Ekelgefühle

Ist das eklig!

Die Känguru-Hoden verspeisende B-Prominenz ist vom Bildschirm verschwunden. Aber die Widerwärtigkeiten des Alltags bleiben.

Ach was, man braucht gar kein »Dschungelcamp«, um die Abgründe des Ekels zu erforschen. Wird man gezwungen, etwas zu essen, gegen das man eine Abneigung hat, sind die Chancen groß, dass das widerliche Essen den Verdauungsprozess nicht zur Gänze durchmachen wird.
Was als ekelhaftes Essen empfunden wird, ist natürlich individuell unterschiedlich, außer vielleicht Milchhaut, die vermutlich niemand mag. Was aber nicht weiter schlimm ist, denn wenn man erst einmal das dritte Lebensjahr hinter sich gebracht hat, kann einen wirklich niemand mehr dazu zwingen, das zähe Zeug auch nur anzusehen.
Und überhaupt, Ekel ist relativ. Der Anblick des grausligen Fettrands am Fleisch, den man als Kind so hasste, wird von den meisten Erwachsenen dann mindestens toleriert, schließlich hat man irgendwann gelernt, dass der Glibber das Stück totes Tier beim Braten vorm Austrocknen schützt und daher gut für den Geschmack ist. Dafür bekommt man bedauerlicherweise, wenn man endlich groß geworden ist, andere Widerwärtigkeiten zugemutet.
Zu den feuchten Küssen der Verwandtschaft, die man früher schon so fies fand, gibt es nämlich noch eine ganz abscheuliche Steigerung: schlabberige Zungenküsse. Eine fremde Zunge, die einem unbeholfen im Mund herumplatscht und zu nicht verschlussfesten Lippen gehört, die labberig jede Menge Sabber aus den Mündern der beiden involvierten Personen herausfließen lassen, ist ein Albtraum. Wenn diese Zunge dann auch noch in einem jähen Aktivitätsschub plötzlich vom lebenden nassen Sack zum abenteuerlustigen nassen Sack mutiert und sich aufmacht, die Mandeln des Gegenübers auszukundschaften, dann muss man sich schon sehr zusammennehmen, um nicht auf der Stelle zu erbrechen. Kann man dies nicht verhindern, bleibt nur noch zu hoffen, dass das Malheur in der Wohnung des anderen passiert und es irgend­was mit Nudeln zum Abendessen gegeben hat, damit der eklige Zungen-Inhaber vielleicht am Ende doch noch fürs Leben lernt, dass Schlabberküsse zum Kotzen sind.
Immerhin: Selbst wenn man nach einem solchen widerwärtigen Zungen-Intermezzo einen antiken Perserteppich verunreinigt haben sollte, kann man im Freundeskreis getrost mit Nachsicht rechnen. Wie es auch anstandslos verstanden wird, dass man den Anblick plattgetretener Nacktschnecken, frisch totgeschlagener Karpfen und der samstäglichen Kotzepfützen vor drittklassigen Imbissbuden genauso wenig schätzt wie den Geschmack und Geruch gebratener Leber. Überhaupt, Leber – warum man bei der Dschungelschau stur darauf beharrt, das Verspeisen lebender Krabbeltiere oder von Krokodilaugen, Geflügelfüßen und Hoden für die ultimative Mutprobe zu halten, ist absolut nicht nachzuvollziehen. Schließlich wäre es viel effektiver, die Nation mehrheitlich in ekelbedingte Schockstarre zu treiben, wenn man einfach nur Leber servieren würde. Zur Not auch roh, wenn man darauf besteht, dass der Prominenz fiese Flüssigkeit aus dem Mund tropft.
Bedauerlicherweise sind jedoch nicht alle Ekelerreger für andere so leicht erklärbar wie Schlabberküsse und Leber. Denn manchmal befällt einen der Würgereiz auch dann, wenn man einer eigentlich sehr netten Person beim Essen zuguckt. Oder zuhört: Neben jemandem zu sitzen, der knurpseliges Fleisch kaut, ist kaum weniger ekelhaft als die Vorstellung, Känguru-Penis-Colada trinken zu müssen, aber ein folgender Brechanfall ist nur dann zu vermitteln, wenn man nachweisen kann, dass man seit Jahren Vegetarier ist.
Und wie soll man erst jemandem erklären, dass man ihn zwar gern mag, aber ihn leider nicht mehr sehen möchte, weil man einfach nicht vergessen kann, dass er nicht in der Lage ist abzuwarten, bis ein Toast abgekühlt ist, bevor es mit Butter bestrichen wird? Und wie ekelhaft es aussah, als ihm beim Zubeißen das geschmolzene Fett über die Lippen rann? Und man ihn deswegen nicht mehr als guten Freund, sondern als den Mann mit den butterig-glänzenden Lippen betrachten muss?
Dazu kommt, dass Ekel nicht immer mit Essen zu tun haben muss. Gut, man muss dann in aller Regel nicht brechen, aber alle anderen körperlichen Ekelauswirkungen – hochgestellte Unterarm-Härchen, Fluchtimpuls, zittrige Unruhe – können sich auch dann zeigen, wenn man beim Zappen beispielsweise unvermutet auf Didi Hallervorden stößt, dessen Witze nicht nur ganz besonders fies-platt sind. Insgesamt sieht der Mann aus wie der typische Vertreter des Heißen-Toast-mit-Butter-Bestreichers, und sich zusätzlich zu ekligen Sketchen vorzustellen, wie er mit glibberigen Lippen wohl aussieht, ist derart abstoßend, dass man selbst beim bloßen Gedanken ein sehr unschönes Kitzeln hinten im Hals verspürt.