Alle reden vom Klima

Wer ein Verkehrmittel wie den Transrapid bewirbt, möchte es umweltfreundlich erscheinen lassen. Das erfordert Kreativität bei der Auswahl der statistischen Methoden. von cord riechelmann

Wer meint, ein Mittel in der Hand zu haben, mit dem ein allgemeines Übel beseitigt oder bekämpft werden könnte, hat im aktuellen Entwicklungsstadium der westlichen Gesellschaften mit verschiedenen Problemen zu tun. Man muss nicht nur ein Übel beschwören und es mit den Mitteln des ökonomisch-wissenschaftlichen Standards der kapitalistischen Produktionsform gewissermaßen dingfest machen, sondern man muss auch versuchen, die Lösungen in dasselbe Netz aus Macht- und Wissensverhältnissen einzuspeisen, aus dem das Übel hervorgegangen ist.

Und dieses Netz ist alles andere als übersichtlich. Man kann das derzeit anhand der Debatten um den Klimawandel überall verfolgen, ebenso wie man es auch an der Debatte zum Thema in dieser Zeitung vor einiger Zeit ablesen konnte. Der Großdiskurs um das sich verändernde Klima entnimmt seine Daten und Argumente aus den verschiedensten Quellen. Private und staatliche Forschungseinrichtungen liefern nicht selten in Konkurrenz zueinander die Diagnosen und entwerfen zumeist düstere Zukunftsszenarien.

Die Mahnungen der Forscher werden erhört. Gesetze werden erlassen, die den Ausstoß schädlich auf das Klima wirkender Gase wie Kohlendioxid vermindern sollen. In den Technologiezentren von Universitäten und Unternehmen werden ausgeklügelte Energiespargeräte erfunden. Hierzulande boomen Firmen, die mit Solar- und Wind­energie­tech­nik handeln. Sie gelten als weltweit führend und tragen ihren Teil dazu bei, dass Deutsch­land Exportweltmeister bleibt. Womit auch garantiert ist, dass das Volumen der transportierten Waren weiterhin dem einzigen Gesetz unserer Wirtschaftsweise folgt, gegen das buchstäblich kaum ein Kraut wachsen darf, nämlich dem des Wachstums.

Damit das Wachstum, dieser scheinbar unumgehbare Faktor für das Glück von Hamburg, nicht gestört wird, muss auch unbedingt die Elbe ausgebaggert, vertieft und verbreitert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch weiterhin Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro pro Jahr nach Deutschland importiert und Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro pro Jahr aus Deutschland exportiert wird. Weil der Welthandel ein so einträgliches Geschäft ist, wollen auch die Deutsche Bahn AG und die Deutsche Post AG durch Firmenkäufe im Ausland zu Global Players im Güter- und Frachtverkehr werden.

Nun kann man allerdings in jedem besseren Bioladen auf Broschüren stoßen, die gerade die langen Frachtwege für Tomaten oder Zucchini aus Äthiopien oder Südafrika für die überaus miserable Klimalage verantwortlich machen. Überdies gefährdet in Ländern der so genannten Dritten Welt der Anbau für den Verkauf auf europäischen und amerikanischen Märkten auf lange Sicht nicht selten die Ernährungs- und Lebensgrundlage der Bevölkerung.

All das wissen natürlich auch die Betreiber der großen Frachtunternehmen, gleichgültig ob sie nun für den Bau von Schiffen, Zügen oder Flugzeugen zuständig sind oder nur den Transport organisieren und durchführen. Auf ihre Weise haben sie diese Argumente bereits affirmiert und sozusagen als Ausweis in ihre Tätigkeit integriert. Nachvollziehen kann man das an den Auseinandersetzungen um den Bau des Transrapid in München und den Bericht der Deutschen Bahn AG zu ihrer Klimabilanz.

»Ja«, schreibt der Bayernkurier, »die Umwelt­bilanz des Transrapids ist positiv. Aktuelle Ver­kehrs­prog­nosen für das Jahr 2020 zeigen, dass durch eine attraktivere Flughafenanbindung rund drei Millionen Autofahrer von der Straße auf den Schienenverkehr umsteigen könnten. Fest steht: Der Transrapid ist umweltschonender als jede Autobahn. Er hinterlässt aufgrund seines elektrischen Antriebs entlang der Trasse keinerlei Abgase und geht sparsam mit der Energie um.« Die Belastung der Atmosphäre durch Kohlendioxid sei bei der Fahrt vom Hauptbahnhof zum Flughafen pro Person wesentlich niedriger als bei einer vergleichbaren Autofahrt, außerdem verursache der Transrapid bei Tempo 250 weniger Lärm als ein LKW mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde. Der kurze Abriss aus dem Bayernkurier enthält in prägnanter Form alle Argumente, die auch die Bahn anführt, um weiterhin den Frachtverkehr zu forcieren, ohne damit in Widerspruch zur klimaschützerischen Rhetorik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Umweltminister Sigmar Gabriel zu geraten.

Die Bahn, so erzählte ihr Chef Hartmut Mehdorn auf der Bilanzpressekonferenz seines Unternehmens im März vergangenen Jahres, verbrauche selbst in ihren schnelleren Varianten wie dem ICE, wenn er vollbesetzt sei, pro Passagier nur so viel Energie wie ein Ein-Liter-Auto. Das ist ein beeindruckender Wert, gegen den tatsächlich kein Auto eine Chance hat. Für einen PKW beträgt der Primärenergieverbrauch im Fernverkehr 5,2 Liter, im Nahverkehr 8,3 Liter Benzin je Person auf 100 Kilometer. Allerdings widerspricht Mehdorns Superwert von einem Liter bereits der offizielle Werbetext der Bahn: »Wir haben das umwelt­freund­lichste Verkehrsmittel noch umweltfreundlicher gemacht. Der neue ICE 3 verbindet Europa mit bis zu 320 km/h. Und mit umgerechnet 2,3 Litern Benzinverbrauch pro Person auf 100 Kilometer schlägt er Auto und Flugzeug deutlich.«

Der Unterschied erklärt sich aus der Diskrepanz zwischen Mehdorns voll besetztem Zug und der Wirklichkeit des ICE-Verkehrs. Kein Zug saust auf die Dauer voll besetzt dahin, die Auslastung der Züge liegt der Deutschen Bahn zufoge bei 43 Prozent. Verrechnet man diesen Wert mit Mehdorns einem Liter, kommt man auf die 2,3 Liter der Bahn-Werbung. Aber für diese Zahl muss der Zug ständig fahren. In den Wert geht nur die so genannte Traktionsenergie ein, also das, was der Zug verbraucht, wenn er angetrieben wird. Es fehlt die »stationäre Energie«, all das, was man braucht, um den Zug instand zu halten, die Bahnhöfe zu beleuchten und zu heizen oder auch nur die Schienen zu warten.

Rechnet man die Kosten und den Energieaufwand für diese Tätigkeiten hinzu, wird der Wert des ICE im Vergleich zu Flugzeug und Auto immer schlechter. Noch schlechter wird er, wenn man jene Faktoren einbezieht, die in keiner Statistik mehr auftauchen. Bahnhöfe liegen in der Regel nicht vor der Haustür. Man muss mit dem Bus, dem Taxi oder der S-Bahn zum Bahnhof fah­ren und verbraucht dabei Energie. Dieser »Anfahrts­umwegfaktor« führt dazu, dass jeder, der einen Fernzug der Bahn benutzt, im Mittel 14 Prozent weiter fährt als bei der direkten Autofahrt, wie das Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg bereits 1992 errechnete.

Ohne hier die Kritik der Berechnungsmethoden der Deutschen Bahn bis zur Erledigung der Behauptung vom umweltfreundlichen Verkehrsmittel weiterführen zu wollen, was die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrer Ausgabe vom 14. Oktober 2007 in einem Kommentar zur Klimabilanz der Bahn hinreichend getan hat, wird klar, das etwas nicht stimmt. Der Hype um die Umweltfreundlichkeit von hochtechnologischen Projekten wie dem Transrapid führt nur dann zu den gewünschten Ergebnissen, wenn man die Berechnungen vorher bereinigt hat. Nur dann kann der Transrapid oder der ICE leise, emissionsarm und energiesparend erscheinen.

Doch beide Verkehrsmittel sind Großprojekte, die den Betrieb am Laufen halten, die Umsätze mehren und die Vernutzung von Mensch und Natur weitertreiben wie bisher. Für den Transrapid in München etwa gilt, dass er einen völlig anderen Fahrweg als andere Verkehrssysteme braucht. Verknüpfungen mit anderen öffentlichen Verkehrs­mitteln sind nur mit zeitraubendem Umsteigen möglich. »Dadurch schrumpft sein ohnehin geringer Zeitvorteil auf Null oder kehrt sich gar in einen Zeitverlust um«, schreibt der bayerische Landesverband des Verkehrsclubs Deutschland.

Für die Kritik solcher Großvorhaben bedeutet das aber nicht, den Winston Churchill zugeschriebenen Fehler zu machen und nur noch der Statistik zu glauben, die man selbst gefälscht hat. Vielmehr sollte nach der Bedeutung für den allgemeinen Gebrauch gefragt werden. Und für den allgemeinen Gebrauch sind die Bilanzen der Deutschen Bahn und der CSU völlig unerheblich. Beziehungsweise entschieden klimafeindlich. Es kann nur darum gehen, Mensch und Natur vor beiden zu schützen.