beflügelt der Dollar seit jeher die Phantasie der konservativen Kulturkritiker von rechts und links.

Der Macht des Dollars wurden schon oft Nach­rufe gewidmet. Doch selbst bei einem Absturz der US-Weltwährung könnte der Euro auf der Ebene der politischen Bildersprache nicht die Leerstelle als zirkulierendes Feindbild füllen. Als geldwerter Ausdruck eines Machtverhältnisses gilt der Euro im Gegensatz zum Dollar nicht als »schweres« Zeichen eines imperialen Staatenverbunds. Auch bei manchen Globalisierungskritikern überwiegt die Verklärung eines europäischen Sozialstaats im »rheinischen Kapitalismus«. Der Euro ist in der praktischen linken Agitation ein vergleichsweise neutrales Papier. Zudem ist der Euro im Gegensatz zum Dollar eine »ahistorische« Währung. Sein schmuckloses Design eignet sich schlecht zur Konspirationskunde, da er nicht wie die Dollarnoten mit einem reichhaltigen Reservoir an historischen Referenzen aus der Nationalfolklore aufwartet.

Solange Kapitalismus nicht als strukturelles Ausbeutungsverhältnis begriffen wird, fällt Aufklärung über den Geldfetisch auf Feindbilder zurück. Der Dollar ist deren tradierte Form, gegen die sich völkischer Zorn ebenso wie roher Antikapitalismus richtet. Mögen Länder der Peripherie mit ihren Dollarreserven derzeit auch das double deficit der USA sponsern, ihre Agitation gegen das Weltgeld bleibt. Das Feindbild Dollar ist stabiler als die Währung.