Alle wollen Henry

Im Film »Die Schwester der Königin« wird die männliche Bestie zur Beute der Frau. von jürgen kiontke

Es liegt nicht nur an den Kostümen, dass man sich in »Die Schwester der Königin«, der Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Philippa Gregory, auf einen anderen Planeten versetzt fühlt. Die Vehemenz, mit der der seltsame Organismus Henry VIII. (Eric Bana) seine Beutestücke anfällt, erinnert stark an die »Alien«-Filme. Auch das von H. R. Giger entworfene Monster lässt keine Gelegenheit aus, Wirtstiere für seine Brut zu finden.

Da die »Alien«-Reihe mit ihrer seltsamen Erweiterung »Alien vs. Predator« recht uninteressant geworden ist, kann man durchaus sagen: In Justin Chadwicks erstem Film findet das Monster seine würdige Reinkarnation, nämlich im Frauen fressenden englischen König, dessen nachmittelalterliche Klamotten dem Rückenpanzer der Sternenbestie in nichts nachstehen.

Aber wollten die Kontrahenten des galaktischen Ungeziefers bisher einfach nur schleunigst fliehen, sieht es in Chadwicks Film etwas anders aus. Nicht nur die Schwestern Anne (Natalie Portman) und Mary (Scarlett Johansson) aus der Familie Boleyn reißen sich förmlich darum, ihr Dasein als Befruchtungsmaschinen zu fristen. Das halbe England der Renaissance, und nicht nur der Adel, tut es ihnen gleich. Dabei hält sich Chadwick streng an die historischen Gegebenheiten – denn der König, sein Hof, seine Kriege und sein Sozialverhalten sind ausreichend dokumentiert. Henry VIII. benimmt sich wie ein Vertreter der Neuen Mitte im Prenzlauer Berg in Berlin: Egal, was ansteht, ein Kind muss her! Und zwar ein männliches!

Als klar ist, dass seine Frau Katharina von Aragon (Ana Torrent) den ersehnten Thronfolger bei einer Fehlgeburt verloren hat, muss sich der allmächtige Herrscher anderweitig umsehen. Bei einem Jagdausflug kommt er Anne, die ihm von ihrem Onkel, dem Duke of Norfolk (David Morrissey), fast schon aufgedrängt wird, überaus nahe. Aber das ungestüme Mädchen reitet mit ihrem Gaul quer durchs unwegsame Gelände, und König Henry reißt es bei der Verfolgung seiner Beute glatt aus dem Sattel. Diagnose: Oberschenkelhalsbruch. Chronische Beschwerden werden dem nicht mehr ganz jungen Herrscher für den Rest des Lebens erhalten bleiben. Anne wird zur Strafe an den Hof der französischen Königin verbannt.

Kaum ist Henry VIII. wieder zu Hause angekommen, versucht Mary ihr Glück. Die ersehnte Befruchtung läuft wie geplant, allerdings verbietet der Arzt wegen einer Problemschwangerschaft den Geschlechtsverkehr, ganz zum Verdruss des Königs. Also wird Anne als Konversationsdame aus Frankreich herangekarrt. Die Familie Boleyn will sich so den Einfluss beim Chef sichern, die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Doch Anne tut natürlich alles andere, als ihre schwangere Schwester beim König im Gespräch zu halten.

Der französische Hof muss jedenfalls eine Luderanstalt sein. Sollte Anne jemals schüchtern gewesen sein, ist ihr das gründlich ausgetrieben worden. Laut und deutlich führt sie vor aller Ohren lästerliche Reden und liefert sich ein ums andere Mal mit den englischen Delinquenten erotische Gefechte. Schwester und Schwester umkreisen nun die königliche Kreatur. Wer ist hier Beute, wer Jägerin? Am Ende entscheidet sich der wankelmütige Henry doch für Anne. Der mutmaßlich manisch-depressive König vergisst, wem sein Herz gehört – denn auch Scarlett Johansson kann verdammt siech aussehen. Liebe ohne Macht ist nutzlos, lässt Anne Mary wissen, die machtlos liebt und deswegen unterliegt. Anne aber liebt die Macht und will ganz hoch hinaus.

Henry VIII. wurde zu Beginn der Neuzeit ge­boren – er lebte von 1491 bis 1547. Filmischer Gegenstand war der Prototyp des Renaissance-Fürsten, der alles aus dem Weg räumt, was sich ihm in den Weg stellt, schon oft. Mit solcher Wucht aber, wie die drei Weltwunder Hollywoods – Portman, Johansson und Bana – die Geschichte auf die Leinwand bringen, war sie bisher noch nicht zu sehen. Die Charaktere sind schnell, schlagfertig und hochintrigant. Die Fallhöhe ist beträchtlich: viel Drama, viel Härte.

Denn es gibt viel zu gewinnen. Henrys England befindet sich im Dauerkrieg, er setzt sogar seine Frau Katharina als Oberbefehlshaberin an der Heimatfront ein, damit er die Franzosen züchtigen kann. Das Land befindet sich dennoch im Aufstieg, was die wirtschaftliche und politische Macht angeht. Schulen werden gegründet, die Zahl der Studierenden steigt an. Nach einer überstandenen Pestepidemie wächst auch die Einwohnerschaft wieder.

Henry war als Kind noch für die Priesterlaufbahn vorgesehen, aus Zufall landete er auf dem Thron, weil sein Bruder Arthur Tudor starb.

Sein Vater Henry VII. hatte die Finanzen stabilisiert und eine Reihe von Ämtern geschaffen, in denen auch Mitglieder des Bürgertums Einfluss gewannen. Niederer Landadel fand sich in regionalen Räten wieder. Die Steuerlast blieb gering. Je mehr Ruhe zu Hause herrschte, desto mehr Kapazitäten wurden für den Weltmarkt frei.

Die Ehe mit Katharina hatte noch sein Vater arrangiert. Henry VIII. nutzte später die Scheidung, um sich von der katholischen Kirche zu lösen. Den Segen aus dem Vatikan erhielt er für sein Benehmen schon lange nicht mehr.

Bei soviel Macht kann der einzelne leicht durch­­drehen: Über die Suche nach der passenden Mutter für seinen unabdingbar männlichen Nachkommen, der die Existenz seines Hauses Tu­dor sichert, ging Henry bekanntlich über Leichen.

In Chadwicks Film kann er aber auch anders – eigentlich ist er kein übler Kerl. Er kann sogar Komplimente machen. Mit Mary teilt er das Schicksal, das zweitgeborene Kind zu sein: »Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man immer übersehen wird.« Sie fühlt sich an dieser Stelle zum ersten Mal im Leben halbwegs verstanden. Aber da das Liebesleben auch politisch ist, wird aus den beiden kurzzeitig freundlichen Leuten leider kein dauerhaft freundliches Paar. Heute würde man sagen: Die Mary ist zu lieb. Ihre Schwester Anne geht anders vor, ihre Variante ist die aggressive sexuelle Anmache per Verlockung und Zurückweisung: Lass dich scheiden und du kannst mich haben! Leider wird der König davon aggressiv. Andere Frauen warten zudem schon.

Der Film nimmt sich viel Zeit, um diese weiblichen Machtstrategien zu analysieren. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek muss Patin gestanden haben. Chadwick stellt seine Geschichte darüber hinaus in einen größeren philosophischen Kontext: Ist es besser, nach den Sternen zu greifen und dabei den Kopf zu verlieren, oder sollte man kleine Aliens gebären – und bescheiden, aber friedlich ein ruhiges Leben auf dem Land fristen? Sollte man versuchen, die Bestie zu beherrschen, oder sollte man sie meiden?

In der menschlichen Existenz geht es immer um alles oder nichts. Planen kann man viel, aber selbst der volle Einsatz garantiert noch lange keinen Erfolg. »Die Schwester der Königin« behandelt dies nicht nur als Frage des Willens. Denn der ist beschränkt. Und wie ist es tatsächlich gekommen? Henry hatte den ersehnten Sohn mit Jane Seymour. Dieser bestieg als Eduard VI. auch später den Thron. Dann folgte Maria als Königin, Henrys Tochter mit Katharina. Maria heiratete den katholischen König von Spanien. England landete wieder in Rom. Irre Geschichte. Irrer Film.

»Die Schwester der Königin«. Regie: Justin Chadwick. Start: 6. März