Wie man im Zeitalter des Internets Hits macht

Deutschland sucht den Internetstar

Ungefähr zwei Ideen, ein Laptop, YouTube, so macht man heute Hits.

Im vergangenen Jahr konnte dem Popfan der »Wie verkauft man heute eigentlich noch Musik?«-Stammtisch der Plattenfirmenbosse und das progressive Getue einer Band wie Radiohead mit ihrer pseudorevolutionären Marketing-Idee, Musik auf der Basis freiwilliger Spenden zu verticken, gehörig auf den Geist gehen. Wo Pink Floyd noch aufblasbare Schweine im Stadion fliegen ließen, um dem Fan ein Spektakel der besonderen Art zu bieten, spielt man heute eben mit den Veröffentlichungsformaten, um von seiner unspektakulären Musik abzulenken.
Doch reden wir lieber über wirklich neue Ideen: Eine neue Generation von Mediengestaltern tobt sich längst mit herzerfrischender Elek­tromusik in Clubs und im Internet aus. Insbesonderes für Pillenverzehrer oder Alkoholschlucker mit dem Hobby Handypartyfilme ist das von Interesse.
Da man heute mit Hilfe eines Computers, einem Breitband-Internet-Anschluss und entsprechender (meist gecrackter) Software innerhalb gut einer Woche (Songschreibe- und Videoproduktionszeit inbegriffen) zum Superstar für mindestens einen Tag mutieren kann, gibt es auch täglich neues Futter auf den Selbstdarstellungsplattformen wie YouTube zu vermelden. Während all die sentimentalen Indierock-Popper dieser Welt weiterhin versuchen, eine langfristige Karriere anzustreben, für Studiozeit im Call-Center arbeiten und noch mehr Geld zusammensparen, um damit ein teures Musikvideo in dröger MTV-Ästhetik zu drehen, weil sie wirklich noch an das Modell der MTV-Band mit Plattenver­trag glauben, toben sich die jungen Digitalen lieber flüchtig und kunterbunt in Bild und Ton aus.
Zum Beispiel Alexander Marcus aus Berlin, der seine Musik »Elektrolore« nennt. Einen Genre-Mix aus deutscher Folklore und Elektromusik meint er damit. Während dem Schlager-»Grand Prix« die Zuschauer wegrennen, erobert Alexander Marcus mit selbstproduzierten Hits und Musikvideos wie »1,2,3« oder »Spiel, Satz und Sieg« gerade die YouTube-Welt. Marcus selbst besticht in seinen Clips durch Breakdance-Einlagen im Kaschmir-Pullover und verwirrt so Schlagerfuzzis und Raver gleichermaßen.
Ein weiteres schönes Beispiel: die Formation Mushiflo, die mit ihrem Internethit »Ficken, Geld, Drogen, Nutten« die MTV-HipHop-Welt dermaßen wunderbar persifliert, dass man endlich das Gefühl hat, der Grundgedanke von Pop, nämlich das freudige Umdeuten von Zeichen, sei nun endlich auch in der Pop-Provinz Deutschland angekommen.
Als erfolgreichstes Beispiel dieser neuen Popstar-Generation in Deutschland muss man die Hamburger Formation Deichkind nennen. Diese Band genießt spätestens seit dem Gewinn der von den Pop-Linken im vergangenen Jahr zu Tode diskutierten Jägermeisterrockliga – die Frage darum lautete: Darf man sich als Band mit gesellschaftskritischen Texten von einen Kräuterschnapshersteller aus Braunschweig sponsern lassen? – mittlerweile selbst bei Riesenfestivals den Status von echten Superstars.
Deichkind haben ihre semi-erfolgreiche Hip-Hop-Karriere hinter sich gelassen und machen mittlerweile, in Form von durchgeknalltem Elektrorave, nur noch »Remmidemmi«. In ihrer Freakshow treten Luftmatratzen-Surfer, Tennis­spieler, Fahnenträger, Klingonen-ähnliche Bösewichte und der rappelige Partyroboter »Die Zitze« auf. Die Persiflage des Spektakels wird hier wieder selbst zum Spektakel.
Natürlich stellt sich auch für all diese jungen Elektromusiker weiterhin die Geldfrage: Wie kann ich von meiner Musik leben? Wann kommt der Ferrari? Wo sind denn nun die Drogen und die Nutten?
Vielleicht werden in Zukunft die Software- und Hardwarehersteller den jungen Künstlern ja etwas für deren Musik bezahlen. Schließlich gehen sie eine immer stärker werdende Symbiose mit ihnen ein. Der Computerspielemarkt zum Beispiel expandiert seit Jahren explosionsartig, und Popmusik wird immer stärker ein Teil dieser Daddelindustrie.
Die gegenwärtige Tonträger-Verkaufskrise bedeutet also bestimmt nicht das Ende der Musikindustrie, sondern zurzeit für viele Künstler einfach die vielleicht auch nur kurzfristige Entkopplung von Musik machen und Musik auf Ton­trägern verkaufen.
Wie es um die Inhalte dieser Popmusik bestellt ist, das muss jedoch an anderer Stelle betrachtet werden.